Dipl.-Finanzwirt Arthur Röck
Leitsatz
Die an die hilfsbedürftigen Bewohner erbrachten Betreuungsleistungen einer Seniorenresidenz zählen – mit Ausnahme der Bereitstellung eines Telefonanschlusses – zu den eng mit der Sozialfürsorge verbundenen Leistungen. Die Bewohner des betreuten Wohnens zählen zu den hilfsbedürftigen Personen und die Seniorenresidenz als Einrichtung im Sinne des § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG.
Sachverhalt
Die klagende Seniorenresidenz mit einem Pflegeheim und sieben betreuten Wohnungen im Pflegeheim erbringt Leistungen der Kurzzeitpflege und der vollstationären Pflege an Pflegebedürftige im Sinne des SGB XI. In den Jahren 2009 bis 2014 entfielen nicht mehr als 10 % der gesamten Belegungstage auf die Bewohner des betreuten Wohnens und des Pflegeheims mit anerkannter Pflegestufe 0.
Nach Auffassung des Finanzamts seien die Leistungen des betreuten Wohnens (mit Ausnahme der Vermietung) nicht steuerfrei.
Entscheidung
Nach Auffassung des FG sind dagegen die Leistungen des betreuten Wohnen – mit Ausnahme der Bereitstellung des Telefonanschlusses – steuerfrei.
Nach dem in den Streitjahren 2009 bis 2014 geltenden § 4 Nr. 16 UStG sind die eng mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen verbundenen Leistungen steuerfrei, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Einrichtungen im Sinne des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. b)- k) UStG (mit Wirkung vom 1.7.2013: bis Buchst. l)) erbracht werden. Leistungen im Sinne des Satzes 1, die von Einrichtungen nach den Buchst. b)- k) bzw. l) erbracht werden, sind befreit, soweit es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils bezieht (§ 4 Nr. 16 Satz 2 UStG). § 4 Nr. 16 UStG beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL und Art. 134 MwStSystRL.
Hilfsbedürftig sind Personen, die aufgrund ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes der Betreuung und Pflege bedürfen, weil sie krank, behindert oder von einer Behinderung bedroht sind. Dies erfordert einen Grundpflegebedarf bzw. Bedarf nach Haushaltshilfe gem. § 14 SGB Xl und § 61a SGB XII oder eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz gem. § 45a SGB Xl. Insoweit hat die Klägerin für die Bewohner nach Auffassung des FG eine Hilfsbedürftigkeit in den Streitjahren hinreichend dargelegt. Daher kann auf die Vorlage weiterer individueller Nachweise wie Feststellung einer Pflegestufe für besondere Schwere oder Arztberichte verzichtet werden.
Zu den nach § 4 Nr. 16 UStG begünstigten für die Sozialfürsorge unerlässlichen Leistungen, deren Belastung mit Umsatzsteuer zwangsläufig zu Kostenerhöhungen führen würde, gehören insbesondere die ambulante Pflege, die hauswirtschaftliche Versorgung, das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, das Waschen der Kleidung, die Gestellung einer Haushaltshilfe, Betreuungsleistungen und die Bereitstellung eines Haus-Notruf-Dienstes (BFH, Urteil v. 21.4.2021, XI R 31/20). Deshalb zählen die in einem Heim für betreutes Wohnen erbrachten Leistungen grundsätzlich zu den eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Leistungen.
Ausgehend von den oben genannten Maßstäben gehören die von der Klägerin im Rahmen der mit den hilfsbedürftigen Bewohnern des betreuten Wohnens abgeschlossenen Betreuungsverträge erbrachten Leistungen – mit Ausnahme der Bereitstellung des Telefonanschlusses – zu den eng mit der Sozialfürsorge verbundenen Leistungen.
Die Klägerin ist durch die an die hilfsbedürftigen Bewohner erbrachten Leistungen des betreuten Wohnens als durch deren Vergütung vermittelte Anerkennung als qualifizierte Einrichtung im Sinne des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k) UStG (mit Wirkung vom 1.7.2013: Buchst. l) anzusehen. Einer zusätzlichen Anerkennung bedarf es nicht.
§ 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k) UStG bzw. § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l) UStG erfordert, dass im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle (mit Wirkung vom 1.7.2013: 25 %) von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet wurden. Sind die betreuten Personen aufgrund der Zuerkennung eines Pflegegrads nach § 15 SGB XI zum Leistungsbezug nach § 28 SGB XI, § 28a SGB XI berechtigt, kann insoweit eine Kostentragung durch die Pflegekassen als Sozialversicherungsträger unterstellt werden.
Die oben genannten Voraussetzungen sind nach Ansicht des FG hier vorliegend gegeben.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil v. 25.01.2022, 15 K 3554/18 U