Leitsatz
1. Wird der Gewerbetreibende an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Auftraggebers fortdauernd tätig, so liegt eine Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG in der bis zum Jahr 2013 geltenden Fassung auch dann vor, wenn der Gewerbetreibende zugleich über eine eigene Betriebsstätte verfügt.
2. Das – ungeschriebene – Erfordernis eines nachhaltigen und fortdauernden Aufsuchens der Betriebsstätte zur Ausübung der betrieblichen Tätigkeit durch den Unternehmer (Merkmal der Dauerhaftigkeit) setzte nach der bis 2013 geltenden Rechtslage keine bestimmte vertragliche Mindestlaufzeit voraus.
3. Nach der die Neuordnung des steuerlichen Reisekostenrechts ab 2014 prägenden Grundentscheidung wird die erste Tätigkeitsstätte vorrangig anhand der arbeits–(vertrag–) oder dienstrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bestimmt (vgl. BFH-Urteil vom 10.04.2019 – VI R 6/17, BFHE 264, 258, BStBl II 2019, 539, Rz 19).
Normenkette
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und Abs. 4 EStG, § 12 AO
Sachverhalt
Der Kläger betrieb einen Ein-Mann-Betrieb, in dessen Rahmen er Abbruch- und Reinigungsarbeiten an Aluminiumöfen auf dem Gelände seines (einzigen) Auftraggebers in A ausführte. Der Kläger setzte Maschinen und Fahrzeuge ein, die sich auf dem Betriebsgelände in seinem Wohnort B befanden. Für die Fahrten von seiner Wohnung in B nach A nutzte der Kläger den im Betriebsvermögen befindlichen Pkw, auch fuhr er gelegentlich von dem Betriebsgelände in B mit einem Lkw nach A. Das FG sah die Fahrten des Klägers mit dem Pkw als Wege zwischen Wohnung und seiner Betriebsstätte auf dem Gelände des Auftraggebers in A an und berücksichtigte die hierfür angefallenen Aufwendungen nur mit der Entfernungspauschale. Das FG wies die Klage ab, mit der der Kläger im Kern geltend machte, für die Annahme einer Betriebsstätte in A fehle es u.a. am Merkmal der Dauerhaftigkeit (FG Düsseldorf, Urteil vom 11.3.2019, 9 K 1960/17 E,G, Haufe-Index 13139036, EFG 2019, 873).
Entscheidung
Die Revision des Klägers hatte aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen keinen Erfolg.
Hinweis
Die Aufwendungen für die Fahrten eines Steuerpflichtigen zwischen seiner Wohnung und einer Betriebsstätte sind nur mit der Entfernungspauschale zu berücksichtigen.
1. Bis zur Neuregelung des Reiskostenrechts ging die ständige Rechtsprechung der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des BFH davon aus, dass bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmer als Betriebsstätte der Ort anzusehen war, an dem er die geschuldete Leistung zu erbringen hatte, in der Regel also der Betrieb des Auftraggebers.
2. Diese zu § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG a.F. entwickelte Definition der Betriebsstätte wich zwar vom allgemeinen Betriebsstättenbegriff des § 12 AO ab, weil eine abgrenzbare Fläche oder Räumlichkeit und eine hierauf bezogene eigene Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen – im Unterschied zur Geschäftseinrichtung oder zur Anlage i.S.d. § 12 Satz 1 AO – nicht erforderlich war. Eine normspezifische Gesetzesauslegung wurde jedoch im Hinblick auf den mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG a.F. verfolgten Zweck, die Bezieher von Gewinneinkünften in Bezug auf regelmäßige Fahrten mit Arbeitnehmern gleichzustellen, als verfassungsrechtlich geboten angesehen.
3. Der Begriff der Betriebsstätte war schon aufgrund der Verweisung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 EStG a.F. auf die Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. gleichermaßen wie der dort für Arbeitnehmer verwendete Begriff der "Arbeitsstätte" dadurch gekennzeichnet, dass er eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung voraussetzte, die der Steuerpflichtige nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder zur Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit aufsuchte.
4. Der Betrieb des Auftraggebers war in der Regel unabhängig davon als Betriebsstätte anzusehen, ob der Unternehmer über eine weitere, eigene Betriebsstätte verfügte.
5. Das Erfordernis eines nachhaltigen und fortdauernden Aufsuchens der Betriebsstätte zur Ausübung der betrieblichen Tätigkeit durch den Unternehmer ("Dauerhaftigkeit") setzte nach der bis 2013 geltenden Rechtslage keine bestimmte vertragliche Mindestlaufzeit voraus und konnte auch bei einer wiederholten Vergabe von Jahresverträgen durch den einzigen Auftraggeber erfüllt werden. Die Beurteilung war im Rahmen einer Ex-ante-Betrachtung vorzunehmen.
6. Mangels Entscheidungserheblichkeit musste der BFH in dem Besprechungsurteil nicht entscheiden, ob und welche Bedeutung dem durch die Neuregelung des Reisekostenrechts eingeführten Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EStG n.F. für die Auslegung des Begriffs der Betriebsstätte in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG n.F. zukommt. Er konnte daher offenlassen, ob die bisherige normspezifische Auslegung dieses Begriffs durch die BFH-Rechtsprechung auch nach dem Inkrafttreten der Neuregelung weiterhin maßgeblich ist oder ...