Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Weist der Steuerpflichtige einen niedrigeren gemeinen Wert durch ein Gutachten nach, so ist das Finanzamt gleichwohl nicht gehindert, die Erkenntnisse aus einem stichtagsnahen Grundstücksverkauf, bei dem ein höherer Preis erzielt wurde, zu berücksichtigen.
Sachverhalt
Der Nachlasspfleger der Erblasserin E beantragte im Einspruchsverfahren gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes unter Verweis auf ein Sachverständigengutachten, den Verkehrswert für das Grundstück mit 12.000 EUR anzusetzen. Das Finanzamt ging indes davon aus, dass der Grundstückswert zum maßgeblichen Stichtag 30.000 EUR betragen habe, da das Grundstück zeitnah zu diesem Preis veräußert worden sei.
Entscheidung
Das FG hat die Klage des Nachlasspflegers abgewiesen und die Rechtsauffassung des Finanzamts bestätigt. Es hat entschieden, dass der bei einer Veräußerung an einen fremden Dritten erzielte Kaufpreis den sichersten Anhaltspunkt für den gemeinen Wert des Grundstücks bildet und dass es nicht sachgerecht ist, ein Sachverständigengutachten zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts stets vorrangig gegenüber einer stichtagsnahen Veräußerung zu berücksichtigen.
Zwar ist nach § 147 Abs. 7 BewG a. F. ein niedrigerer als nach den Vorschriften des BewG festgestellter Grundstückswert anzusetzen, wenn der Steuerpflichtige einen niedrigeren Wert z. B. durch ein Sachverständigengutachten nachweist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es dem Finanzamt bei Vorliegen sowohl eines vom Steuerpflichtigen beigebrachten Sachverständigengutachtens als auch eines zeitnahen Grundstücksverkaufs versagt wäre, beide Beweismittel heranzuziehen. Wenn das Finanzamt unter Abwägung aller relevanten Umstände zu der Überzeugung gelangt, dass der gemeine Wert des Grundstücks 30.000 EUR beträgt, ist dies nicht zu beanstanden.
Hinweis
Weder dem BewG noch den ErbStR ist zu entnehmen, dass ein Sachverständigengutachten stets einer stichtagsnahen, d. h. innerhalb eines Jahres stattgefundenen Veräußerung vorgeht. Während ein nach den Regeln von Angebot und Nachfrage frei ausgehandelter Marktpreis für ein Wirtschaftsgut die beste Gewähr dafür bietet, dessen wahren Wert abzubilden, stellt eine Wertermittlung durch einen Gutachter demgegenüber stets eine mit zahlreichen Unwägbarkeiten verbundene Schätzung dar. Diese kann - auch wenn das Gutachten in sich schlüssig ist und nach den gesetzlichen Regeln erstellt wurde - zu Werten führen, die vom Verkehrswert weit entfernt liegen.
Link zur Entscheidung
FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.09.2010, 3 K 3232/07