Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
- Eine Überraschungsentscheidung verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör. Eine solche Überraschungsentscheidung liegt aber nicht vor, wenn das Finanzgericht das Urteil auf einen Gesichtspunkt gestützt hat, der zuvor Gegenstand des Vorbringens der Beteiligten gewesen ist.
- Verstöße im Zusammenhang mit § 92 Abs. 2 FGO gehören zu den Mängeln, auf die verzichtet werden kann.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 92 Abs. 2, § 155; ZPO § 139 Abs. 2, § 295 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 29.01.2003; Aktenzeichen V 58/2001) |
Gründe
1. Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen Erfolg. Die Beschwerdebegründung entspricht zum Teil nicht den Anforderungen an die Darlegung eines Zulassungsgrunds i.S. von § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Beschwerde ist daher insoweit unzulässig. Im Übrigen ist sie unbegründet.
a) Mit ihrem Vorbringen, das Finanzgericht (FG) habe eine sog. Überraschungsentscheidung getroffen, indem es von der Bestandskraft der angefochtenen Bescheide ausgegangen sei, haben die Kläger einen Verfahrensmangel nicht schlüssig gerügt. Eine Überraschungsentscheidung verletzt den Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör (Urteil des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 8. Juli 1997 1 BvR 1934/93, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1997, 2305). Will das FG sein Urteil auf einen Gesichtspunkt stützen, den ein Beteiligter erkennbar übersehen oder für unwesentlich gehalten hat, muss es ihn gemäß § 139 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO zuvor auf den Gesichtspunkt hinweisen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine solche Überraschungsentscheidung liegt aber nur dann vor, wenn ein solcher Gesichtspunkt Grundlage des Urteils ist, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen konnte. Dies ist dann nicht der Fall, wenn dieser Gesichtspunkt zuvor Gegenstand des Vorbringens der Beteiligten gewesen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 14. Oktober 2003 X B 77/03, juris, und BFH-Beschluss vom 15. Juni 2001 VII B 45/01, BFH/NV 2001, 1580). Aus diesem Grund darf sich das Beschwerdevorbringen nicht darauf beschränken, das Verhalten des FG zu schildern, sondern muss sich auch mit dem Vortrag der anderen Beteiligten befassen. Die Kläger berücksichtigen insbesondere nicht, dass der Beklagte und Beschwerdegegner (Beklagter) sich bereits in seiner die angefochtenen Bescheide betreffenden Einspruchsentscheidung auf die Bestandskraft dieser Bescheide berufen hat.
b) Auch die Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO dadurch verletzt, dass es nicht selbst ermittelt hat, ob die Kläger in Bezug auf die Einkommensteuer mit Hinterziehungsvorsatz gehandelt haben, ist nicht schlüssig erhoben.
Die Kläger haben nicht dargelegt, dass es ausgehend vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG hierauf ankam (Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 79, m.w.N.). Insoweit hat das FG angenommen, die angefochtenen Einkommensteuerbescheide seien bestandskräftig geworden und selbst dann nicht nichtig, wenn der Beklagte zu Unrecht vom Vorliegen eines Hinterziehungsvorsatzes und damit vom Nichteintritt der Festsetzungsverjährung ausgegangen sein sollte. Aus diesem Grund haben die Kläger auch nicht dadurch einen Verfahrensfehler schlüssig dargetan, dass sie vorgetragen haben, das FG habe einen von ihnen gestellten Antrag auf Vernehmung einer Mitarbeiterin der Bußgeld- und Strafsachenstelle als Zeugin abgelehnt, wonach diese abweichend von der zuständigen Veranlagungsstelle nicht vom Vorliegen eines Hinterziehungsvorsatzes ausgegangen sei.
c) Mit der Rüge, das FG habe den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es ihrem Antrag auf Übersendung des Sachberichts des Berichterstatters nicht entsprochen habe, wird ein Verfahrensmangel ebenfalls nicht dargelegt. Dabei kann dahinstehen, ob aus § 92 Abs. 2 FGO überhaupt und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein solcher Anspruch auf Übersendung des Sachberichts hergeleitet werden kann. Da etwaige Verstöße im Zusammenhang mit § 92 Abs. 2 FGO zu den Mängeln gehören, auf die gemäß § 295 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 155 FGO verzichtet werden kann (Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 18. April 1983 9 B 2337/80, NJW 1984, 251), muss dargelegt werden, ob eine solche Rüge in der nachfolgenden mündlichen Verhandlung erhoben worden ist oder aus welchem Grund dies nicht möglich war. Hierzu haben sich die Kläger nicht geäußert.
d) Soweit die Kläger vortragen, das FG habe ihren Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu Unrecht abgelehnt und dadurch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, liegt dieser Verstoß jedenfalls nicht vor. Die Kläger haben nämlich in ihrem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichtem Schriftsatz vom 29. Januar 2003, auf den sie ihren Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung stützen, keine neuen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte vorgetragen, sondern lediglich ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und zusammengefasst. Dem FG kann deshalb nicht angelastet werden, klägerisches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen zu haben.
e) Die Kläger haben nicht in der erforderlichen Weise dargelegt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Hierzu bedarf es nach der ständigen Rechtsprechung des BFH substantiierter Ausführungen dazu, aus welchen Gründen die aufgeworfenen Rechtsfragen im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig sind, insbesondere, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung dieser Rechtsfragen zweifelhaft ist (Gräber, a.a.O., § 116 Rz. 32, m.w.N.). Aus diesem Grund reicht es nicht aus, dass die Kläger verschiedene Rechtsfragen angesprochen und hierzu ausgeführt haben, die Klärung dieser Fragen sei von außerordentlicher Wichtigkeit.
f) In der Beschwerdebegründung ist schließlich auch nicht in der gebotenen Weise dargetan, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO zuzulassen ist.
Dabei kann dahinstehen, ob das klägerische Vorbringen in ihrem Schriftsatz vom 11. Juli 2003 überhaupt noch berücksichtigt werden kann, weil dieser Schriftsatz erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beim BFH eingereicht worden ist. In der ursprünglichen Beschwerdebegründung sowie in dem nachgereichten Schriftsatz werden nämlich die abstrakten Rechtsätze im angefochtenen Urteil und in der Divergenzentscheidung des BFH nicht in einer Weise aufgezeigt und gegenübergestellt, dass eine Abweichung im grundsätzlichen Ansatz erkennbar wird (Gräber, a.a.O., § 116 Rz. 42, m.w.N.). Es genügt daher weder der Vortrag, das FG habe zu Unrecht verschiedene Verfahrenshandlungen nicht als gegen die streitigen Einkommensteuerbescheide gerichtete Einsprüche gewertet, noch der Hinweis darauf, nach dem Urteil des BFH vom 27. Februar 2003 V R 87/01 (BFHE 201, 416, BStBl II 2003, 505) sei im Zweifel eine innerhalb der Einspruchsfrist eingereichte Steuererklärung als ein gegen den Schätzungsbescheid gerichteter Einspruch zu werten. Die Kläger haben nämlich nicht dargelegt, dass das FG die Rechtsfrage abweichend entschieden und sie nicht lediglich übersehen hat (Gräber, a.a.O., § 115 Rz. 54, m.w.N.).
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
Fundstellen