Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH: Verzicht auf mündliche Verhandlung zugleich Verzicht auf weitere Beweiserhebungen
Leitsatz (NV)
Da eine Zeugenvernehmung notwendigerweise in mündlicher Verhandlung durchzuführen ist, um den Beteiligten zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme rechtliches Gehör zu gewähren, ist mit dem Verzicht auf mündliche Verhandlung unabdingbar zugleich der Verzicht auf die Durchführung einer Zeugenvernehmung erklärt.
Normenkette
AO 1977 § 205; FGO §§ 76, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3, Abs. 5 S. 2, § 118 Abs. 2; ZPO §§ 114, 195
Tatbestand
I. Wegen unstreitiger Steuerschulden befindet sich der Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Antragsteller) mindestens seit 1993 in Vollstreckung. Nach zahlreichen Verhandlungen insbesondere mit dem Ziel, die Pfändung seines Arbeitseinkommens aufzuheben, legte der Antragsteller eine Einkommens- und Vermögensübersicht vor, nach der u.a. zu seinen monatlichen Ausgaben "Lebenshaltungskosten, drei Personen, eine Person davon schwer behindert" in Höhe von 1 200 DM gehörten. Neben dem Antragsteller selbst waren damit seine beiden bereits über 18 Jahre alten Söhne gemeint. Mit Schreiben vom 20. Dezember 1996 fasste der Vollstreckungssachgebietsleiter des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) eine am Vortag getroffene, widerrufliche Vereinbarung mit dem Antragsteller über einen jeweils für ein Jahr geltenden Vollstreckungsaufschub gegen Zahlung eines monatlichen Betrages von höchstens 250 DM zusammen; u.a. heißt es darin, der Vereinbarung sei die vom Antragsteller am 10. Oktober 1996 vorgelegte Einkommens- und Vermögensübersicht zu Grunde gelegt worden.
Nachdem dem FA im Jahr 2004 --abgesehen vom Erwerb eines Grundstücks im Jahre 1998-- bekannt geworden war, dass keine unterhaltsberechtigten Kinder mehr vorhanden waren, sah es sich wegen wesentlicher Veränderungen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht mehr an die Vereinbarung vom 19. Dezember 1996 gebunden und gewährte Vollstreckungsaufschub nunmehr gegen eine monatliche Rate von 497 €. Am 18. Juni 2004 wurde auf seinen Antrag eine Sicherungshypothek auf das Grundstück eingetragen. Einspruch und Klage gegen diese Eintragung, mit denen sich der Antragsteller auf die Vereinbarung vom 19. Dezember 1996 berief, da keine wesentlichen Änderungen seither eingetreten seien, insbesondere die in der Einkommens- und Vermögensübersicht vom 10. Oktober 1996 angegebenen Lebenshaltungskosten sich nur auf ihn selbst bezogen hätten und dies den Teilnehmern an der Besprechung bekannt gewesen sei, blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) hatte zunächst in einem Erörterungstermin durch den Berichterstatter beschlossen, durch Vernehmung des Vollstreckungssachgebietsleiters Beweis zu erheben, inwieweit Unterhaltspflichten des Antragstellers gegenüber seinen Kindern bei der Vereinbarung vom 20. Dezember 1996 berücksichtigt worden seien. Nach dem ein in der mündlichen Verhandlung vom 26. Mai 2005 zur Beendigung des Verfahrens --ohne vorherige Beweiserhebung-- geschlossener Vergleich vom Antragsteller widerrufen und das FA einen geänderten Vergleichsvorschlag nicht akzeptiert hatte, erklärte der Antragsteller --wie bereits in der mündlichen Verhandlung beide Beteiligte--, dass auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet werde. In seinem Urteil, mit dem es die Bindung des FA an die Vereinbarung vom 20. Dezember 1996 verneinte, führt das FG aus, die zunächst beabsichtigte Beweisaufnahme sei verzichtbar, da es auf die Frage, ob am 19. Dezember 1996 über die tatsächliche Unterhaltsbelastung des Antragstellers und den eventuellen oder voraussichtlichen Fortfall der Verpflichtungen gesprochen worden sei, nicht ankomme. Denn maßgeblich für den Inhalt des möglichen Anspruchs auf Vollstreckungsaufschub sei das Bestätigungsschreiben des FA vom 20. Dezember 1996, dem der Antragsteller nicht widersprochen habe. Weil darin unzweideutig auf die Einkommens- und Vermögensübersicht vom 10. Oktober 1996 Bezug genommen werde, die von Lebenshaltungskosten für drei Personen in Höhe von 1 200 DM monatlich ausgehe, könne dahinstehen, ob diese seinerzeit in dieser Höhe bestanden hätten oder der Antragsteller tatsächlich nicht mit Unterhaltsverpflichtungen belastet gewesen sei. Außerdem hätten sich die Beteiligten durch den Verzicht auf eine weitere mündliche Verhandlung konkludent mit dem Verzicht auf die Beweisaufnahme einverstanden erklärt. Im Übrigen sei eine wesentliche Änderung der Verhältnisse durch den Erwerb des Wohnungseigentums eingetreten, da in der Einkommens- und Vermögensübersicht vom 10. Oktober 1996 mit Ausnahme des Bausparguthabens keine verwertungsfähigen Gegenstände enthalten gewesen seien.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde, für die der Antragsteller Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt, rügt der Antragsteller im Wesentlichen, das FG habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, so dass ihm im Ergebnis das rechtliche Gehör versagt worden sei. Das Gericht habe durch Vernehmung des Vollstreckungssachgebietsleiters --auch ohne entsprechenden erneuten Antrag des Antragstellers-- Beweis darüber erheben müssen, ob die Unterhaltspflichten des Antragstellers bei der Vereinbarung "vom 20. Dezember 1996" berücksichtigt worden seien. Im Übrigen wendet er sich gegen die vom FG angenommene Verminderung seiner monatlichen Belastung, da nicht berücksichtigt worden sei, dass er kein Kindergeld mehr erhalten habe. Auch die durch den Erwerb des Wohnungseigentums eingetretene Veränderung seiner Vermögenssituation sei nicht wesentlich, da anstelle der früheren Mietbelastungen die Rückzahlungsbelastungen für Darlehen getreten seien.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag auf Gewährung von PKH ist unbegründet.
Gemäß § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) setzt die Bewilligung von PKH voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für den Eintritt des Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Juli 1999 V S 6/99, BFH/NV 2000, 193). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.
Die Nichtzulassungsbeschwerde wird voraussichtlich als unzulässig zu verwerfen sein, denn der Antragsteller hat den behaupteten Verfahrensmangel der unzureichende Sachaufklärung und der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 76 FGO nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise dargelegt.
1. Mit der Rüge, das FG habe einen Beweis nicht erhoben, ist der Verfahrensfehler mangelhafter Sachaufklärung nur dann ordnungsgemäß dargelegt, wenn zusätzlich vorgetragen wird, dass die nicht zureichende Aufklärung des Sachverhalts und die Nichterhebung der angebotenen Beweise in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2003 VII B 10/03, BFH/NV 2004, 529, m.w.N.). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO), hat die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen Rügeverlust --z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde-- zur Folge. Eine unterlassene Zeugeneinvernahme kann deshalb im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der maßgeblichen Verhandlung selbst anwesende oder fachkundig vertretene Beteiligte, dem die Nichtbefolgung seiner Beweisanträge erkennbar war, den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597).
Im Streitfall hat der Antragsteller --nachdem in der mündlichen Verhandlung der Beweisbeschluss aus dem Erörterungstermin nicht aufgegriffen, sondern eine einvernehmliche außergerichtliche Erledigung des Rechtsstreits angestrebt worden war-- ausdrücklich bereits in dieser Verhandlung und nach Scheitern der Verständigungsbemühungen auf Nachfrage nochmals schriftsätzlich auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet. Da eine Zeugenvernehmung notwendigerweise in mündlicher Verhandlung durchzuführen ist, um den Beteiligten zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme rechtliches Gehör zu gewähren, ist mit dem Verzicht auf mündliche Verhandlung unabdingbar zugleich der Verzicht auf die Durchführung einer Zeugenvernehmung --auch wenn sie zuvor beschlossen worden ist-- erklärt (vgl. BFH-Beschluss vom 23. Juni 1997 IV B 88/96, BFH/NV 1997, 884).
2. Mangelnde Sachaufklärung wird nach ständiger Rechtsprechung des BFH darüber hinaus nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn innerhalb der Beschwerdefrist u.a. ausgeführt wird, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (BFH-Beschluss vom 18. Januar 2001 V B 157/00, BFH/NV 2001, 926, m.w.N.). Auch daran fehlt es hier.
Der Antragsteller übersieht, dass das FG auf die Beweisaufnahme ausdrücklich deshalb verzichtet hat, weil es nach seiner Rechtsauffassung auf etwaige Zusagen, die bei der Erörterung mit den Vertretern der Finanzverwaltung möglicherweise eine Rolle gespielt haben, nicht ankomme, weil sie in dem Bestätigungsschreiben des FA vom 20. Dezember 1996 keinen Niederschlag gefunden hätten. Nur in diesem Bestätigungsschreiben, dem der Antragsteller --wie das FG für den Senat bindend festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 FGO)-- nicht widersprochen hat, sah das FG eine der Formvorschrift des § 205 der Abgabenordnung (AO 1977) entsprechende verbindliche Zusage eines Vollstreckungsaufschubs. Auf die Vernehmung des Zeugen zum Inhalt der Gespräche am Vortag des Bestätigungsschreibens konnte es demnach nicht ankommen.
3. Der Antragsteller hat weiter nicht ausreichend berücksichtigt, dass das FG die Entbindung des FA von der 1996 getroffenen Vereinbarung nach der Regelung in Nr. 7 des Bestätigungsschreibens auch damit begründet hat, dass sich die Vermögenslage des Antragstellers durch den Erwerb des Wohnungseigentums im Jahr 1998 gegenüber der Vermögensübersicht aus dem Jahr 1996 erheblich verändert hat. Hat das FG sein Urteil kumulativ begründet, d.h. auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden und vorliegen (BFH-Beschluss vom 30. Januar 2003 VIII B 155/02, BFH/NV 2003, 881, m.w.N.).
Hinsichtlich der Berücksichtigung des Erwerbs des Wohnungseigentums rügt der Antragsteller lediglich, dass die dadurch eingetretene finanzielle Belastung seine wirtschaftliche Situation im Ergebnis verschlechtert habe. Damit wendet er sich gegen die materiell-rechtliche Bewertung des FG, wonach es für die Beurteilung der wesentlichen Veränderung in der Vermögenssituation nicht auf die Belastungen, sondern auf das Vorhandensein "vollstreckungsfähiger Aktiva" ankomme. Mit der Beanstandung der Rechtsauffassung des FG im Einzelfall kann die Zulassung der Revision aber nicht erreicht werden.
Fundstellen
Haufe-Index 1581471 |
BFH/NV 2006, 2116 |