Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist
Leitsatz (NV)
- Die Revisionsbegründungsfrist beginnt auch dann mit der Zustellung des die Revision zulassenden vollständigen Urteils, wenn wegen Versäumung der Revisionseinlegungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt wird.
- Die genaue Berechnung des Fristablaufs gehört zu dem Mindestmaß an Prozeßverantwortung, das den Beteiligten in jedem Falle zugemutet wird. Zumindest seit die unterschiedliche Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte im Hinblick auf den Beginn der Revisionsbegründungsfrist nicht mehr besteht, ist für die Annahme eines fehlenden Verschuldens des Bevollmächtigten bei der Fristberechnung kein Raum mehr.
Normenkette
FGO §§ 56, 120 Abs. 1, §§ 124, 126 Abs. 1
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage am 5. Juni 1998 ab. Die Entscheidung wurde am Mittwoch, dem 24. Juni 1998, zugestellt. Die mit Schreiben vom Freitag, dem 24. Juli 1998, eingelegte Revision ging am Montag, dem 27. Juli 1998, beim FG ein. Eine Vorabübersendung per Fax ist nicht erfolgt. Der Vorsitzende des erkennenden Senats wies mit einem am 19. August 1998 zugestellten Schreiben auf die Fristversäumnis und auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hin. Mit einem am 28. August 1998 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Wiedereinsetzungsantrag wurde geltend gemacht, daß die Revisionsschrift von der sonst zuverlässigen Sekretärin Frau A geschrieben worden sei. A, die mit dem Faxgerät vertraut sei, habe auch den Auftrag zur Vorabübersendung per Telefax erhalten. Sie habe bei der Absendung jedoch versehentlich die Faxnummer eines anderen Mandanten eingegeben, an den ebenfalls ein Fax übersandt worden sei. Entgegen ihrer sonst üblichen Gepflogenheit habe sie den Faxsendebericht nur auf das "o.k." und nicht auf die Faxnummer kontrolliert. Nach der Faxübersendung habe sie die Frist im Fristenkalender gestrichen und noch am gleichen Tag das Original der Revisionsschrift zur Post gegeben. Erst aufgrund des Schreibens des Senatsvorsitzenden sei der Sachverhalt festgestellt worden.
Mit Schreiben vom 1. September 1998 wurde unter Hinweis auf §§ 124, 56 FGO mitgeteilt, daß die Revisionsbegründungsfrist am 24. August 1998 abgelaufen sei. Daraufhin erklärte der Bevollmächtigte, er gehe im Hinblick auf die versäumte Revisionsfrist davon aus, daß die Revisionsbegründungsfrist erst mit der Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beginne.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig und daher gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen, weil die Revisionsbegründungsfrist versäumt ist und der Bevollmächtigte, dessen Verschulden sich die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) zurechnen lassen muß, nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Keiner Entscheidung bedarf deshalb die Frage, ob der Klägerin gemäß § 56 FGO Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist hätte gewährt werden können.
Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des die Revision zulassenden vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Der Lauf der Revisionsbegründungsfrist begann somit am 24. Juni 1998 mit der Zustellung des Urteils durch die Vorinstanz. Sie endete am Montag, dem 24. August 1998. Daran ändert sich nichts dadurch, daß wegen Versäumung der Revisionseinlegungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt war (st.Rspr. seit BFH-Urteil vom 7. Dezember 1971 VII R 108/69, BFHE 104, 184, BStBl II 1972, 224; vgl. BFH-Urteil vom 27. Oktober 1982 II R 70/81, nicht veröffentlicht, und BFH-Beschluß vom 18. Mai 1994 I R 111/93, BFHE 175, 388, BStBl II 1995, 24, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1995, 142). Die am 7. September 1998 eingegangene Revisionsbegründung war somit verspätet.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kommt nicht in Betracht. Die genaue Berechnung des Fristablaufs gehört zu dem Mindestmaß an Prozeßverantwortung, das den Beteiligten in jedem Falle zugemutet wird (BFH-Urteil vom 6. Februar 1985 I R 213/84, BFH/NV 1986, 29). Zumindest seit die unterschiedliche Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte und die dadurch eingetretene Rechtsunsicherheit im Hinblick auf den Beginn der Revisionsbegründungsfrist nicht mehr besteht (vgl. dazu BFH-Beschluß in BFHE 175, 388, BStBl II 1995, 24, HFR 1995, 142, unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 23. Februar 1983 I R 128/82, BFH/NV 1987, 246), ist für die Annahme eines fehlenden Verschuldens des Bevollmächtigten bei der Fristberechnung kein Raum mehr.
Fundstellen
Haufe-Index 424746 |
BFH/NV 2000, 471 |