Leitsatz (amtlich)
Beantragt ein Nachlaßpfleger für die unbekannten Erben einer nach Einlegung der Revision verstorbenen Prozeßpartei das Armenrecht, so ist die Armut zu unterstellen, wenn die Prozeßkosten nicht aus dem Nachlaß gedeckt werden können.
Normenkette
FGO § 142; ZPO § 114
Tatbestand
Der 1969 verstorbene Abgabepflichtige A war im Erlaßzeitraum 1959 bis 1961 Eigentümer eines mit HGA belasteten Grundstücks, das er 1964 an die Beigeladenen verkauft hat. Die in diesem Erlaßzeitraum zu erbringenden HGA-Leistungen betrugen ... DM. Das FA hat seinen Antrag auf Erlaß der HGA (§ 129 LAG) abgelehnt. Nach erfolglosem Einspruch gab das FG der Klage zunächst durch Teilurteil und schließlich durch Endurteil teilweise statt. Danach war dem Kläger von den im streitigen Erlaßzeitraum fälligen HGA-Leistungen ein Teilbetrag zu erlassen.
Die Vorentscheidung wurde A am 23. April 1968 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 20. Mai 1968 hat A gegen dieses Urteil Revision eingelegt und diese am 2. Juli 1968 begründet. Gleichzeitig beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diesen Antrag begründete A damit, daß die Zustellung des angefochtenen Urteils nicht wirksam sei. Nach einem ärztlichen Gutachten sei er geschäftsunfähig. Infolge nervöser Störungen sei er nicht dazu gekommen, die Revision rechtzeitig zu begründen. Wegen seiner Krankheit habe er dies auch nicht nötig gehabt.
Durch Bestallungsurkunde des Amtsgerichts H. vom 30. April 1969 ist Rechtsanwalt X zum Pfleger für A mit dem Wirkungskreis "Vermögensangelegenheiten" bestellt worden. Er ist im Oktober 1969 in diesem Verfahren erstmalig für A aufgetreten.
Nach dem Tod des A haben seine Witwe und seine sämtlichen Abkömmlinge die Erbschaft nach A aus allen Berufungsgründen ausgeschlagen. Der seitherige Pfleger des A wurde am 27. Februar 1970 zum Nachlaßpfleger für die unbekannten Erben nach A bestellt. Sein Wirkungskreis umfaßt die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses und die Ermittlung der Erben. Der Nachlaßpfleger hat die Prozeßhandlungen des A im HGA-Verfahren ausdrücklich nicht genehmigt. Er trägt vor, A sei seit Anfang 1960 prozeßunfähig gewesen. Seit dieser Zeit habe A nur noch seine familiären Angelegenheiten selbständig besorgen können. Für die Führung von Prozessen habe es bei ihm an der notwendigen Einsichtsfähigkeit gefehlt. Deshalb sei ihm ein Gebrechlichkeitspfleger bestellt worden. Zur Begründung bezieht sich der Nachlaßpfleger auf drei Gutachten des Direktors der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität H von 1966 und 1967. Die Feststellungen in diesen Gutachten seien so umfassend, daß sie sich auf den vorliegenden Streitfall übertragen ließen.
Der Nachlaßpfleger hat beantragt, den unbekannten Erben nach A für diesen Rechtszug das Armenrecht zu bewilligen und ihn als Armenanwalt beizuordnen.
Das FA ist diesem Antrag entgegetreten.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Der Antrag ist begründet.
Nach § 142 FGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 ZPO ist einer Partei auf Antrag das Armenrecht zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und die zur Führung des Prozesses erforderlichen Mittel von der Partei ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts nicht aufgebracht werden können. Aufgrund einer Bescheinigung des Amtsgerichts H steht fest, daß die Prozeßkosten nicht aus dem Nachlaß gedeckt werden können. Da die bisher bekannten Erben die Erbschaft ausgeschlagen haben und der Nachlaßpfleger im Namen der unbekannten Erben auftritt, ist die Voraussetzung Armut im Sinne des § 114 ZPO im Streitfall zu unterstellen (Beschluß des BGH VII ZR 208/62 vom 4. Mai 1964, NJW 1964, 1418).
Nach Auffassung des erkennenden Beschlußsenats hat die Revision gegen das FG-Urteil auch hinreichende Aussicht auf Erfolg. Im Revisionsverfahren ist erstmals streitig geworden, ob A prozeßunfähig war. Wird der Senat, wie es nach den drei Gutachten des Direktors der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität H naheliegt, in der Hauptsache die Prozeßunfähigkeit des A bejahen, so ist nicht zu erwarten, daß die Revision wegen der Prozeßunfähigkeit des A als unzulässig verworfen wird. Denn in einem Rechtsstreit über die Prozeßfähigkeit einer Partei ist diese bis zur rechtskräftigen Entscheidung hierüber als prozeßfähig zu behandeln (vgl. Urteil des BVerwG V C 117.63 vom 24. November 1965, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG 310 § 62 VwGO Nr. 3; Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 18 S. 184 [190], mit weiteren Angaben). Die Fiktion der Prozeßfähigkeit der tatsächlich prozeßunfähigen Partei besteht bis zum rechtskräftigen Abschluß des Streits über die Prozeßfähigkeit fort. Der im Revisionsverfahren festgestellte Mangel der Prozeßfähigkeit des A hindert den Senat lediglich an einer Entscheidung in der Sache selbst, nicht dagegen am Erlaß eines Prozeßurteils, durch das die Vorentscheidung aufgehoben wird. Für eine Aufhebung der Vorentscheidung spricht, daß A mit großer Wahrscheinlichkeit schon im Verfahren vor dem FG prozeßunfähig war. Würde die Revision des A als unzulässig verworfen, bliebe das mit dem Mangel der gesetzlichen Vertretung behaftete Urteil der Vorinstanz aufrechterhalten und würde - allerdings mit der Möglichkeit der Anfechtung durch die Nichtigkeitsklage - nach § 134 FGO in Verbindung mit § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO Rechtskraft erlangen.
Das Überschreiten der Revisionsbegründungsfrist dürfte die Revision im Streitfall nicht unzulässig machen. Im vorliegenden Fall spricht viel dafür, daß der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründet ist. Denn eine Fristversäumung, die auf nervösen Störungen infolge krankhafter Veränderung der Geistestätigkeit beruht, wird als unverschuldet anzusehen sein.
Entgegen der Auffassung des FA dürfte im Streitfall auch ein Rechtsschutzbedürfnis der unbekannten Erben an der Durchführung dieses Verfahrens zu bejahen sein. Denn für die unbekannten Erben besteht ein Interesse daran, daß ein Erlaß rückständiger HGA durchgesetzt wird.
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts steht im Parteiprozeß im Ermessen des Gerichts. Im vorliegenden Fall ist die Beiordnung bei der schwierigen Rechtslage geboten.
Der Beschluß über die Bewilligung des Armenrechts ergeht kostenfrei.
Fundstellen
Haufe-Index 69636 |
BStBl II 1972, 350 |
BFHE 1972, 279 |