Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Glaubhaftmachung der Erkrankung eines Bevollmächtigten als Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (NV)
Zur Glaubhaftmachung der geltend gemachten Erkrankung eines bevollmächtigten Rechtsanwalts als Wiedereinsetzungsgrund muss - ggf. durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung - dargelegt werden, dass die Krankheit so schwer war, dass die Einreichung eines fristwahrenden Schriftsatzes nicht möglich war.
Normenkette
FGO § 56
Tatbestand
Der Gerichtsbescheid des Senats vom 30. Juni 1999, mit dem auf die Revision des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt ―FA―) das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufgehoben und die Klage abgewiesen worden ist, ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) am 12. August 1999 zugestellt worden. Nach dem Ablauf der Frist für den Antrag auf mündliche Verhandlung (§§ 121, 90a Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) teilte die Geschäftsstelle des Senats den Bevollmächtigten des Klägers mit dem am 6. Oktober 1999 zur Post gegebenen Schreiben vom 17. September 1999 mit, dass der Gerichtsbescheid als Urteil wirke.
Mit dem am selben Tag beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Schriftsatz vom 22. Oktober 1999 beantragt die Ehefrau des Klägers als Mitglied der mit der Prozessvertretung des Klägers beauftragten Sozietät unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Zur Begründung macht sie geltend, aufgrund einer schweren Erkrankung ihres Ehemanns habe sie die Frist für den Antrag auf mündliche Verhandlung versäumt. Sie habe sich nach der Zustellung des Gerichtsbescheids vom 30. Juni 1999 nicht getraut, ihren schwer erkrankten Ehemann über das negative Urteil zu informieren und daher den Vorgang aus dem laufenden Aktenbestand herausgenommen. Sie selbst sei durch die schwere Erkrankung ihres Ehemanns sehr belastet und habe vom Arzt Beruhigungs- und Schlaftabletten erhalten. Erst aufgrund der Mitteilung der Senatsgeschäftsstelle vom 17. September 1999 sei ihr bewusst geworden, dass es sich bei der Entscheidung vom 30. Juni 1999 noch nicht um eine abschließende Entscheidung gehandelt habe, sondern der Antrag auf mündliche Verhandlung hätte gestellt werden können. Ihr sei bewusst, dass der Gerichtsbescheid vom 30. Juni 1999 eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalte, die eindeutig sei; sie habe diese aufgrund der geschilderten Situation jedoch nicht wahrgenommen. Dem Antragsschreiben ist eine ärztliche Bescheinigung über den Krankheitszustand des Klägers beigefügt.
Der Kläger beantragt
unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Das FA hat keine Stellungnahme abgegeben.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist wegen Versäumung der Antragsfrist (§ 90a Abs. 2 Nr. 3 FGO) unzulässig.
Der Antrag ist verspätet gestellt worden. Nachdem der Gerichtsbescheid vom 30. Juni 1999 am 12. August 1999 zugestellt worden war, lief die Frist für den Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO), §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am 13. September 1999 ab. Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist jedoch erst am 22. Oktober 1999 beim BFH eingegangen.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für den Antrag auf mündliche Verhandlung kann nicht gewährt werden. Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag eine solche Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist verhindert war. Ein Wiedereinsetzungsantrag setzt nach § 56 Abs. 2 FGO in formeller Hinsicht voraus, dass diejenigen Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Der Senat kann offen lassen, ob der Tatsachenvortrag der Ehefrau des Klägers als dessen Prozessbevollmächtigte ausreichend ist, um ein Verschulden in ihrer Person, das sich der Kläger zurechnen lassen müsste (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO), auszuschließen. Jedenfalls scheitert eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an der fehlenden Glaubhaftmachung. Ein Wiedereinsetzungsantrag ist nämlich nur dann ordnungsgemäß gestellt, wenn die zu seiner Begründung angeführten Tatsachen bei der Antragstellung oder im Verfahren über die Antragstellung glaubhaft gemacht werden (BFH-Beschluss vom 28. Dezember 1989 VIII R 70/87, BFH/NV 1990, 714, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 56 Anm. 52, m. Rechtsprechungsnachweisen). Zur Glaubhaftmachung einer geltend gemachten Erkrankung als Wiedereinsetzungsgrund muss auch dargelegt werden, dass die Krankheit so schwer war, dass die Einreichung eines fristwahrenden Schriftsatzes nicht möglich war (vgl. BFH-Beschluss vom 29. August 1997 V R 10/97, BFH/NV 1998, 336). Hieran fehlt es im Streitfall. Die Ehefrau des Klägers hat zwar geltend gemacht, dass sie aufgrund der schweren Erkrankung ihres Ehemanns selbst sehr belastet gewesen sei und vom Arzt Beruhigungs- und Schlaftabletten erhalten habe. Sie hat jedoch nicht ―z.B. durch eine ärztliche Bescheinigung― glaubhaft gemacht, dass sie arbeitsunfähig und daher nicht imstande gewesen sei, zumindest rechtzeitig nach Erhalt des Gerichtsbescheids vom 30. Juni 1999 den Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen. Einer entsprechenden Darlegung und Glaubhaftmachung hätte es jedoch im Streitfall insbesondere deshalb bedurft, weil die Ehefrau des Klägers nach ihrem eigenen Vorbringen im fraglichen Zeitraum als Rechtsanwältin in der gemeinsamen Praxis tätig war.
Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Oktober 1971 VI R 159/68, BFHE 103, 138, BStBl II 1971, 812).
Fundstellen
Haufe-Index 424907 |
BFH/NV 2000, 743 |