Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzicht auf mündliche Verhandlung
Leitsatz (NV)
Erklärt sich ein Prozeßbeteiligter mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden und bittet er gleichzeitig um Erlaß eines Gerichtsbescheids, so liegt ein wirksamer Verzicht auf mündliche Verhandlung vor.
Normenkette
FGO § 90 Abs. 2, § 119 Nr. 3
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 90 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entscheidet das Gericht grundsätzlich aufgrund mündlicher Verhandlung. Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht auch ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 FGO). Fehlt die Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und erläßt das Finanzgericht (FG) gleichwohl ein Urteil ohne mündliche Verhandlung, ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 22. Juni 1993 VIII R 16/92, BFH/NV 1994, 250), dessen Ursächlichkeit i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO stets gegeben ist (§ 119 Nr. 3 FGO). Im Streitfall muß jedoch davon ausgegangen werden, daß die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) -- wirksam -- auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat.
Mit Schriftsatz vom 26. Juni 1995 fragte der Berichterstatter bei den Beteiligten an, ob auf mündliche Verhandlung verzichtet werde und mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter Einverständnis bestehe. Darauf antwortete die Klägerin mit Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten vom 4. Juli 1995, das folgenden Wortlaut hat:
"Nachdem der Sachverhalt unstrittig ist, verzichte ich auf eine mündliche Verhandlung und bin mit einer Streitentscheidung durch den Berichterstatter einverstanden, bitte jedoch um einen Gerichtsbescheid."
Diese Prozeßerklärung ist nach den Regeln für die Auslegung von Willenserklärungen in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (vgl. z. B. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 55. Aufl., § 133 Rdnr. 3) bei verständiger Würdigung aus der Sicht des Erklärungsempfängers dahin zu verstehen, daß die Klägerin auf die mündliche Verhandlung verzichtet und den Erlaß eines Gerichtsbescheides angeregt hat. Der Senat kann unterstellen, daß die Klägerin möglicherweise -- auf entsprechende Anregung des Sachbearbeiters des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) nur "unter der Prämisse einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid" auf mündliche Verhandlung verzichten wollte. Ein solcher Verzicht wäre, da Prozeßhandlungen bedingungsfeindlich sind, unwirksam. Erklärungsempfänger für den Verzicht auf mündliche Verhandlung ist aber nicht das FA, sondern ausschließlich das FG. Sollen Begleitumstände (vgl. Palandt, a. a. O., Rdnr. 15), unter denen eine Erklärung abgegeben wird, bei der Auslegung einer Willenserklärung berücksichtigt werden, müssen sie dem Erklärungsempfänger bekannt sein. Die Tatsache, daß die Klägerin im Anschluß an ein Gespräch mit dem Sachbearbeiter des FA nur unter der Bedingung des Ergehens eines Gerichtsbescheides auf mündliche Verhandlung verzichten wollte, war dem FG nach Aktenlage jedoch nicht bekannt.
Soweit die Klägerin Abweichung von der BFH-Rechtsprechung rügt, erfüllt die Beschwerde nicht die an sie gestellten formellen Voraussetzungen. Dazu gehört, daß die Klägerin den jeweils vom BFH aufgestellten abstrakten Rechtssatz darlegt und dem einen ebenfalls abstrakten, hiervon abweichenden Rechtssatz des FG gegenüberstellt (ständige Rechtsprechung; vgl. z. B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rdnr. 63, m. w. N.). Die bloße Behauptung, das FG-Urteil widerspreche der BFH- Rechtsprechung, genügt auch dann nicht, wenn der Kläger eine Vielzahl von BFH- Entscheidungen in diesem Zusammenhang zitiert.
Im übrigen ergeht dieser Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2236, BStBl I 1994, 100) ohne Begründung.
Fundstellen
Haufe-Index 421408 |
BFH/NV 1996, 698 |