Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörungsrüge und Befangenheitsantrag; Vertretungszwang vor dem BFH; Prozesskostenhilfe
Leitsatz (NV)
1. Der Vertretungszwang vor dem BFH erstreckt sich grundsätzlich auf alle Prozesshandlungen. Dies gilt auch für ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit und für eine Anhörungsrüge.
2. Beziehen sich das Ablehnungsgesuch und/oder die Anhörungsrüge jedoch auf die Ablehnung eine zulässigerweise persönlich beim BFH gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe, können beide persönlich eingelegt werden.
3. Zu Kombination einer Anhörungsrüge und einer (nachträglichen) Richterablehnung.
Normenkette
FGO §§ 51, 62a, 133a; ZPO §§ 44, 78 Abs. 5
Tatbestand
Mit Beschluss vom 15. März 2006 VI R … hat der Senat die Revision der Kläger und Revisionskläger (Kläger) einstimmig gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückgewiesen. In den Gründen dieser Entscheidung hat der Senat einen --von den Klägern persönlich gestellten-- Antrag auf Richterablehnung wegen mangelnder Postulationsfähigkeit als unzulässig abgelehnt (vgl. § 62a FGO).
Gegen den Beschluss des Senats wenden sich die hier fachkundig vertretenen Kläger mit ihrer Anhörungsrüge (§ 133a FGO). Sie beantragen, das Revisionsverfahren fortzusetzen und die Richter am Bundesfinanzhof (BFH) … wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Aus dem Inhalt des Schriftsatzes der Kläger vom 5. April 2006 (BFH-Az.: VI S 5/06, S. 16) ergibt sich ferner, dass sich der (neuerliche) Befangenheitsantrag auch auf --den am Verfahren VI R … nicht beteiligten-- Richter am BFH X beziehen soll. Der Befangenheitsantrag in Bezug auf Richter am BFH Y wurde in einem weiteren, von den Klägern persönlich verfassten und über den Präsidenten des BFH eingereichten Schriftsatz, gleichfalls vom 5. April 2006, näher begründet. Auf diesen wird ebenfalls Bezug genommen.
Die Kläger bringen im Wesentlichen vor, der Senat habe im Beschluss vom 15. März 2006 VI R … den Befangenheitsantrag der Kläger zu Unrecht als unzulässig angesehen. Da ein solcher Antrag vor der Geschäftsstelle des Gerichts zu Protokoll erklärt werden könne, bestehe auch vor dem BFH --jedenfalls seit der Neuregelung des § 62a FGO-- kein Vertretungszwang. Da der Senat in seiner Entscheidung von der ständigen Rechtsprechung abgewichen sei, hätte er die Kläger hierauf hinweisen müssen. Im Übrigen bestehe die Besorgnis der Befangenheit der vorgenannten Richter. Der Senat habe verschiedene, von den Klägern vorgetragene Umstände nicht berücksichtigt.
Entscheidungsgründe
Die Rüge der Kläger ist zwar statthaft, jedoch nicht begründet.
1. Im Streitfall liegt keine Gehörsverletzung vor. Das Revisionsverfahren ist nicht fortzusetzen.
a) Die Rüge der Kläger, der Senat habe das rechtliche Gehör durch einen Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht verletzt, ist nicht begründet. Entgegen der Auffassung der Kläger ist der Senat bei der Anwendung des § 62a FGO von der ständigen Rechtsprechung (hier) des BFH nicht abgewichen.
In Verfahren vor dem BFH besteht grundsätzlich Vertretungszwang (§ 62a FGO). Dies gilt für die gesamte Dauer des Verfahrens (vgl. Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 62a Rz. 3) und demnach auch für einen Antrag auf Richterablehnung.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann ein solcher Antrag (nur) dann persönlich gestellt werden, wenn in dem zugrunde liegenden Verfahren ebenfalls kein Vertretungszwang besteht (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 30. April 2002 X S 10/01 (PKH), BFH/NV 2002, 1050; vom 1. Dezember 1999 IX S 17/99, BFH/NV 2000, 478). Die Kläger haben ihren Befangenheitsantrag im Revisionsverfahren VI R … gestellt (und nicht etwa im Zusammenhang mit einem Antrag auf Prozesskostenhilfe --PKH--). Entgegen der Ansicht der Kläger war demnach der Vertretungszwang zu beachten (vgl. auch Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 51 FGO Rz. 100, m.w.N.; § 62a FGO Rz. 13 und 14, jeweils m.w.N.; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 62a Rz. 14 und 15, m.w.N.).
b) Die Gerichte sind nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verpflichtet, das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 15. März 2006 VI R … das Revisionsbegehren der Kläger in vollem Umfang, und zwar auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens im PKH-Verfahren VI S 2/06 (PKH) überprüft und es --einstimmig-- nicht für durchgreifend erachtet.
Im Grunde machen die Kläger mit ihren neuerlichen Ausführungen geltend, der Senat habe in der Sache fehlerhaft entschieden. Mit diesem Vorbringen können die Kläger jedoch im Rahmen des § 133a FGO nicht gehört werden (vgl. auch BFH-Beschluss vom 17. Juni 2005 VI S 3/05, BFHE 209, 419, BStBl II 2005, 614). Insbesondere dient eine Anhörungsrüge nicht dazu, die angegriffene Entscheidung nochmals einer vollen inhaltlichen Überprüfung zuzuführen. Ebenso wenig kann mit der Anhörungsrüge eine Begründungsergänzung herbeigeführt werden (BFH-Beschluss in BFHE 209, 419, BStBl II 2005, 614; Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. Januar 2006 IX ZB 223/04, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht --FamRZ-- 2006, 408, m.w.N.).
2. Der erkennende Senat entscheidet im vorliegenden Rügeverfahren in seiner ursprünglichen Besetzung. Dabei kann der Senat verschiedene Fragen offen lassen, die sich aus einer Verknüpfung des Verfahrens der Anhörungsrüge und einer (nachträglichen) Richterablehnung ergeben könnten (vgl. z.B. Musielak/ Heinrich, ZPO, 4. Aufl., § 44 Rn. 3). Hierzu zählt auch die Frage, ob durch eine Kombination von Richterablehnung und Anhörungsrüge ein (nachträglicher) Richterwechsel erreicht werden kann (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 321a Rn. 4). Jedenfalls erweist sich der vorliegende Befangenheitsantrag unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Streitfalles als rechtsmissbräuchlich (vgl. auch BFH-Beschluss vom 27. Januar 2004 X S 22/03, nicht veröffentlicht, juris-Dok-Nr. STRE200450116).
Die Kläger begründen ihren Befangenheitsantrag gegen die einzelnen Mitglieder des Senats (und darüber hinaus auch gegen solche, die an der angegriffenen Entscheidung nicht mitgewirkt haben: vgl. hierzu auch BFH-Beschluss vom 17. Februar 2003 VII S 40/02, BFH/NV 2003, 930) im Kern damit, dass der Senat in der Sache unrichtig entschieden habe. Eine evtl. Unrichtigkeit einer Entscheidung stellt indessen keinen Ablehnungsgrund dar, es sei denn --was hier ersichtlich ausscheidet--, es läge eine willkürliche Entscheidung vor (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 321a Rn. 4). (Vermeintlich) unrichtige Entscheidungen zwingen nicht zu dem Schluss, dass der Richter, der sich --wie hier-- im Rahmen seiner Befugnisse hält und das Recht in vertretbarer Weise anwendet, gegenüber einer Partei unsachlich, parteilich eingestellt ist. Das Ablehnungsverfahren dient nicht dazu, richterliche Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Befangenheitsanträge --im Streitfall wiederholt gestellt-- sind insbesondere nicht dazu da, Beteiligte vor einer ihnen ungünstigen Rechtsauffassung des Gerichts zu schützen (BFH-Beschluss vom 11. August 1992 III B 101/92, BFH/NV 1993, 309; vgl. MünchKommZPO-Feiber, 2. Aufl., § 42 RdNr. 28 ff., mit umfangreichen Nachweisen).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO (vgl. Nr. 6.400 des Gebührentatbestandes, Anlage 1 des Kostenverzeichnisses des Gerichtskostengesetzes i.d.F. durch Art. 11 des Anhörungsrügengesetzes vom 9. Dezember 2004, BGBl I 2004, 3220).
Fundstellen
Haufe-Index 1517652 |
BFH/NV 2006, 1337 |