Entscheidungsstichwort (Thema)
Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens in das Ermessen des Tatsachengerichts gestellt
Leitsatz (NV)
Das Gericht ist nicht verpflichtet, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, wenn es hinreichend begründet, warum es dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen gefolgt ist und dieses keine Mängel von solchem Gewicht aufweist, dass sie das Gutachten als zur Sachverhaltsfeststellung nicht ausreichend tragfähig erscheinen lassen.
Normenkette
FGO §§ 76, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) übertrug im Streitjahr (1993) ihrer Tochter den im Dorf gelegenen Bauernhof, zu dem ein Wohnhaus mit Doppelgarage, Stallungen, eine Maschinenhalle und Gartenland gehörten, und erklärte die Betriebsaufgabe. Den Aufgabegewinn ermittelte sie mit 253 304 DM. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) gelangte demgegenüber nach einer Ortsbesichtigung durch den amtlichen Bausachverständigen zu der Auffassung, der Aufgabegewinn habe 436 284 DM betragen. Das Einspruchsverfahren, indem sich die Klägerin auf ein Privatgutachten stützte, hatte keinen Erfolg.
Im Klageverfahren erhob das Finanzgericht (FG) Beweis durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Auf dieser Grundlage ergab sich ein Aufgabegewinn von 341 145 DM für die betrieblich genutzten Teile des Bauernhofs. Dagegen wandte sich die Klägerin und machte u.a. geltend, die Grundstücksfläche für eine später abgerissene Maschinenhalle von 236 qm sei lediglich mit dem Wert für Gartenland und der Wert für einen Viehstall mit Getreideboden sei mit Null DM anzusetzen; außerdem müsse zwischen privat und betrieblich genutzten Grundstücksteilen anders abgegrenzt werden. In diesem Zusammenhang beantragte sie die Erhebung weiterer Beweise, u.a. die Einholung eines Obergutachtens und die Vernehmung mehrerer Zeugen.
Das FG folgte dem gerichtlichen Sachverständigengutachten, ohne die beantragten weiteren Beweise zu erheben, und gab der Klage auf dieser Grundlage teilweise statt. Die Revision ließ es nicht zu.
Mit der dagegen gerichteten Beschwerde rügt die Klägerin Verfahrensmängel. Es lägen Sachaufklärungsmängel vor. Das FG habe entscheidungserhebliche Beweisanträge übergangen und ein zwingend gebotenes weiteres Gutachten zur Verkehrswertermittlung nicht eingeholt. Der gerichtliche Sachverständige habe fehlerhafter Weise die Auffassung vertreten, Hinterland sei ab einer Tiefe von 70 m anzunehmen; aus der vom Gutachter angeführten einschlägigen Fachliteratur ergebe sich jedoch, dass für Hinterland bereits eine Tiefe von nur 40 m ausreichend sei. Unverständlich sei auch, warum der Gutachter für die abgerissene Maschinenhalle noch eine Restnutzungsdauer angesetzt habe, ohne eine nachvollziehbare Begründung für die Abweichung von dem Parteigutachten --in dem ein Wert dafür nicht mehr angesetzt worden sei-- anzugeben. Nicht nachvollziehbar sei, dass der Gutachter angebotene Fotos des streitgegenständlichen Objektes nicht habe sehen wollen und sich stattdessen auf seine langjährige Praxis berufen habe. Im Widerspruch zu dem vorgelegten Fachaufsatz stehe weiter, dass der Gutachter für die aus dem 18. Jahrhundert stammenden Gebäude einen Restwert angesetzt habe, obwohl in einem vorgelegten Fachaufsatz die Auffassung vertreten werde, Scheunen mit einem Baujahr vor 1940 seien nicht mehr wirtschaftlich zu nutzen und somit nicht zu bewerten. Es lägen somit schwerwiegende, unüberwindbare Mängel vor, die das FG zur Einholung eines weiteren Gutachtens hätten veranlassen müssen.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist nicht begründet. Ein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) liegt nicht vor.
1. Das FG hat insbesondere nicht gegen die Sachaufklärungspflicht verstoßen, indem es davon abgesehen hat, ein weiteres Gutachten einzuholen.
a) Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn das Gericht sich seine Überzeugung auf der Grundlage eines unvollständig ermittelten Sachverhalts bildet und damit gegen seine Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 76 FGO) verstößt. Der Richter ist deshalb gehalten, selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob er dem Gutachten eines Sachverständigen folgen darf und weshalb er dies tut (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. November 1981 IV R 103/79, BFHE 135, 6, BStBl II 1982, 258, m.w.N.).
Wie der BFH im Urteil vom 26. Januar 1988 VIII R 29/87 (BFH/NV 1988, 788) entschieden hat, hat das Gericht Gutachten gerichtlich bestellter Sachverständiger sorgfältig und kritisch zu würdigen; Unvollständigkeiten, Unklarheiten und Zweifel sind von Amts wegen --soweit möglich-- auszuräumen. Erforderlichenfalls ist der Gutachter zu einer Ergänzung seines schriftlichen Gutachtens zu veranlassen und in der mündlichen Verhandlung zu befragen.
Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens steht grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts. Die Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines weiteren Gutachtens kann aber einen Verfahrensfehler begründen, wenn das vorliegende Gutachten grobe Mängel aufweist, die es zur Sachverhaltsfeststellung als ungeeignet, zumindest als nicht ausreichend tragfähig, erscheinen lassen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1988, 788, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 82 Rz 38). Anlass für die Einholung eines weiteren Gutachtens besteht, wenn das bisherige Gutachten nicht dem Stand der Wissenschaft entspricht oder widersprüchlich oder von unsachlichen Erwägungen getragen ist (BFH-Beschluss vom 5. Mai 2004 VIII B 107/03, BFH/NV 2004, 1533).
b) Danach war das FG im Streitfall nicht verpflichtet, ein weiteres Gutachten einzuholen. Denn einerseits hat das FG hinreichend begründet, warum es dem Gutachten des vom Gericht beauftragten Sachverständigen gefolgt ist. Zum anderen ergeben sich aus den von der Klägerin geltend gemachten Einwänden keine Mängel von solchem Gewicht, dass sie das Gutachten als zur Sachverhaltsfeststellung nicht ausreichend tragfähig erscheinen lassen.
aa) Zwar hat der Gutachter in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, dass Hinterland immer nur dann anzunehmen sei, wenn nach einem Bebauungsplan ein Grundstück mit einer Tiefe von mindestens 70 m von außen nicht erreichbar sei, während in der von der Klägerin mit der Beschwerde in Kopie eingereichten Aufstellung die erste von drei Abstufungen des Hinterlandes Grundstücke mit 40 bis 80 m Tiefe betrifft. Daraus ergibt sich jedoch schon deshalb kein grober Fehler, weil bereits nach den Erläuterungen auf der vorgelegten Kopie die Aufteilung in Vorder- und Hinterland nicht zwingend vorzunehmen ist und von den ortsüblichen Verhältnissen abhängt.
Ausweislich der Niederschrift hat der Gutachter seine Bewertung in der mündlichen Verhandlung auf das am Bewertungsstichtag maßgebliche Bauplanungsrecht und die vorhandene, prägende Umgebungsbebauung gestützt. Aus den Darlegungen der Klägerin ergibt sich demgegenüber weder, warum vorliegend eine Aufteilung zwingend vorzunehmen sein soll, noch lässt sich ihnen auch nur die zu der nach ihrer Auffassung fehlerhaften Bewertung führende Grundstückstiefe der streitigen Fläche entnehmen. Es kann deshalb offenbleiben, ob der Hinweis auf einen Fachaufsatz mit abweichender Meinung ausreichen kann, einen groben Mangel des gerichtlichen Gutachters nachzuweisen.
bb) Aus den Darlegungen der Klägerin zur Restnutzungsdauer der Maschinenhalle lässt sich ebenfalls kein grober Fehler des gerichtlichen Gutachtens entnehmen. Denn dafür genügt der Hinweis nicht, der von ihr bestellte Privatgutachter habe diese Halle nicht angesetzt. Eine über allgemeine Aussagen hinausgehende, nachvollziehbare Begründung für eine fehlende wirtschaftliche Restnutzungsdauer ergibt sich aus der Beschwerde nicht.
cc) Der gerichtliche Gutachter hat auch nicht grob fehlerhaft gehandelt, indem er die von der Klägerin angebotenen Fotos nicht angesehen hat. Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung ging es dabei um Fotos des später erfolgten Umbaus des Viehstalles in ein Wohnhaus, die zeigten, welche Neumaßnahmen --nämlich Gründung und Ersatz des Außenmauerwerks-- erforderlich waren. Wenn sich der Gutachter demgegenüber darauf berufen hat, dass vorliegend der frühere Viehstall, nicht das später dort erbaute Wohnhaus zu bewerten gewesen sei, ergibt sich daraus kein Fehler.
dd) Schließlich wird auch mit dem Hinweis der Klägerin darauf, dass vorliegend für die teilweise aus dem 18. Jahrhundert stammenden Gebäude ein Restwert angesetzt worden sei, während dem genannten Fachaufsatz zufolge Scheunen mit einem Baujahr vor 1940 nicht zu bewerten seien, ein grober Fehler des Gerichtsgutachtens nicht dargelegt. Denn daraus lässt sich schon nicht entnehmen, warum und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Scheunen betreffende Aussage auch für die streitigen Gebäudeteile Geltung haben soll.
ee) Inhaltlich wendet sich die Klägerin mit der Rüge, das FG hätte ein weiteres Sachverständigengutachten einholen müssen, gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des FG. Darauf kann ein Verfahrensmangel aber nicht gestützt werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 1533). Denn die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Revisionsverfahren entzogen (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Februar 2000 I B 40/99, BFH/NV 2000, 874).
2. Soweit die Klägerin im Übrigen rügt, das FG habe entscheidungserhebliche Beweisanträge übergangen, hat sie einen Verfahrensmangel nicht hinreichend dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Erforderlich sind hier Angaben dazu, welche Tatfragen aufklärungsbedürftig sind und welche Beweise zu welchem Beweisthema das FG nicht erhoben hat. Weiter ist das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme anzugeben und auszuführen, inwiefern das angefochtene Urteil unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Gerichts auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 25. Juni 2002 X B 199/01, BFH/NV 2002, 1332; s. auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 69, m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift nicht. Sie beschränkt sich auf Ausführungen zur Erforderlichkeit eines weiteren Gutachtens (dazu oben unter 1.).
Fundstellen