Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegungserfordernisse bei der Rüge eines Verfahrensmangels; wörtliches Verständnis der von einem fachkundigen Vertreter gestellten Anträge
Leitsatz (NV)
1. Die schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels erfordert u.a. die Darlegung, dass das Urteil des FG auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann, d.h. dass die Möglichkeit besteht, dass das Urteil bei richtigem Verfahren anders ausgefallen wäre.
2. Die von einem Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe ausdrücklich gestellten Anträge sind in der Regel wörtlich zu verstehen.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 239; FGO § 41 Abs. 2 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 23.06.2004; Aktenzeichen 4 K 2402/01 Z) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) importiert u.a. Säcke aus Polyolefin aus China und anderen asiatischen Ländern. Die eingeführten Waren wurden von der Klägerin in das ihr bewilligte offene Zolllager aufgenommen. Die Entnahmen aus dem Zolllager meldete sie sodann dem zuständigen Zollamt (ZA) zur Überführung in den freien Verkehr an, wobei sie die entstehenden Abgaben selbst berechnete und dabei zunächst auch einen für derartige Einfuhren aus China anfallenden Antidumpingzoll berücksichtigte. Aufgrund eines Hinweises des zuständigen ZA ging die Klägerin davon aus, dass für Entnahmen aus dem Zolllager ab Dezember 1995 ein Antidumpingzoll nicht mehr entstehe. Die entsprechenden Zahlungsanmeldungen, die seitdem nur noch den regulären Drittlandszollsatz beinhalteten, blieben zunächst unbeanstandet. Anfang 1997 stellte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) bei einer Nachprüfung fest, dass für die angemeldeten Waren weiterhin Antidumpingzoll zu erheben war. Daraufhin ergingen Steueränderungsbescheide aufgrund Art. 220 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex --ZK--) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 302/1), mit denen das HZA für die zwischen Dezember 1995 und Anfang Januar 1997 angemeldeten Entnahmen aus dem Zolllager der Klägerin Antidumpingzoll nacherhob.
Die hiergegen gerichteten Einsprüche wurden vom HZA als unbegründet zurückgewiesen. Mit der nachfolgend erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihre Auffassung weiter, wonach die Voraussetzungen für eine Nacherhebung des Antidumpingzolls gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK nicht gegeben seien und machte darüber hinaus geltend, dass die Nacherhebungsbeträge jedenfalls nach Art. 239 ZK zu erlassen seien, worauf sie schon im Vorverfahren konkludent durch die Berufung auf "Treu und Glauben" hingewiesen habe. In der mündlichen Verhandlung erklärte die Klägerin die Aufrechnung mit einem Erstattungs- oder Erlassanspruch gemäß Art. 239 ZK und beantragte neben der im Hauptantrag begehrten Aufhebung der angegriffenen Steueränderungsbescheide in Gestalt der jeweiligen Einspruchsentscheidungen und neben weiteren Hilfsanträgen (wörtlich): "hilfsweise festzustellen, dass die mit den angefochtenen Bescheiden festgesetzten Abgaben durch Aufrechnung mit einem Billigkeitsanspruch nach Art. 239 ZK erloschen sind".
Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Voraussetzungen für die Nacherhebung des Antidumpingzolls gemäß Art. 220 Abs. 1 ZK seien erfüllt. Von der Nacherhebung könne auch nicht nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK abgesehen werden. Zwar sei hier die rechtzeitige buchmäßige Erfassung des Antidumpingzolls aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden unterblieben. Als gewerblich tätige Wirtschaftsteilnehmerin, die im Wesentlichen Im- und Exportgeschäfte tätige, sei die Klägerin jedoch gehalten, sich über das geltende Gemeinschaftsrecht durch Studium des Amtsblattes zu informieren. Dabei hätte sie den Irrtum der Zollbehörden ohne weiteres erkennen können. Soweit die Klägerin geltend mache, die Abgabenschuld sei durch Aufrechnung mit einem zu ihren Gunsten bestehenden Anspruch auf Erstattung nach Art. 239 ZK erloschen, handele es sich um eine Feststellungsklage, die gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unzulässig sei, weil die Klägerin ihre Rechte durch Leistungsklage hätte verfolgen können und müssen. In der Abgabenordnung (AO 1977) sei für Streitigkeiten über die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, wozu auch die Frage zähle, ob eine Abgabenforderung durch Aufrechnung erloschen sei, ein eigenes Verwaltungsverfahren (Abrechnungsverfahren nach § 218 Abs. 2 AO 1977) vorgesehen, das die Klägerin hätte beschreiten können. Für eine Klage auf Erlass oder Erstattung entsprechend dem ursprünglich angekündigten Hilfsantrag der Klägerin fehle es an der Durchführung eines vorangegangenen Verwaltungsverfahrens.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde. Hinsichtlich der Behandlung des Hauptantrags rügt die Klägerin als Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) einen Verstoß gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht bzw. eine mangelnde Überzeugungsbildung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, weil das FG ohne eigene Ermittlungen den Vortrag des HZA zur Ursache der zunächst fehlerhaften Nichterhebung des Antidumpingzolls ungeprüft übernommen habe. Die Zurückweisung ihres Hilfsantrages auf Erlass gemäß Art. 239 ZK durch Prozessurteil anstelle eines Sachurteils sei ebenfalls verfahrensfehlerhaft und verstoße gegen Inhalt und ratio des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 18. Januar 1996 Rs. C-446/93 (EuGHE 1996, I-73), eine Dienstvorschrift der Zollverwaltung und gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig, weil Gründe für die Zulassung der Revision nicht in der von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Weise dargelegt sind.
1. Soweit die Klägerin hinsichtlich der Behandlung des Hauptantrages einen Verfahrensmangel geltend macht und rügt, dass das FG den Vortrag des HZA über die Ursachen der zunächst fehlerhaften Nichterhebung des Antidumpingzolls ungeprüft übernommen und keine eigenen Ermittlungen hierzu angestellt habe, ist es weder dargelegt noch ersichtlich, dass das Urteil des FG auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), d.h. dass die Möglichkeit besteht, dass das Urteil bei richtigem Verfahren anders ausgefallen wäre (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 31. März 1995 XI B 151/94, BFH/NV 1995, 1071), denn das FG ist von einem sog. aktiven Irrtum der Zollbehörde i.S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK ausgegangen; die Gründe für diesen Irrtum waren nicht erheblich.
2. Auch soweit sich die Klägerin dagegen wendet, dass das FG über ihren Hilfsantrag auf Erlass gemäß Art. 239 ZK durch Prozess- und nicht durch Sachurteil entschieden habe, sind Gründe für die Zulassung der Revision nicht schlüssig dargelegt. Die Beschwerde beruht insoweit auf dem Vorbringen, dass die Klägerin im finanzgerichtlichen Verfahren einen Erlassantrag gemäß Art. 239 ZK gestellt habe, den das FG jedoch zu Unrecht als unzulässig abgewiesen habe. Dieses Vorbringen ist offensichtlich unzutreffend, weil die Klägerin ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 23. Juni 2004 keinen Antrag, das HZA zum Erlass der Abgaben zu verpflichten, sondern einen Feststellungsantrag, dass die Abgaben durch Aufrechnung erloschen seien, gestellt hat, der aus den vom FG genannten Gründen unzulässig war. Gründe, weshalb der von einem Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe und damit einem fachkundigen Vertreter der Klägerin ausdrücklich gestellte Antrag anders als nach seinem Wortlaut zu verstehen sein sollte, sind nicht erkennbar.
3. Soweit dem Beschwerdevorbringen zu entnehmen ist, dass auch die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung, der Fortbildung des Rechts sowie der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geltend gemacht werden sollen, genügt die Beschwerde nicht ansatzweise den Erfordernissen, die nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die schlüssige Darlegung dieser Zulassungsgründe zu stellen sind. Insoweit sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO von einer weiteren Begründung ab.
Fundstellen