Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung von Zulassungsgründen bei alternativer Begründung des FG-Urteils; Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung
Leitsatz (NV)
1. Hat das FG seine klageabweisende Entscheidung auf zwei selbständige, jeweils für sich tragende Begründungsstränge gestützt, so setzt eine zulässige NZB voraus, daß der Beschwerdeführer in bezug auf jeden selbständigen Begründungsstrang jeweils zumindest einen Zulassungsgrund i. S. von §115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO schlüssig darlegt.
2. Die schlüssige Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, daß der Beschwerdeführer konkret darauf eingeht, inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten sei. Dazu gehört auch, daß der Beschwerdeführer bereits vorhandene Rechtsprechung (und Literatur) zu der von ihm für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfrage berücksichtigt und vorträgt, weshalb nach seiner Ansicht eine Klärung bislang noch ausstehe.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat zu Recht ausgeführt, daß das Finanzgericht (FG) seine klageabweisende Entscheidung auf zwei eigenständige, jeweils für sich tragende Begründungsstränge gestützt hat. Die Klägerin hat ferner in ihrer Beschwerdebegründung zutreffend darauf hingewiesen, daß im Falle einer solchen alternativen Begründung des Urteilsausspruchs eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde u. a. voraussetzt, daß der Beschwerdeführer in bezug auf jeden selbständigen Begründungsstrang jeweils zumindest einen Zulassungsgrund i. S. des §115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) schlüssig darlegt (vgl. z. B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rdnr. 59, m. w. N.).
2. a) Die erste, selbständig tragende Begründung des FG läßt sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen:
Die alleinige Erfassung der streitigen Einkünfte bei der Klägerin rechtfertige sich bereits aus der Bindungswirkung des bestandskräftigen Bescheides vom 16. Mai 1991, mit welchem die früher ergangenen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte der (vermeintlich) aus der Klägerin und ihren beiden Kindern bestehenden Erbengemeinschaft ersatzlos aufgehoben worden seien. In der Folge des Aufhebungsbescheides sei der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA ) gemäß §175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) berechtigt und verpflichtet gewesen, die angefochtenen Einkommensteuer-Änderungsbescheide, in denen die streitigen Einkünfte ausschließlich der Kläger zugerechnet worden seien, zu erlassen. Bei Erlaß der angefochtenen Einkommensteuer-Änderungsbescheide im Januar 1992 seien die betreffenden Festsetzungsfristen noch nicht abgelaufen gewesen. Die (vierjährigen) Festsetzungsfristen betreffend die Einkommensteuern 1982 bis 1987 hätten nämlich nach §171 Abs. 10 AO 1977 in der für die Streitjahre geltenden Fassung nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides vom 16. Mai 1991 geendet.
b) Die Klägerin hat in bezug auf diesen Begründungsstrang zwar eingeräumt, die ersatzlose Aufhebung eines Feststellungsbescheids führe nach dem Wortlaut des Gesetzes und der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gemäß §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 dazu, daß die bisher auf der Grundlage dieses Feststellungsbescheides ergangenen Folgebescheide der durch die Aufhebung geänderten Rechtslage angepaßt werden könnten und müßten. Von grundsätzlicher Bedeutung sei jedoch in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Aufhebung des Grundlagenbescheides "bei der Folgeanpassung auch (zusätzlich) dazu führe, daß eine Ablaufhemmung nach §171 Abs. 10 AO 1977 eintritt".
c) Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage ist schlüssig darzulegen (vgl. §115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Dies erfordert ein konkretes Eingehen des Beschwerdeführers darauf, inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten sei (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 21. August 1986 V B 46/86, BFH/NV 1987, 171). Dazu gehört auch, daß der Beschwerdeführer bereits vorhandene Rechtsprechung (und Literatur) zu der von ihm für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfrage berücksichtigt und vorträgt, weshalb nach seiner Ansicht eine Klärung bislang noch ausstehe (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 26. November 1986 II B 112/86, BFH/NV 1988, 304; ferner Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., §115 FGO Anm. 7 a).
d) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Zwar führt die Klägerin -- im Stil einer Revisionsbegründung -- eine Reihe von Argumenten dafür an, daß das FG falsch entschieden habe. Es fehlen indessen eine (erschöpfende) Auseinandersetzung insbesondere mit der zu §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ergangenen und vom FG zur Stützung seiner Rechtsauffassung herangezogenen BFH- Rechtsprechung und eine Darlegung darüber, warum diese Rechtsprechung eine Klärung der streitigen Rechtsfrage nicht herbeigeführt habe.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, die nach ersatzloser Aufhebung eines gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheides oder nach Erlaß eines sog. negativen Feststellungsbescheides gemäß §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 gebotene Anpassung der Folgebescheide in weitgehendem Umfang zuzulassen. Die Bedeutung des §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 im Rahmen der Aufgabenverteilung zwischen Grundlagen- und Folgebescheid gebietet es, seinen Anwendungsbereich nicht auf die negative Aussage des Aufhebungs- oder negativen Feststellungsbescheides zu beschränken. "Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist vielmehr auch auf die Fälle zu erstrecken, in denen ein zur Tatbstandsverwirklichung i. S. de(s) ... §38 AO 1977 gehörender Sachverhalt (Sachverhaltskomplex), der zunächst in einem Grundlagenbescheid geregelt war, durch dessen Aufhebung oder Änderung aus dessen Regelungsbereich ausgegliedert und damit aus der Bindungswirkung entlassen wird" (BFH-Urteil vom 14. Juli 1993 X R 34/90, BFHE 172, 290, BStBl II 1994, 77, unter 5. b der Gründe, m. w. N. aus der BFH-Rechtsprechung; vgl. auch BFH-Urteil vom 11. April 1990 I R 82/86, BFH/NV 1991, 143, 144, mittlere Spalte, letzter Absatz f.). Ist ein bestimmter steuerlich relevanter Sachverhalt zunächst Gegenstand eines Feststellungsverfahrens, so ist das für den Folgebescheid zuständige FA durch die Bindung an den Feststellungsbescheid (§182 Abs. 1 AO 1977) gehindert, abschließend eigene Ermittlungen vorzunehmen. Erst die Aufhebung des Feststellungsbescheides oder der Erlaß eines negativen Feststellungsbescheides erlaubt es dem für den Erlaß des Folgebescheides zuständigen FA, den Sachverhalt, der bisher Gegenstand des Feststellungsverfahrens war, in eigener Zuständigkeit zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 9. Juni 1993 I R 90/92, BFHE 172, 298, BStBl II 1993, 822, unter 1. der Gründe, m. w. N.; vom 25. Juni 1991 IX R 57/88, BFHE 164, 502, BStBl II 1991, 821, m. w. N.; vom 28. November 1995 IX R 16/93, BFHE 179, 8, BStBl II 1996, 142, unter 2. a der Gründe). Diese Erwägungen sprechen maßgebend gegen die von der Klägerin befürwortete restriktive Interpretation des in §171 Abs. 10 AO 1977 statuierten Ablaufhemmungstatbestandes. So heißt es denn auch im BFH-Urteil in BFHE 172, 290, BStBl II 1994, 77 (unter 5. b der Gründe), daß ohne die extensive Interpretation des §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 "nicht sicherzustellen (sei), daß möglichst jeder materiell-rechtlich relevante Sachverhalt gemäß dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einer Einzelfallregelung i. S. des §118 Satz 1 AO 1977 zugeführt (werde): Denn nach den anderen in solchen Fällen in Betracht kommenden Korrekturregelungen (könne) sonst nicht ausgeschlossen werden, daß ein solcher Sachverhalt nur deshalb ungeregelt bleibe, weil er fälschlicherweise zunächst dem Regelungsbereich eines Feststellungsbescheides zugeordnet (worden sei) und die nach Entdeckung dieses Fehlers erforderliche Erfassung im ... Einkommensteuerbescheid am Eintritt der Verjährung ... (scheitere)" (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 172, 298, BStBl II 1993, 822).
Die substantiierte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage hätte es erfordert, daß sich die Klägerin mit dieser Rechtsprechung auseinandergesetzt hätte.
3. Fehlt es folglich an der schlüssigen Darlegung eines Zulassungsgrundes i. S. des §115 Abs. 2 FGO in bezug auf die erste, selbständig tragende Begründung des FG, kann offenbleiben, ob hinsichtlich der zweiten Begründung Zulassungsgründe in Betracht kommen.
4. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 154067 |
BFH/NV 1999, 513 |