Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnungen nur bei Vorliegen schwerwiegender Gründe
Leitsatz (NV)
Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 Abs. 1 FGO) setzt voraus, daß ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht wird. Dieser muß so schwerwiegend sein, daß eine einstweilige Anordnung unabweisbar erscheint.
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1, 3; ZPO § 920 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit Schreiben vom 3. September 1984 beantragte die Klägerin beim FG eine einstweilige Anordnung, durch die sichergestellt werden sollte, daß gewisse Teile der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Bundesamt für Finanzen) geführten Akten (die Blätter 1-4 der Akten) zur Einsicht zur Verfügung blieben.
Das FG lehnte den Antrag ab. Zur Begründung führte es aus, es könne dahingestellt bleiben, ob der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zulässig sei. Jedenfalls sei er - seine Zulässigkeit unterstellt - unbegründet, da es an der für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Darlegung und Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes fehle.
Gegen den ablehnenden Beschluß des FG legte die Klägerin Beschwerde ein.
Sie beantragt nunmehr, den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ,,zur Vorlage der Blätter 1-4 der entsprechenden Akten".
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der erkennende Senat teilt die Auffassung des FG, daß an der Zulässigkeit der Klage im Hauptverfahren Zweifel bestehen; insbesondere ist zweifelhaft, ob der Finanzrechtsweg (§ 33 FGO) gegeben ist (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. Dezember 1976 IV R 2/76, BFHE 120, 571, BStBl II 1977, 318). Falls die Klage im Hauptsacheverfahren unzulässig sein sollte, könnte auch keine einstweilige Anordnung ergehen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 114 FGO Tz. 2 m.w.N.). Die Zulässigkeit der Klage kann indessen hier auf sich beruhen, denn jedenfalls kann der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die nach § 114 FGO hierfür zu fordernden weiteren Voraussetzungen im Streitfall nicht vorliegen.
2. Nach § 114 Abs. 1 FGO kann eine einstweilige Anordnung nur ergehen, wenn es nötig ist, die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers zu sichern (§ 114 Abs. 1 Satz 1 FGO) oder einen vorläufigen Zustand in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zu regeln (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO). Beide Arten von Anordnungen setzen - entsprechend der in § 114 Abs. 3 FGO in Bezug genommenen Vorschrift des § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) - voraus, daß ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (vgl. BFH-Beschluß vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492).
Die Klägerin hat vor dem FG und dem BFH unterschiedliche Anträge gestellt. Sie hat vor dem FG eine einstweilige Anordnung begehrt, mit der sichergestellt werden sollte, daß die Blätter 1-4 der Akten des Beklagten zur Einsicht zur Verfügung blieben. Sie begehrt in der Beschwerdeinstanz nunmehr den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, die Blätter 1-4 der Akten des Beklagten ,,vorzulegen". Ob hinsichtlich dieser beiden Anordnungsbegehren ein Anordnungsanspruch gegeben ist, braucht der Senat nicht zu prüfen. Die Beschwerde kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes fehlt. Ein solcher ist nur dann gegeben, wenn die einstweilige Regelung, ,,um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint". Der Grund muß so schwerwiegend sein, daß eine einstweilige Anordnung unabweisbar ist (BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492). Zu seiner Glaubhaftmachung genügt es nicht, daß er nach schlüssiger Darstellung als möglich erscheint; es müssen vielmehr Tatsachen, die den Anordnungsgrund ergeben, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen (BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492).
Das FG hat zu Recht ausgeführt, es bestehe weder die ernste Gefahr, daß die Blätter 1-4 der Akten des Beklagten bei diesem verlorengingen, noch seien Zweifel daran berechtigt, daß der Beklagte eine Einsichtnahme in diesen Aktenteil vereiteln würde, falls er durch eine Entscheidung des Gerichts zur Gewährung der Akteneinsicht verpflichtet würde.
3. Die Entscheidung über die Beschwerde der Klägerin ergeht unter Mitwirkung der im Rubrum des Beschlusses genannten Richter. Eine Richterablehnung ist für diese Richter in dem hier durchgeführten Beschwerdeverfahren nicht erfolgt. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat zwar mit Schreiben vom 26. Oktober 1984 mitgeteilt, die Klägerin lege ,,Wert auf die Feststellung, daß gegen den Richter X von Seiten der Klägerin ein Befangenheitsantrag gestellt werden soll". Ein solcher Antrag ist jedoch tatsächlich nicht gestellt worden. Das in dem Verfahren IV B 107/84 von der Klägerin eingereichte Ablehnungsgesuch, das durch Beschluß des Senats vom 31. Januar 1985 IV S 11/84 als unzulässig verworfen wurde, hat auf das hier anhängige Beschwerdeverfahren keinen Einfluß. Selbst wenn man aber davon ausginge, daß das Gesuch auch für das - den Erlaß einer einstweiligen Anordnung betreffende - Beschwerdeverfahren gelten sollte, könnte ihm keine Folge gegeben werden, weil es - mangels Vertretung der Klägerin durch eine vertretungsbefugte Person (vgl. Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG) - unzulässig war.
Fundstellen
Haufe-Index 413793 |
BFH/NV 1986, 673 |