Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung zur Durchsetzung von Akteneinsicht?
Leitsatz (NV)
Wird mit einer Klage die Gewährung von Akteneinsicht begehrt, so fehlt es einem während des Klageverfahrens gestellten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, mit dem ebenfalls Akteneinsicht begehrt wird, an einem Rechtsschutzbedürfnis.
Normenkette
FGO § 144 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat beim Finanzgericht (FG) Klage wegen Auskunftserteilung und Akteneinsicht erhoben.
Im Rahmen des Klagebegehrens begehrte die Klägerin u. a. Einsicht in die Blätter 1-4 einer vom Beklagten und Beschwerdegegner (Beklagten) angelegten Akte. Das FG lehnte diesen Antrag ab.
Mit einem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung begehrte die Klägerin, ,,die Vorlage der Blätter 1-4 der entsprechenden Akten". Diesen Antrag lehnte das FG durch Beschluß vom 12. November 1984 mit der Begründung ab, der Antrag sei mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig. Der Beklagte habe das Antragsbegehren dadurch erfüllt, daß er dem Gericht die Blätter 1-4 der Akten übersandt habe. Der Antrag wäre im übrigen auch dann mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig, wenn das Begehren der Klägerin darauf gerichtet gewesen sein sollte, ihr Einblick in die genannten Blätter zu gewähren.
Gegen den Beschluß des FG vom 12. November 1984 legte die Klägerin Beschwerde ein. Zur Begründung führte sie aus, da die Blätter 1-4 der Akten des Beklagten dem FG übersandt worden seien, stehe ihr ein Recht auf Einsicht in diese Blätter zu.
Sie beantragt erneut, ,,die Blätter 1-4 zur Akteneinsicht vorzulegen".
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Abgesehen davon, daß zweifelhaft ist, ob die im Hauptverfahren erhobene Klage zulässig ist und der Erlaß einer einstweiligen Anordnung möglicherweise schon deshalb versagt werden mußte, weil die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen fehlten, liegen auch die nach § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu fordernden weiteren Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung im Streitfall nicht vor.
Nach § 114. Abs. 1 FGO kann eine einstweilige Anordnung nur ergehen, wenn es nötig ist, die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers zu sichern (§ 114 Abs. 1 Satz 1 FGO) oder einen vorläufigen Zustand in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zu regeln (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO). Beide Arten von Anordnungen setzen - entsprechend der in § 114 Abs. 3 FGO in Bezug genommenen Vorschrift des § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) - voraus, daß ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492).
Ob hinsichtlich des Anordnungsbegehrens der Klägerin ein Anordnungsanspruch gegeben ist, braucht der Senat nicht zu prüfen. Ihr Antrag mußte schon deshalb abgelehnt werden, weil es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes fehlt. Ein solcher ist nur dann gegeben, wenn die einstweilige Regelung, ,,um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint". Der Grund muß so schwerwiegend sein, daß eine einstweilige Anordnung unabweisbar ist (BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492). Zu seiner Glaubhaftmachung genügt es nicht, daß er nach schlüssiger Darstellung als möglich erscheint; es müssen vielmehr Tatsachen, die den Anordnungsgrund ergeben, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen (BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492).
Solche Tatsachen sind im Streitfall nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht erkennbar. Unter den gegebenen Umständen besteht keine ernste Gefahr, daß die Blätter 1-4 der Akten des Beklagten bei diesem verloren gehen. Es kann auch nicht ernsthaft angenommen werden, daß der Beklagte eine Einsichtnahme in diesen Aktenteil vereiteln würde, falls er durch eine Entscheidung des Gerichts zur Gewährung der Akteneinsicht verpflichtet würde; der Beklagte hat vielmehr durch Vorlage der Akten an das FG zu erkennen gegeben, daß er auf eine entsprechende gerichtliche Anforderung jederzeit die Akten zur Verfügung zu stellen bereit ist.
In dem hier anhängigen Verfahren, das den Antrag der Klägerin auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zum Gegenstand hat, wäre allerdings die Vorlage der Akten durch den Beklagten nicht erforderlich gewesen. Wenn dem FG die Akten gleichwohl vorgelegt wurden, so kann die Klägerin hieraus kein Recht auf Akteneinsicht ableiten. Wie schon in einer anderen Entscheidung des erkennenden Senats (Beschluß vom 26. September 1984 IV B 74/84) ausgeführt wurde, fehlt es im gegenwärtigen Verfahrensstadium an einem Rechtsschutzbedürfnis, der Klägerin Einsicht in die von ihr näher bezeichneten Akten zu gewähren. Denn die Klägerin begehrt schon mit ihrer Klage im Hauptsacheverfahren die Einsicht in diese Akten. Es würde das im Klageverfahren möglicherweise erzielbare Prozeßergebnis vorwegnehmen, wenn bereits jetzt - im Rahmen eines Verfahrens zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - die Einsicht in diese Akten gewährt werden würde.
2. Die von der Klägerin mit der Beschwerde erhobene Rüge, daß an dem angefochtenen Beschluß des FG vom 12. November 1984 zwei Richter mitgewirkt hätten, die bereits an einem vorausgegangenen Beschluß dieses Gerichts beteiligt waren, ist kein Grund, an der ordnungsmäßigen Besetzung des FG zu zweifeln.
Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang geltend macht, es sei davon auszugehen, ,,daß diese Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit im vorliegenden Antragsverfahren abzulehnen sind", so möchte sie hiermit offenbar nachträglich ein Ablehnungsgesuch gegen die an der Vorentscheidung beteiligten Richter anbringen. Ein solches Gesuch ist indessen nicht mehr zulässig, wenn das Gericht die Sachentscheidung, an der mitzuwirken der betreffende Richter gehindert werden soll, bereits getroffen ist (Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 51 FGO Tz. 10 a.E.).
Fundstellen
Haufe-Index 413794 |
BFH/NV 1986, 673 |