Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Verpflichtung des FG, das FA zur Ergänzung seiner Ermessenserwägungen aufzufordern
Leitsatz (NV)
Nach § 102 Satz 2 FGO kann die Finanzbehörde zwar ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des (angefochtenen) Verwaltungsakts bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen, das FG ist jedoch grundsätzlich nicht verpflichtet, das FA zu einer entsprechenden Ergänzung aufzufordern.
Normenkette
FGO §§ 96, 115, 102 S. 2
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger), der im April 2001 einen Antrag auf Dauerfristverlängerung zur Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen gestellt hatte, gab seine Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Juli und August 2001 am 19. Oktober 2001 ab. Wegen der verspäteten Abgabe setzte der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt ―FA―) Verspätungszuschläge in Höhe von 2 500 DM und 2 800 DM fest. Seine Einsprüche gegen die Festsetzung der Verspätungszuschläge begründete der Kläger nicht; das FA wies sie als unbegründet zurück.
Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt die Festsetzung der Verspätungszuschläge zwar dem Grunde nach für gerechtfertigt, der Höhe nach aber für ermessensfehlerhaft. Im Zeitraum zwischen April und Oktober 2001 seien bei prinzipiell gleichem Sachverhalt die Verspätungszuschläge um mehr als 400 v.H. gesteigert worden. Eine kontinuierliche Steigerung sei zwar erforderlich und angemessen, müsse sich aber im Rahmen halten und an den Kriterien des § 152 der Abgabenordnung (AO 1977) ausrichten. Dass der Verspätungszuschlag bereits bei der Voranmeldung für den Monat Juli die Hälfte des gesetzlichen Höchstsatzes, nämlich 5 v.H. erreiche, sei nicht mehr im Rahmen des gesetzlichen Ermessens. Bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags für August habe das FA ferner nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Fristüberschreitung in diesem Fall lediglich neun Tage betragen habe.
Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.
Hiergegen wendet sich das FA mit der vorliegenden Beschwerde, mit der es Verfahrensfehler und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). Die Beschwerde ist zu begründen; in der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 FGO).
1. Entgegen der Ansicht des FA hat das FG nicht gegen die Vorschrift des § 96 FGO verstoßen.
a) Dem Umstand, dass die Vorentscheidung die sich aus den Voranmeldungen für Januar bis März 2001 ergebenden Zahlungsansprüche nicht ausdrücklich nennt, kann nicht entnommen werden, dass das FG diese Zahlungsansprüche verfahrensfehlerhaft nicht festgestellt hat. Wie die Ausführungen des FG zum Ausmaß der Verspätung der Abgabe dieser Voranmeldungen zeigen, waren dem FG die Voranmeldungen bekannt. Wenn es den sich aus ihnen ergebenden Zahlungsansprüchen nicht die Bedeutung beimaß, die sie nach Ansicht des FA für das FG hätten haben müssen, kann daraus allenfalls ein materiell-rechtlicher Fehler der Vorentscheidung hergeleitet werden; ein Verfahrensmangel liegt insoweit nicht vor.
b) Ähnlich ist es mit der Rüge, das FG habe die das FA bei der Festsetzung der Verspätungszuschläge leitenden Erwägungen nicht festgestellt. Wie sich aus der Vorentscheidung ergibt, kannte das FG die Bescheide über die Festsetzung der Verspätungszuschläge für die genannten Voranmeldungen; es kannte deshalb auch die in den Bescheiden angegebenen Begründungen für die Verspätungszuschläge Januar bis März 2001. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass das FA weitere Ermessenserwägungen schriftlich festgehalten hatte, die das FG verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt hat.
c) Soweit das FA meint, das FG hätte ihm Gelegenheit geben müssen, weitere Ermessenserwägungen nachträglich anzustellen, kann dem nicht gefolgt werden. Nach § 102 Satz 2 FGO kann die Finanzbehörde zwar ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des (angefochtenen) Verwaltungsakts bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen, das FG ist jedoch grundsätzlich nicht verpflichtet, das FA zu einer entsprechenden Ergänzung aufzufordern. Das FA macht in diesem Zusammenhang nicht geltend, ihm sei das rechtliche Gehör versagt worden.
2. Die Revision ist auch nicht wegen der "Rechtsfrage, ob bei der Bemessung eines Verspätungszuschlags im Rahmen der Ermessenskriterien nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO eine Bindung an die Höhe von in der Vergangenheit festgesetzten Verspätungszuschlägen besteht und nur eine kontinuierliche Steigerung der Höhe der Verspätungszuschläge angemessen ist", zuzulassen.
Nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 sind bei der Bemessung des Verspätungszuschlags neben seinem Zweck, den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung anzuhalten, die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs, die aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile, sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Nach der Vorentscheidung ist dabei auch zu berücksichtigen, wie oft der Steuerpflichtige bereits die Erklärung verspätet abgegeben hat, wie lange schon er sich pflichtwidrig verhält und die Dauer der einzelnen Verspätung; bei wiederholter Verspätung muss sich eine Steigerung des Verspätungszuschlags im Rahmen halten. Weitere allgemeine Rechtsgrundsätze können der Vorentscheidung nicht entnommen werden, insbesondere kein Grundsatz einer generellen Bindung an die in der Vergangenheit festgesetzten Verspätungszuschläge. Der Senat kann auch keine allgemeinen Richtlinien geben, in welcher Höhe eine Steigerung der Verspätungszuschläge angemessen ist, falls diese dem Grunde nach gerechtfertigt erscheinen. Diese Fragen können nur im Einzelfall entschieden werden; ihnen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Es kann deshalb auch dahinstehen, ob das FG die angefochtenen Bescheide über die Festsetzung der Verspätungszuschläge zu Recht oder zu Unrecht aufgehoben hat.
Fundstellen
Haufe-Index 954361 |
BFH/NV 2003, 1202 |