Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensverstöße; Nichterhebung von Beweisen; Hinweispflicht des Gerichts
Leitsatz (NV)
1. Die schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels verlangt, dass diejenigen Tatsachen ‐ ihre Richtigkeit unterstellt ‐ genau und schlüssig bezeichnet werden, aus denen sich ergeben soll, dass der behauptete Verfahrensmangel vorliegt und das angefochtene Urteil ‐ nach der insoweit maßgebenden, gegebenenfalls auch unrichtigen materiell-rechtlichen Auffassung des Finanzgerichts ‐ auf ihm beruhen kann.
2. Ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil selbst, dass und weshalb das Gericht einen Beweis nicht erhoben hat, so genügt zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die schlichte Rüge der Nichterhebung des Beweises. Jedoch bedarf es zumindest der weiteren Auseinandersetzung mit dem Ablehnungsgrund des Gerichts.
3. Der richterliche Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO soll in erster Linie zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten geben, ohne dass indes deren Eigenverantwortlichkeit dadurch eingeschränkt oder beseitigt wird.
4. Inhalt und Umfang der gerichtlichen Hinweispflichten hängen von der Sach- und Rechtslage des Streitfalles ab, von der Mitwirkung der Beteiligten und von deren individuellen Möglichkeiten.
5. Die Rechtslage ist vergleichbar mit der Annahme eines Rügeverzichts durch nicht vertretene Beteiligte. Danach kann einem nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten die Unkenntnis von so genannten verzichtbaren Verfahrensverstößen, die einer entsprechenden Bewertung in der Laienspähre normalerweise verschlossen sind, regelmäßig nicht zugerechnet werden.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3; ZPO § 295
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 12.12.2006; Aktenzeichen 2 K 2700/05) |
Tatbestand
I. Der Senat sieht von der Wiedergabe des Tatbestandes nach § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat die behaupteten Verfahrensverstöße (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargetan (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
1. Die schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels verlangt, dass diejenigen Tatsachen --ihre Richtigkeit unterstellt-- genau und schlüssig bezeichnet werden, aus denen sich ergeben soll, dass der behauptete Verfahrensmangel vorliegt und das angefochtene Urteil --nach der insoweit maßgebenden, ggf. auch unrichtigen materiell-rechtlichen Auffassung des Finanzgerichts (FG)-- auf ihm beruhen kann (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. September 2006 VIII B 81/05, BFH/NV 2006, 2297, m.w.N.).
a) Der Kläger rügt die Nichterhebung eines Zeugenbeweises, nämlich die unterlassene Einvernahme des Vorsitzenden Richters beim Oberlandesgericht (OLG), vor dem am 2. März 1998 der für das finanzgerichtliche Verfahren ebenfalls maßgebende Vergleich geschlossen worden ist, wonach zur Abgeltung aller wechselseitigen Ansprüche gleichviel aus welchem Rechtsgrund die beklagte Bank an den Kläger einen Betrag von … DM entrichten sollte.
Das FG hat im angefochtenen Urteil die Einvernahme deshalb als entbehrlich bezeichnet, weil der Kläger selbst angegeben habe, ihm sei der Vergleichsvorschlag des OLG mündlich vom Vorsitzenden Richter eingehend dahingehend erklärt worden, dass er in Zukunft keine weiteren Ansprüche mehr gegen die Bank aus Schadensersatz, ungerechtfertigter Bereicherung, sonstiger Anspruchsgrundlage oder wegen Zinsen geltend machen könne. Damit habe der Kläger zu erkennen gegeben, dass Ziel des Vergleiches auch die Abgeltung von Zinsansprüchen gewesen sei.
Ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil selbst, dass und weshalb das Gericht einen Beweis nicht erhoben hat, so genügt zur Bezeichnung des Verfahrensfehlers zwar die schlichte Rüge der Nichterhebung des Beweises (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 2297, m.w.N.). Indes bedarf es zumindest der weiteren Auseinandersetzung mit dem Ablehnungsgrund des Gerichts.
Hierzu macht der Kläger geltend, die wortgetreue Auslegung von schriftlichen Äußerungen --gemeint ist wohl die vom Kläger persönlich verfasste Klageschrift vom 5. Dezember 2005-- könne bei einem nicht juristisch geschulten Bürger, auch wenn er schon an Gerichtsverfahren beteiligt gewesen sei, nicht vorgenommen werden.
Indes drehte sich der gesamte Rechtsstreit ausschließlich um die Frage, ob in der Vergleichssumme anteilige Zinsen, die als Kapitaleinkünfte zu besteuern sind, enthalten sind. Dem Kläger, der ausweislich seiner Steuererklärung Betriebswirt ist, konnte auch im Rahmen einer Wertung in der sog. Laiensphäre die Entscheidungserheblichkeit genau dieser Frage nicht verborgen geblieben sein, vor allem auch die Tragweite des das Klageverfahren bzw. das Berufungsverfahren vor den ordentlichen Gerichten insgesamt beendigenden Prozessvergleichs.
Der Wortlaut des vor dem OLG abgeschlossenen Prozessvergleichs konnte vor dem Hintergrund der sowohl auf Schadensersatz als auch auf Zinsersatz gerichteten Zivilklage gar nicht anders verstanden werden, als dass sämtliche geltend gemachten Ansprüche abgegolten und damit selbstverständlich auch ihre künftige Verfolgung ausgeschlossen sein würde. Nicht anders konnte die Erklärung des Klägers zu den eingehenden Erläuterungen des Vorsitzenden Richters am OLG verstanden werden. Aufgrund dieser Sachlage bedurfte es keiner weiteren Beweiserhebung durch Zeugeneinvernahme mehr.
b) Die in diesem Zusammenhang des Weiteren erhobene Rüge, das FG sei seiner Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO nicht hinreichend nachgekommen, es hätte dem Kläger durch sachdienliche Fragen Gelegenheit geben müssen, seine Vorstellungen sachlich und prozessual richtigzustellen, ist ebenfalls nicht hinreichend substantiiert.
Der richterliche Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO soll in erster Linie zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten geben, ohne dass indes deren Eigenverantwortlichkeit dadurch eingeschränkt oder beseitigt wird. Der Erfolg einer Klage soll nicht an der Rechtsunerfahrenheit des Klägers scheitern.
Inhalt und Umfang der aus § 76 Abs. 2 FGO folgenden Hinweispflichten sind allerdings von der Sach- und Rechtslage des einzelnen Falles abhängig, von der Mitwirkung der Beteiligten und von deren individuellen Möglichkeiten (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Januar 2004 III B 60/03, juris).
Die Rechtslage ist vergleichbar mit der Annahme eines Rügeverzichts gemäß § 295 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO durch nicht vertretene Beteiligte. Danach kann einem nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten zwar die Unkenntnis von sog. verzichtbaren Verfahrensverstößen, die einer entsprechenden Wertung in der Laiensphäre normalerweise verschlossen sind, regelmäßig nicht zugerechnet werden, (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. Dezember 2004 III B 160/03, BFH/NV 2005, 1075; vom 15. Juli 2003 VIII B 76/03, BFH/NV 2004, 50, m.w.N.).
Wie unter II.1.a der Gründe dieses Beschlusses jedoch bereits ausgeführt worden ist, war die vom FG vorgenommene Auslegung des Vergleichs und der klägerischen Erklärung zu den Umständen dieses Vergleichs derart naheliegend, dass für das FG auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger nicht fachkundig vertreten war, kein Anlass zu weiteren Fragen oder Hinweisen bestehen musste.
Fundstellen
Haufe-Index 1849398 |
BFH/NV 2008, 241 |