Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausfuhrerstattung; AdV der Festsetzung von Aufschubzinsen
Leitsatz (NV)
Wird zu Unrecht gewährte vorfinanzierte Ausfuhrerstattung zurückgefordert, liegt in der entsprechenden Feststellung der zuständigen Behörde, dass der vorfinanzierte Betrag ganz oder teilweise zu Unrecht gewährt worden ist, und der Aufforderung an den Beteiligten, den Differenzbetrag zu zahlen, zugleich die Anordnung des Verfalls der Sicherheit i.S. des Art. 29 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2220/85, die im Fall ihrer Vollziehungsaussetzung zur Zahlung von Aufschubzinsen verpflichtet. Einer neben den Rückforderungsbescheid tretenden gesonderten Verfallsanordnung bedarf es nicht.
Normenkette
EWGV 565/80 Art. 6; EWGV 2220/85 Art. 19 Abs. 1, Art. 29 Abs. 1, 3; EWGV 3665/87 Art. 33 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) war 1995 für die Ausfuhr von Weichweizen antragsgemäß Ausfuhrerstattung im Wege der Vorfinanzierung gewährt worden. Mit der Begründung, dass der Nachweis der Einfuhr der Erzeugnisse im Bestimmungsland nicht erbracht worden sei, forderte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) mit zwei Bescheiden vom 22. Juli 1997 über die Festsetzung der Ausfuhrerstattung und Freigabe der Sicherheit die gewährte vorfinanzierte Ausfuhrerstattung zuzüglich eines Zuschlags von 20 % zurück, forderte die Antragstellerin auf, die Rückforderungsbeträge innerhalb von 30 Tagen zu zahlen, und wies darauf hin, dass bei ausbleibender Zahlung die Sicherheit gemäß Art. 29 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 (VO Nr. 2220/85) der Kommission vom 22. Juli 1985 mit gemeinsamen Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Sicherheiten für landwirtschaftliche Erzeugnisse (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 205/5) in Anspruch genommen werde. Hiergegen erhob die Antragstellerin Einspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Mit Bescheid vom 19. Februar 1998 gewährte das HZA die beantragte AdV nur hinsichtlich eines Teilbetrags, mit Bescheid vom 22. Juni 1998 auch hinsichtlich des restlichen streitigen Betrags; eine Verlängerung der AdV erfolgte mit Bescheid vom 3. März 2003. Nachdem das HZA mit Berichtigungsbescheid vom 10. Juli 2003 den Rückforderungsbetrag reduziert hatte, nahm die Antragstellerin ihren Einspruch gegen die Bescheide vom 22. Juli 1997 zurück.
Unter Hinweis auf das genannte Einspruchsverfahren betreffend die Bescheide vom 22. Juli 1997 setzte das HZA mit Bescheid vom 27. November 2003 Aufschubzinsen gemäß Art. 29 Abs. 3 VO Nr. 2220/85 fest. Hiergegen erhob die Antragstellerin Einspruch und beantragte zugleich AdV, die das HZA mit Bescheid vom 20. Februar 2004 ablehnte. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch wies das HZA mit Einspruchsentscheidung vom 22. Juni 2004 zurück.
Auf den daraufhin beim Finanzgericht (FG) gestellten Antrag auf AdV setzte dieses die Vollziehung des Bescheids vom 27. November 2003 ohne Sicherheitsleistung aus den in Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2005, 95 veröffentlichten Gründen aus.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des HZA, mit der es geltend macht, dass mit den Bescheiden vom 22. Juli 1997 die Voraussetzungen für die Erhebung von Zinsen gemäß Art. 29 Abs. 3 VO Nr. 2220/85 erfüllt seien; eines eigenständigen Verwaltungsakts, mit dem der Verfall der Sicherheit angeordnet werde, bedürfe es nicht. Die Bescheide vom 22. Juli 1997 hätten die Aufforderung an die Antragstellerin enthalten, den Rückforderungsbetrag zu zahlen, und hätten damit zugleich zum Ausdruck gebracht, dass der fällige Ausfuhrerstattungsbetrag niedriger sei als der vorfinanzierte Betrag und daher die Voraussetzungen vorlägen, die zu einem Verfall der Sicherheit führten.
Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Antrag auf AdV des Bescheids vom 27. November 2003 abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie schließt sich der Auffassung des FG an, dass es an der erforderlichen behördlichen Anordnung des Verfalls der Sicherheit im Streitfall fehle, weil die Rückforderung der vorfinanzierten Ausfuhrerstattung und die Erklärung, dass die Sicherheit verfallen sei, unterschiedliche und voneinander zu trennende Regelungen seien. Art. 29 Abs. 3 VO Nr. 2220/85 verlange eine Verfallsanordnung zusätzlich zur Aufforderung zur Rückzahlung.
Entscheidungsgründe
II. Die nach § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des HZA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Ablehnung des Antrags auf AdV.
Anders als das FG meint, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 27. November 2003 (§ 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 FGO). Nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist zwar mit dem FG davon auszugehen, dass Art. 29 Abs. 3 VO Nr. 2220/85 die Anordnung des Verfalls der Sicherheit voraussetzt --was offenbar auch der Auffassung der Beteiligten entspricht--; nach Ansicht des erkennenden Senats stellen jedoch die Bescheide vom 22. Juli 1997 eine solche Verfallsanordnung dar.
Rechtsgrundlage für die Rückforderung der im Streitfall gewährten Vorfinanzierung der Ausfuhrerstattung war Art. 6 der Verordnung (EWG) Nr. 565/80 (VO Nr. 565/80) des Rates vom 4. März 1980 über die Vorauszahlung von Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABlEG Nr. L 62/5) i.V.m. Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 (VO Nr. 3665/87) der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABlEG Nr. L 351/1) i.d.F. der Verordnung (EWG) Nr. 1615/90 der Kommission vom 15. Juni 1990 (ABlEG Nr. L 152/33) i.V.m. Art. 29 VO Nr. 2220/85 (vgl. Senatsurteil vom 18. Mai 1993 VII R 70/92, BFH/NV 1994, 208; Senatsbeschlüsse vom 1. Februar 2001 VII B 139/00, BFH/NV 2001, 947; vom 15. März 2001 VII B 256/00, BFH/NV 2001, 1051).
Voraussetzung für die Gewährung vorfinanzierter Ausfuhrerstattung ist gemäß Art. 6 Satz 1 VO Nr. 565/80 und Art. 31 VO Nr. 3665/87 die Leistung einer Sicherheit, durch die die Rückzahlung des gewährten Betrags, zuzüglich eines Zusatzbetrags, sichergestellt wird. Diese Sicherheit verfällt nach Art. 6 Satz 2 Anstrich 2 VO Nr. 565/80 ganz oder teilweise, wenn --wie im Streitfall-- kein Erstattungsanspruch besteht oder Anspruch auf eine niedrigere Erstattung bestand. In diesem Fall hat das HZA außerdem gemäß Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3665/87 das Verfahren nach Art. 29 VO Nr. 2220/85 einzuleiten, um zu erwirken, dass der Beteiligte den um 20 % erhöhten Differenzbetrag erstattet. Dies bedeutet, dass das HZA dem zur Rückzahlung Verpflichteten nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 2220/85 zunächst Gelegenheit geben muss, den "verfallenen Betrag" binnen 30 Tagen zu zahlen, bevor es gemäß den Vorschriften in Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 2220/85 auf die Sicherheit zugreift.
Daraus folgt, dass die Sicherheit in dem Zeitpunkt, in dem der Beteiligte zur Rückzahlung des zu Unrecht erhaltenen Vorfinanzierungsbetrags aufgefordert wird, bereits verfallen ist. Die Sicherheit verfällt --wie ausgeführt-- nach Art. 6 Satz 2 Anstrich 2 VO Nr. 565/80 ganz oder teilweise, wenn kein Erstattungsanspruch besteht oder Anspruch auf eine niedrigere Erstattung bestand. Der Zeitpunkt, zu dem das HZA über den Eintritt des Verfalls der Sicherheit entscheidet, ist danach der Zeitpunkt, in dem es nach Prüfung des Erstattungsvorgangs zu der Entscheidung gelangt, dass der Anspruch auf Ausfuhrerstattung nicht in der vorfinanzierten Höhe besteht, und den Beteiligten mit Rückforderungsbescheid zur Rückzahlung des Differenzbetrags auffordert. In der Feststellung, dass der vorfinanzierte Betrag ganz oder teilweise zu Unrecht gewährt worden ist, und der Aufforderung zur entsprechenden Rückzahlung liegt daher zugleich die Entscheidung über den Verfall der Sicherheit. Dementsprechend lässt Art. 29 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2220/85 den Lauf der Aufschubzinsen "30 Tage nach dem Tag des Zugangs der Zahlungsaufforderung" beginnen.
Dass die Anordnung des Verfalls der Sicherheit ausdrücklich oder ggf. gesondert zu erfolgen hat, lässt sich weder dem Wortlaut der maßgebenden Vorschriften entnehmen noch ergäbe dies einen Sinn. Das HZA hat nach Prüfung des Erstattungsvorgangs nur zwei Möglichkeiten: Es stellt entweder fest, dass der Erstattungsanspruch in der vorfinanzierten Höhe besteht, setzt ihn fest und verrechnet ihn mit dem vorfinanzierten Betrag (Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 3665/87) und gibt die Sicherheit frei (Art. 19 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 2220/85); oder es stellt mit Rückforderungsbescheid fest, dass der Erstattungsanspruch nicht in der vorfinanzierten Höhe besteht --was nach Art. 6 Satz 2 Anstrich 2 VO Nr. 565/80 zu der Rechtsfolge führt, dass die Sicherheit verfallen ist--, und fordert den Beteiligten nach Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3665/87 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 VO Nr. 2220/85 auf, den Differenzbetrag binnen 30 Tagen zu zahlen. Eine dritte Möglichkeit --wie sie offenbar vom FG und von der Antragstellerin für denkbar gehalten wird--, dass das HZA mit Rückforderungsbescheid zur Zahlung des zu Unrecht erhaltenen vorfinanzierten Betrags auffordert, den Verfall der Sicherheit jedoch nicht anordnet, ist nach den genannten Vorschriften nicht vorgesehen. Insoweit beruft sich die Antragstellerin ohne Erfolg auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 21. März 2000 Rs. C-217/98 (EuGHE 2000, I-1619), denn dieser Entscheidung lag --worauf das HZA zutreffend hinweist-- ein Fall zu Grunde, in dem der Ausführer seinen Antrag auf Vorfinanzierung zurückgenommen hatte; für das Verfahren gemäß Art. 29 VO Nr. 2220/85 in Fällen der vorliegenden Art lässt sich diesem Urteil nichts entnehmen, was die Rechtsauffassung des FG bzw. der Antragstellerin stützt.
Das HZA ist im Streitfall in der vorgeschriebenen Weise verfahren. Es hat mit den Bescheiden vom 22. Juli 1997 festgestellt, dass kein Erstattungsanspruch der Antragstellerin bestand, hat die gewährte vorfinanzierte Ausfuhrerstattung zuzüglich eines Zuschlags von 20 % zurückgefordert und hat die Antragstellerin aufgefordert, die Rückforderungsbeträge innerhalb von 30 Tagen zu zahlen. Damit war gemäß Art. 6 Satz 2 Anstrich 2 VO Nr. 565/80 der Verfall der Sicherheit eingetreten und auch --wie es das FG für erforderlich hält-- "behördlich angeordnet". Dementsprechend zutreffend hat das HZA seine Bescheide als "Bescheide über die Festsetzung der Ausfuhrerstattung und Freigabe der Sicherheit" bezeichnet, denn es hatte über das Bestehen des Erstattungsanspruchs der Antragstellerin und damit zugleich darüber zu entscheiden, ob die Sicherheit freizugeben oder diese verfallen war.
Da die Vollziehung der Bescheide vom 22. Juli 1997 --und damit die Vollziehung der Entscheidung über den Verfall der Sicherheit-- auf den Einspruch der Antragstellerin hin ausgesetzt worden ist, sind die Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 3 Unterabs. 1 VO Nr. 2220/85 für die Erhebung von Aufschubzinsen erfüllt. Gegen die Höhe der berechneten Zinsen hat die Antragstellerin keine Einwendungen erhoben. Dass die Vollziehung des Bescheids vom 27. November 2003 für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 1374693 |
BFH/NV 2005, 1401 |