Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenvorstellung: Voraussetzung für Änderung eines Beschlusses wegen Verletzung rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
- Wird einem Beteiligten unter Hinweis auf Zweifel an der Zulässigkeit der Beschwerde Gelegenheit gegeben, bis zum Ablauf einer Frist eine eventuelle Rücknahme zu erklären, obliegt es dem Beteiligten, für den rechtzeitigen Eingang der Rücknahmeerklärung Sorge zu tragen.
- Selbst wenn § 56 FGO sinngemäß auch bei nicht richterlichen Fristen anzuwenden wäre, wäre jedenfalls Voraussetzung, dass innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die Gründe für die Wiedereinsetzung substantiiert dargelegt werden.
Normenkette
FGO § 56
Tatbestand
1. Die Klägerin, Beschwerdeführerin und Antragstellerin (Klägerin) erhob mit Telefax vom 17. Februar 2002 gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 8. Januar 2002 Beschwerde. Die Geschäftsstelle des erkennenden Senats wies die Klägerin mit Schreiben vom 21. Februar 2002 darauf hin, dass die Beschwerde nicht von einer der in § 62a der Finanzgerichtsordnung (FGO) bezeichneten, zur Vertretung berechtigten Person eingelegt worden ist und bat um Mitteilung bis zum 15. März 2002, ob sie die Beschwerde zurücknehmen wolle. Nachdem sich die Klägerin hierzu nicht geäußert hatte, verwarf der erkennende Senat mit Beschluss vom 27. März 2002 die Beschwerde als unzulässig.
Mit Telefax vom 6. Mai 2002 bat die Klägerin, die Kostenentscheidung auf sich beruhen zu lassen; sie habe mit Schreiben vom 13. März 2002 die Rücknahme erklärt. Auf die Mitteilung der Geschäftsstelle des erkennenden Senats, ein Schreiben vom 13. März 2002 sei beim Bundesfinanzhof (BFH) nicht eingegangen und die Aufforderung innerhalb von 14 Tagen die Absendung des Schreibens zu konkretisieren, beantragte die Klägerin unter Hinweis darauf, das Schreiben sei "am 13. März 2002 an den Bundesfinanzhof mit normaler Post abgeschickt" worden, die Kostenentscheidung auf sich beruhen zu lassen.
Entscheidungsgründe
2. Die Gegenvorstellung ist unzulässig, weil nicht statthaft.
a) Gegen den Beschluss des Senats vom 27. März 2002 sind Rechtsmittel nicht gegeben. Die Aufhebung oder Änderung einer formell rechtskräftigen Entscheidung auf Gegenvorstellung ist nach der Rechtsprechung des BFH nicht möglich (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 8. Oktober 1998 IX S 8/98, BFH/NV 1999, 499; vom 22. August 1996 X B 305/95, BFH/NV 1997, 55, m.w.N.). Die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnahmsweise eine Gegenvorstellung statthaft ist, wenn das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 des Grundgesetzes ―GG―) verletzt oder gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG) verstoßen wurde, liegen hier offensichtlich nicht vor.
b) Eine Nichtzulassungsbeschwerde darf ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers zurückgewiesen werden (vergl. z.B. BFH-Beschluss vom 13. März 2000 VIII E 1/00, BFH/NV 2000, 1120); eine solche Anhörung ist nur bei der Revisionsentscheidung nach § 126a FGO ―nicht aber bei der Entscheidung über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nach § 116 Abs. 5 FGO― vorgesehen. Wird einem Beteiligten ―wie hier von der Geschäftsstelle des erkennenden Senats― unter Hinweis auf Zweifel an der Zulässigkeit der Beschwerde Gelegenheit gegeben, zur Vermeidung von Gerichtskosten bis zum Ablauf einer bezeichneten Frist eine eventuelle Rücknahme zu erklären, obliegt es dem Beteiligten, für den rechtzeitigen Eingang einer Rücknahmeerklärung Sorge zu tragen.
c) Auch die Berücksichtigung des ―in § 56 FGO für gesetzliche Fristen formulierten― allgemeinen Gedankens, dass jedermann vor Gericht Anspruch auf rechtliches Gehör hat und einen prozessualen Nachteil nicht hinzunehmen braucht, wenn er schuldlos gehindert war, Entscheidungserhebliches rechtzeitig vorzubringen, rechtfertigt keine Änderung des Beschlusses. Auch wenn man für atypische Sachverhalte generell eine entsprechende Anwendung des § 56 FGO bejahte (vergl. BFH-Beschluss vom 7. Mai 2001 III B 10/01, BFH/NV 2001, 1421, m.w.N.), wäre jedenfalls erforderlich, dass innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist substantiell und schlüssig Wiedereinsetzungsgründe dargelegt werden.
d) Grundsätzlich darf der Prozessbeteiligte auf die normalen Postlaufzeiten vertrauen. Allerdings trifft ihn gegen Ende einer noch laufenden Frist unter Umständen eine gesteigerte Sorgfaltspflicht, so dass er eine Beförderungsart wählen muss, die den rechtzeitigen Zugang des Fristverlängerungsantrags noch gewährleistet. Im Fall des verspäteten Eingangs oder des Verlustes eines angeblich fristgerecht abgesandten Schriftstückes müssen die Tatsachen substantiiert vorgetragen werden, aus denen sich die rechtzeitige Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes zur Post ergibt. Daran fehlt es.
Auf die Mitteilung der Geschäftsstelle vom 14. Mai 2002, ein Rücknahmeschreiben vom 13. März 2002 sei bisher nicht eingegangen, und die Aufforderung, innerhalb von 14 Tagen die rechtzeitige Absendung zu konkretisieren, hat die Klägerin unter dem 21. Juni 2002 mitgeteilt, der Brief sei "am 13. März 2002 abgeschickt" worden. Das genügt nicht als Konkretisierung.
e) Auch ein Absehen von der Erhebung der Kosten nach § 8 des Gerichtskostengesetzes (GKG) kommt nicht in Betracht. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG werden Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben. Eine unrichtige Sachbehandlung i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG liegt nur vor, wenn das Gericht offensichtlich gegen eine eindeutige gesetzliche Norm verstoßen hat oder ihm ein offensichtliches Versehen unterlaufen ist (z.B. BFH-Beschluss vom 25. Februar 1999 III E 2/98, BFH/NV 1999, 1115, ständige Rechtsprechung). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
3. Für eine unzulässige Gegenvorstellung sind mangels Gebührentatbestand im Gerichtskostengesetz keine Gerichtskosten zu erheben.
Fundstellen
Haufe-Index 870800 |
BFH/NV 2003, 175 |