Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung - Anordnungsgrund
Leitsatz (NV)
Ein Anordnungsgrund für eine Regelungsanordnung (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO) ist im allgemeinen nur gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist.
Normenkette
FGO § 114
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) schuldet dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) rückständige Einkommensteuer und Kirchensteuer sowie Umsatzsteuer nebst Säumniszuschlägen und Verspätungszuschlag zur Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt . . . DM. Wegen dieser Rückstände betreibt das FA die Vollstreckung. Mit Verfügung . . . lehnte es den vom Antragsteller beantragten Vollstreckungsaufschub ab; über die dagegen eingelegte Beschwerde hat die Oberfinanzdirektion (OFD) noch nicht entschieden. Auch ein Antrag des Antragstellers, die Rückstände zu stunden, weil aufgrund der Einkommensteuererklärung 1987 mit einem hohen Erstattungsbetrag sowie einem Verlustrücktrag zu rechnen sei, blieb erfolglos. Zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung führte das FA aus, es müsse erst noch ermittelt werden, ob und in welcher Höhe sich ein verrechenbares Guthaben aus der Einkommensteuererklärung 1987 ergeben werde.
Daraufhin beantragte der Antragsteller beim Finanzgericht (FG), das FA im Wege der einstweiligen Anordnung anzuweisen, die Zwangsvollstreckung hinsichtlich der rückständigen Abgabenbeträge einstweilen einzustellen sowie die Pfändung der Bankkonten aufzuheben bis einen Monat nach Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheides 1987.
Zur Begründung seines Antrags trug er vor, wegen des im Jahre 1987 angefallenen gewerblichen Veräußerungsverlustes gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von . . . ergebe sich für 1987 ein Erstattungsbetrag in Höhe von . . . sowie aufgrund des Verlustrücktrags nach 1985 und 1986 auch für diese Jahre ein immenser Rückzahlungsbetrag. Der Verlust beruhe darauf, daß aufgrund des Konkursantrags . . . über das Vermögen einer GmbH, an der er wesentlich beteiligt gewesen sei, seine Stammeinlage, sein Darlehensanspruch (verdecktes Nennkapital) und der Zinsanspruch verlorengegangen seien.
Das FG lehnte den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung ab, der Antragsteller habe den Anordnungsanspruch nicht schlüssig dargelegt und nicht glaubhaft gemacht. Es stehe gegenwärtig noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, daß der geltend gemachte Veräußerungsverlust anerkannt werden könne und es für 1987 zu einer Einkommensteuererstattung komme. Der Antragsteller habe bisher noch nicht alles seinerseits Erforderliche getan, um den Verlust glaubhaft zu machen. Er sei den zur Sachverhaltsaufklärung ergangenen Hinweisen und Verfügungen des FA und des Gerichts nur unzureichend nachgekommen, so daß auch nicht überschlägig ermittelt werden könnte, ob und ggf. in welcher Höhe ein Verlust des Stammkapitals der GmbH sowie von Gesellschafterdarlehen nebst Zinsen bei der Ermittlung seiner Einkünfte aus Gewerbebetrieb durch Auflösung einer Kapitalgesellschaft bei wesentlicher Beteiligung (§ 17 Abs. 4 EStG) im Jahre 1987 abziehbar sei.
Mit der Beschwerde hält der Antragsteller an seinem Antrag auf Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung fest. Er macht geltend, er habe entgegen der Auffassung des FG alles seinerseits Erforderliche getan, um den geltend gemachten Verlust sowie den sich ergebenden Erstattungsanspruch aus der Einkommensteuerveranlagung 1987 glaubhaft zu machen. Die GmbH-Bilanz für das Geschäftsjahr 1987 könne allerdings deshalb nicht vorgelegt werden, weil die Aufstellung einer Bilanz nach Konkursantrag bzw. Konkurseröffnung jeglichem Handelsbrauch widerspreche. Die dem Gericht vorgelegten sonstigen Unterlagen reichten aber zu der erforderlichen Glaubhaftmachung des Auflösungsverlustes aus. Dieser sei im Jahre 1987 zu berücksichtigen, weil er - der Antragsteller - bereits ab dem Zeitpunkt des Konkursantrages davon habe ausgehen müssen, daß seine Stammeinlage sowie die Gesellschafterdarlehen verloren seien. Es müsse unter Billigkeitsgesichtspunkten berücksichtigt werden, daß es ihm zur Zeit nicht möglich sei, die vom FA geforderten Beträge aufzubringen. Die Weiterführung der Vollstreckungsmaßnahmen hätte seinen persönlichen Konkurs zur Folge.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Es vertritt die Auffassung, der vom Antragsteller geltend gemachte Veräußerungsverlust gemäß § 17 EStG könne sich nicht bei der Einkommensteuerveranlagung 1987, die mit Bescheid . . . durchgeführt worden sei, sondern frühestens im Jahre 1988 auswirken, weil das Konkursverfahren über das Vermögen der GmbH erst am . . . eröffnet worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die vom Antragsteller beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen.
Der Antragsteller begehrt die einstweilige Einstellung der Vollstreckung und die Aufhebung bereits durchgeführter Pfändungsmaßnahmen im Hinblick auf die von ihm geltend gemachte Möglichkeit der Verrechnung seiner Steuerschulden mit Erstattungsansprüchen, die sich aus der Einkommensteuerveranlagung 1987 sowie infolge Verlustrücktrags bei seiner Einkommensteuer 1985 und 1986 ergeben sollen, bis einen Monat nach Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids 1987. Für den Antrag des Antragstellers ist - seinem Wortlaut entsprechend - das Rechtschutzinteresse entfallen, nachdem das FA die Einkommensteuerveranlagung 1987 durchgeführt und der Steuerbescheid - wie mit der Beschwerdeerwiderung unwidersprochen vorgetragen - dem Antragsteller am . . . zugestellt worden ist. Der Zeitraum, für den dem Antragsteller seinem Antrag gemäß einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden soll, ist demnach bereits abgelaufen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers dahin ausgelegt werden könnte, die begehrte einstweilige Anordnung für den Zeitraum zu erlassen, für den das FA den in der Steuererklärung geltend gemachten Verlust aus der wesentlichen GmbH-Beteiligung (§ 17 EStG) bei der Einkommensteuerveranlagung 1987 noch nicht berücksichtigt hat, und ob somit ein etwaiges Rechtsbehelfsverfahren gegen den nunmehr ergangenen Einkommensteuerbescheid 1987 in den Anordnungszeitraum einbezogen werden könnte. Der Senat braucht auch nicht zu entscheiden, ob die Vorentscheidung zu Recht davon ausgegangen ist, daß der Antragsteller einen Anordnungsanspruch mangels schlüssiger Darlegung des geltend gemachten Verlustes gemäß § 17 EStG für den Veranlagungszeitraum 1987 nicht glaubhaft gemacht hat. Für die einstweilige Einstellung oder Aufhebung der Vollstreckung (§ 258 der Abgabenordnung - AO 1977 -) im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 114 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) kann nicht allein auf das Bestehen oder die Glaubhaftmachung eines zur Verrechnung mit den Steuerschulden geeigneten Erstattungsanspruchs, den das FA auch mit der Einkommensteuerveranlagung 1987 abgelehnt hat, abgestellt werden. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, daß nicht nur ein Anordnungsanspruch, sondern auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Die Vorentscheidung ist jedenfalls deshalb zutreffend, weil der Antragsteller für die begehrte einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung keinen Anordnungsgrund dargelegt und glaubhaft gemacht hat.
Der Antragsteller begehrte eine Regelungsanordnung i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO. Diese Vorschrift räumt dem Gericht keine schrankenlose Befugnis zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung ein. Die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ausdrücklich genannten Gründe (,,wesentliche Nachteile" und ,,drohende Gewalt") setzen Maßstäbe auch für die ,,anderen Gründe" im Sinne dieser Bestimmung. ,,Andere Gründe" rechtfertigen eine einstweilige Anordnung nur dann, wenn sie für die begehrte Regelungsanordnung ähnlich gewichtig und bedeutsam sind, wie ,,wesentliche Nachteile" oder ,,drohende Gewalt"; sie müssen so schwerwiegend sein, daß sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, BStBl II 1983, 233, 236). Solche Anordnungsgründe sind im allgemeinen nur gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist. Umstände, wie die Bezahlung von Steuern, auch wenn sie möglicherweise nach einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren zu erstatten wären, eine zur Bezahlung von Steuern notwendige Kreditaufnahme, ein Zurückstellen betrieblicher Investitionen oder eine Einschränkung des gewohnten Lebensstandards, sind - für sich allein gesehen - keine Anordnungsgründe (BFH-Beschluß vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492). Der Steuerschuldner muß deshalb die Vollstreckung aus Steuerbescheiden grundsätzlich dulden. Er kann allenfalls mit der Geltendmachung von Beeinträchtigungen gehört werden, die über den allgemeinen Nachteil einer Steuerzahlung oder einer Zwangsvollstreckung hinausgehen (BFH-Beschluß vom 25. November 1986 VII B 123/86, BFH/NV 1987, 522).
Der Antragsteller hat derartige wesentliche Nachteile, die den Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung unabweisbar machen würden, weder dargetan noch glaubhaft gemacht. Er hat im Verfahren vor dem FG lediglich vorgetragen, daß ihm erhebliche Nachteile drohten, wenn das FA die Vollstreckung weiter betreibe und ihn zum Offenbarungseid zwinge. Die Vollstreckung in die Bankkonten müßte dringend aufgehoben werden, damit er wieder seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen könne. Im Beschwerdeverfahren hat der Antragsteller behauptet, es sei ihm zur Zeit nicht möglich, die Steuerrückstände zu begleichen; die Weiterführung der Vollstreckungsmaßnahmen hätte seinen persönlichen Konkurs zur Folge. Der Antragsteller muß - wie oben ausgeführt - die üblicherweise mit einer Zwangsvollstreckung verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmen. Das gilt auch für die Pfändung von Bankkonten. Soweit der Antragsteller darüber hinaus schwerwiegende Nachteile angeführt hat, die ihm bei einer Fortführung der Vollstreckung drohen, sind diese nicht näher substantiiert und in keiner Weise glaubhaft gemacht worden. So ist es im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ersichtlich, daß das FA den Antragsteller zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§ 248 AO 1977) auffordern wird, falls die Vollstreckung ohne Erfolg bleibt. Für den Senat ist noch nicht einmal erkennbar, daß die vom FA veranlaßten Pfändungsmaßnahmen nicht zu dessen Befriedigung führen. Erst recht fehlt es an einer Darlegung und Glaubhaftmachung der Umstände, die bei einem Unterbleiben der begehrten einstweiligen Anordnung zur Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Antragstellers führen sollen. Der Antragsteller hat noch nicht einmal dargetan, warum er sich nicht - bis zur endgültigen Entscheidung über seinen Erstattungsanspruch - auf dem Kreditwege die zur Begleichung der Steuerrückstände erforderlichen Mittel verschaffen und so selbst die gegen ihn eingeleitete Vollstreckung abwenden kann. Der Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung erscheint somit nicht unabweisbar.
Fundstellen
Haufe-Index 416738 |
BFH/NV 1990, 582 |