Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlmengen im offenen Branntweinlager
Leitsatz (NV)
Sowohl nach § 161 AO 1977 als auch nach § 68 Abs. 3 Branntweinverwertungsordnung (VwO) entsteht wegen festgestellter Fehlmengen im offenen Branntweinlager keine Steuer, wenn glaubhaft gemacht wird, daß die Fehlmengen auf steuerunschädliche Umstände zurückzuführen sind. Der Frage des Verhältnisses der beiden Vorschriften zueinander kommt daher schon deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie in einem künftigen Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre.
Normenkette
AO 1977 § 161; VwO § 68 Abs. 3; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist vom beklagten Hauptzollamt (HZA) nach amtlich durchgeführten Bestandsaufnahmen in ihrem offenen Branntweinlager wegen nicht aufgeklärter Fehlmengen auf Zahlung von Branntweinsteuer in Anspruch genommen worden. Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 27. April 1989) und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt die Steuerforderung für gerechtfertigt, weil die Klägerin als Lagerinhaberin gemäß § 68 Abs. 3 der Branntweinverwertungsordnung (VwO) weder buch- und belegmäßig anhand der ihr auferlegten Lageranschreibungen glaubhaft gemacht noch durch sonstige Beweismittel dargelegt habe, daß die festgestellten, den zulässigen Gesamtschwund (§ 68 Abs. 2 VwO) übersteigenden Fehlmengen auf steuerfreien Schwund (§ 68 Abs. 1 VwO) zurückzuführen seien. Die Aussagen des Zeugen X und das Gutachten des Staatlichen Materialprüfungsamtes, worauf sich die Klägerin zur Glaubhaftmachung berufe, unterstützten die gegenteilige Auffassung der Klägerin nicht.
Ihre Nichtzulassungsbeschwerde stützt die Klägerin allein auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage des Verhältnisses der Vorschrift des § 68 Abs. 3 VwO zur Vorschrift des § 161 der Abgabenordnung (AO 1977). Das FG habe offensichtlich § 68 Abs. 3 VwO als Spezialvorschrift zu § 161 AO 1977 angesehen und sei davon ausgegangen, daß hiernach der Strengbeweis für die Ursachen der Fehlmengen geführt werden müsse. § 68 Abs. 3 VwO sei aber mangels ausreichender gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage nicht anwendbar und könne daher den § 161 AO 1977 nicht verdrängen. Hätte das FG diese Vorschrift angewandt, hätte es der Klage stattgeben müssen, weil sie, die Klägerin, die gesetzliche Vermutung durch Glaubhaftmachung widerlegt habe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin mit ihrem Vorbringen im Grunde nicht lediglich falsche Rechtsanwendung durch das FG rügt, was im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich unbeachtlich ist. Sollte es sich bei der von der Klägerin aufgeworfenen Frage tatsächlich um eine sich im vorliegenden Rechtsstreit stellende Rechtsfrage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung handeln, so kann ferner dahinstehen, ob hinsichtlich der Frage des Verhältnisses zwischen § 161 AO 1977 und § 68 Abs. 3 VwO die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ausreichend dargelegt ist (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO) oder ob hierzu nicht, nachdem die VwO zum 1. Januar 1993 aufgehoben worden ist (Art. 3 Abs. 2 des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl I, 2150, 2166, 2176) wenigstens Ausführungen erforderlich gewesen wären, daß sich die aufgeworfene Frage auch nach neuem Recht (vgl. § 18 Abs. 4 der Branntweinsteuerverordnung vom 21. Januar 1994, BGBl I, 104) stellt (s. auch den Senatsbeschluß vom 4. Juli 1995 VII B 43/95, BFH/NV 1996, 197). Denn in jedem Fall wäre die Frage nach dem Verhältnis der genannten Vorschriften in einem künftigen Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 22. Januar 1988 III B 134/86, BFHE 152, 212, BStBl II 1988, 484).
Sowohl nach § 161 AO 1977 als auch nach § 68 Abs. 3 VwO entsteht wegen festgestellter Fehlmengen keine Steuer, wenn glaubhaft gemacht wird (§ 161 AO 1977; vgl. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwO; § 68 Abs. 3 VwO: "wenn der Lagerinhaber im einzelnen glaubhaft darlegt"), daß die Fehlmenge auf steuerunschädliche Umstände (hier: Schwund im Branntweinlager, § 68 Abs. 1 Satz 1 VwO) zurückzuführen ist. Entgegen dem Vortrag der Klägerin genügt also zur Nichtentstehung der Steuer nach beiden Vorschriften eine Glaubhaftmachung der steuerunschädlichen Umstände, d. h. ein geringerer Grad von Wahrscheinlichkeit -- eine überwiegende Wahrscheinlichkeit -- als beim Strengbeweis. Zweifel gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen (vgl. zu § 161 AO 1977 das Senatsurteil vom 17. März 1981 VII R 60/77, BFHE 133, 158, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1981, 406).
Von diesen Grundsätzen ist auch die Vorinstanz bei der Anwendung des § 68 Abs. 3 VwO ausgegangen. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das FG keinen Strengbeweis verlangt. Zwar hat das FG dahingehend formuliert, die Klägerin sei für die die amtlich zugelassenen Höchstschwundmengen überschreitenden Mengen "darlegungs- und nachweispflichtig". Aus den nachfolgenden Ausführungen des FG ergibt sich jedoch eindeutig, daß das FG die Klage deshalb abgewiesen hat, weil die Klägerin nicht zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht und auch nicht durch sonstige Beweismittel dargelegt hat, daß die festgestellten Fehlmengen auf steuerunschädlichen Schwund zurückzuführen sind. Die Aussage des Zeugen X und das Gutachten des Staatlichen Materialprüfungsamtes, worauf sich die Klägerin beruft, haben dem FG gerade nicht die zur Glaubhaftmachung erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit vermitteln können, daß die Ursachen der Fehlmengen auf Schwund zurückzuführen seien.
Folgte man der Auffassung der Klägerin im übrigen, wäre also allein § 161 AO 1977 anzuwenden, ergäbe sich hinsichtlich der Glaubhaftmachung nichts anderes. Auch unter Zugrundelegung des § 161 AO 1977 hätte das FG die Klage mit gleicher Begründung abweisen müssen. Daher ist die von der Klägerin an eine Rechtsauffassung, die in den Ausführungen der Vorinstanz keine Stütze findet, angeknüpfte Rechtsfrage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung in einem künftigen Revisionsverfahren weder entscheidungserheblich noch klärungsfähig.
Fundstellen
Haufe-Index 421081 |
BFH/NV 1996, 391 |