Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Revision wegen Fragen zur Außenprüfung; Heilung der unzutreffenden Unterzeichnung des Urteils
Leitsatz (NV)
1. Ein Urteil ist gemäß § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen, wenn es nicht innerhalb von fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den beteiligten Berufsrichtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist.
2. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung "erfordert" dann eine Entscheidung des BFH, wenn ein FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG.
3. Der Mangel der unzutreffenden Unterzeichnung eines Urteils kann durch die nachträgliche Unterschrift des an dem Erlass des Urteils beteiligten Richters geheilt werden.
4. Die Frage, ob nicht protokollierte, aber praktisch durchgeführte Verständigungen Bindungswirkung haben, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung.
5. Die Regelung der §§ 193 ff. AO 1977 schließt eine Zweitprüfung nicht aus (BFH-Urteil vom 24. Januar 1989 VII R 35/86, BFHE 156, 14, BStBl II 1989, 440).
6. Das Finanzamt ist berechtigt, auch die Verhältnisse einer zivilrechtlich bereits aufgelösten Gesellschaft zu prüfen (BFH-Urteil vom 1. Oktober 1992 IV R 60/91, BFHE 169, 294, BStBl II 1993, 82).
7. Die Frage, ob eine Prüfungsanordnung zulässig ist, wenn die Prüfung nicht durchgeführt wird und nur dazu dient, die Verjährung zu unterbrechen, ist nicht weiter klärungsbedürftig.
Normenkette
FGO § 104 Abs. 1, § 105 Abs. 1, § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 3 S. 3, § 119 Nr. 6; AO 1977 § 193
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 22.05.2003; Aktenzeichen 16 K10534/99) |
Tatbestand
1. Die Beschwerden vom 11. August 2003 (erfasst unter dem Az. XI B 124/03) und vom 3. November 2003 (erfasst unter dem Az. XI B 178/03) sind als eine (identische) Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil vom 22. Mai 2003 16 K 10534/99 zu behandeln. Unterscheidet sich die erste Ausfertigung eines Urteils von der zweiten lediglich durch den Austausch einer Richterunterschrift, so ist allein das berichtigte Urteil angegriffen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. September 1988 VIII R 218/85, BFH/NV 1989, 354).
Der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) bezeichnete Mangel unzutreffender Unterzeichnung des Urteils des Finanzgerichts (FG) liegt nicht (mehr) vor. Der Mangel ist durch die nachträgliche Unterschrift des Richters Dr. X --anstelle des Richters Y-- beseitigt worden. Das Urteil ist im vorliegenden Fall ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 22. Mai 2003 gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im Termin zur mündlichen Verhandlung durch Verlesung der Urteilsformel verkündet worden. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Urteil wirksam. Ist das Urteil somit durch seine Verkündung (= Bekanntgabe) am 22. Mai 2003 wirksam geworden, kann der Mangel, dass das Urteil des Kollegialgerichts von einem Richter mitunterschrieben worden ist, der an dem Erlass des Urteils nicht beteiligt war, noch behoben werden (vgl. BFH-Beschluss vom 23. Februar 1999 VII S 26/98, BFH/NV 1999, 1343, m.w.N.; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 2002, § 105 Rz. 6). Das gilt nicht nur für den Fall, dass ein Richter an der Unterschriftsleistung verhindert war und seine Unterschrift nach § 105 Abs. 1 Satz 3 FGO ersetzt werden muss (so der Fall in BFH/NV 1999, 1343), sondern auch für den Fall, dass ein nicht beteiligter Richter seine Unterschrift unter die vollständig abgefassten Urteilsgründe gesetzt hat. Ist das Urteil wirksam verkündet worden, hat die Zustellung eines nicht ordnungsgemäß unterschriebenen Urteils bzw. einer Ausfertigung davon daher nur zur Folge, dass die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt wird (BFH-Beschluss vom 7. Mai 2003 IX B 13/03, BFH/NV 2003, 1203).
Entscheidungsgründe
2. Die Beschwerde ist unbegründet.
a) Gemäß § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn einer der in Nrn. 1 bis 3 genannten Gründe gegeben ist. Gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO müssen diese Voraussetzungen dargelegt werden (dazu vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 25 f.). Bei den Zulassungsgründen des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO sind substantielle und konkrete Angaben darüber erforderlich, weshalb eine Entscheidung des Revisionsgerichts über eine bestimmte Rechtsfrage aus Gründen der Rechtsklarheit, der Rechtsfortbildung oder der Einheitlichkeit der Rechtsprechung im allgemeinen Interesse liegt, insbesondere auch, warum auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung die Rechtsfrage nicht beantwortet werden kann.
Die Frage, ob nicht protokollierte, aber praktisch durchgeführte Verständigungen Bindungswirkung haben, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Der BFH hat entschieden, dass tatsächliche Verständigungen keiner besonderen Form bedürfen, die Nichteinhaltung der Schriftform, die fehlende Protokollierung und der Vorbehalt der Nachprüfung aber Indiz dafür sind, dass die Beteiligten sich nicht haben binden wollen (BFH-Beschluss vom 21. Juni 2000 IV B 138/99, BFH/NV 2001, 2).
Nicht erheblich ist die Frage, ob eine Betriebsprüfung wiederholt werden darf. Im Streitfall kann entgegen der Auffassung des Klägers die angeordnete Prüfung nicht als Wiederholungsprüfung (Zweitprüfung) angesehen werden, da sie sich zumindest hinsichtlich des Adressaten und auch hinsichtlich der Zeiträume von anderen Prüfungshandlungen, die im Umfeld des Klägers vorgenommen worden sein mögen, unterscheidet. Im Übrigen ist bereits entschieden, dass ein etwaiges Vertrauen eines Steuerpflichtigen darauf, die Verwaltung werde eine einmal durchgeführte Prüfung keinesfalls wiederholen, nur im Rahmen des Grundsatzes von Treu und Glauben schutzwürdig ist; die Regelungen der §§ 193 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) schließen eine Zweitprüfung nicht aus (BFH-Urteil vom 24. Januar 1989 VII R 35/86, BFHE 156, 14, BStBl II 1989, 440).
Keiner weiteren Klärung bedarf daher auch die Frage, ob eine Prüfungsanordnung mit der Begründung zulässig ist, dass keine Feststellungserklärungen abgegeben worden seien, wenn Ertragsteuererklärungen vorlagen, der zugrunde liegende Sachverhalt dem Finanzamt (FA) bekannt und die Frage schon im Rahmen einer Außenprüfung geklärt war. Das FA ist berechtigt, auch die Verhältnisse einer zivilrechtlich bereits aufgelösten Gesellschaft zu prüfen (BFH-Urteil vom 1. Oktober 1992 IV R 60/91, BFHE 169, 294, BStBl II 1993, 82); einer Prüfung der Gesellschaft steht die bereits durchgeführte Prüfung der Gesellschafter nicht entgegen.
Die Frage, ob eine Prüfungsanordnung zulässig ist, wenn sie, weil die Prüfung nicht durchgeführt wird, nur dazu dient, die Verjährung zu unterbrechen, ist nicht weiter klärungsbedürftig. Nach dem BFH-Urteil vom 24. April 2003 VII R 3/02 (BFHE 202, 32, BStBl II 2003, 739) setzt der die Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 bewirkende Beginn einer Außenprüfung Maßnahmen voraus, die für den Steuerpflichtigen i.S. der §§ 193 ff. AO 1977 als Prüfungshandlungen erkennbar und geeignet sind, sein Vertrauen in den Ablauf der Verjährungsfrist zu beseitigen. Die Zulässigkeit der Prüfungsanordnung selbst wird im Übrigen durch nachfolgende Maßnahmen oder Unterlassungen nicht berührt.
b) Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert. Dieses Tatbestandsmerkmal erfasst die sog. Divergenzrevision nach altem Recht, aber auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung der FG (BFH-Beschluss vom 14. August 2001 XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung "erfordert" dann eine Entscheidung des BFH, wenn ein FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG.
Die vom Kläger gerügte Divergenz zu dem Urteil vom 8. März 1988 VIII R 220/85 (BFH/NV 1988, 758) ist nicht gegeben. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall war bis zur Erstprüfung das für die Besteuerung der Eheleute zuständige FA in Übereinstimmung mit den abgegebenen Steuererklärungen davon ausgegangen, dass die Ehefrau Einzelunternehmerin gewesen sei, der Ehemann hingegen keine steuerpflichtigen Einkünfte aus einer beruflichen Tätigkeit erzielt habe. Erst im Verlauf der bei dem Ehemann angeordneten Außenprüfung gelangte das Betriebsprüfungs-FA zu der Überzeugung, dass die Eheleute gemeinschaftlich Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit erzielt und eine GdbR gegründet hätten. Im Streitfall hingegen steht außer Frage, dass die Gesellschaft bestanden hat, allein fraglich ist bis zu welchem Zeitpunkt.
Ebenso steht die Entscheidung des FG nicht im Widerspruch zu dem BFH-Urteil vom 2. September 1988 III R 280/84 (BFHE 154, 425, BStBl II 1989, 4). Der Beklagte und Beschwerdegegner ist nicht vom allgemeinen Prüfungsrhythmus aus besonderem Anlass abgewichen; besondere Ermessenserwägungen waren nicht erforderlich.
c) Auch Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind nicht gegeben.
aa) Ein Urteil ist gemäß § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen, wenn es nicht innerhalb von fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den beteiligten Berufsrichtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (Gräber/von Groll, a.a.O., § 104 Rz. 10; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 26, jeweils m.w.N.). Im Streitfall ist aber das berichtigte Urteil noch rechtzeitig abgesetzt worden; die Geschäftsstelle des FG hat das Urteil bereits mit Schreiben vom 16. Oktober 2003 "abverfügt".
bb) Schließlich kann auch die Rüge, dass das FG gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen habe, weil es das Gesamtergebnis des Verfahrens seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt habe, keinen Erfolg haben. Der Umstand, dass Steuererklärungen für die Ertragsteuern der Veranlagungszeiträume 1995 bis 1997 bereits abgegeben gewesen seien, ist ohne Bedeutung, weil die Prüfungsanordnung auf die Prüfung der ehemaligen Erfindergemeinschaft --einer GdbR-- gerichtet war. Der Umstand, dass der Sohn des T mit 5 % an der GmbH beteiligt gewesen sei, ist für die Beurteilung der Prüfungsanordnung ohne Bedeutung. Die Frage, ob die Erfindergemeinschaft bereits im Jahr 1991 aufgelöst worden ist, kann gerade durch eine Prüfung geklärt werden und steht der Zulässigkeit ihrer Anordnung daher nicht entgegen.
3. Die Entscheidung ergeht im Übrigen gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ohne weitere Begründung.
Fundstellen
Haufe-Index 1247643 |
BFH/NV 2005, 6 |
NWB 2006, 2433 |