Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Erledigung der Hauptsache während des Beschwerdeverfahrens
Leitsatz (NV)
- Werden im Verfahren über die NZB übereinstimmende Erledigungserklärungen über die Hauptsache abgegeben, tritt die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache nur ein, wenn das Rechtsmittel statthaft und zulässig ist.
- Ist das Rechtsmittel nicht zulässig, fehlt für das Rechtsmittelgericht von vornherein die Möglichkeit, auf das sachliche Begehren des Rechtsmittelführers einzugehen.
- In diesem Fall ist die Kostenentscheidung nicht nach § 138 FGO, sondern für das Beschwerdeverfahren nach § 135 Abs. 2 FGO zu treffen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 135 Abs. 2, § 138
Tatbestand
I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage gegen den auf § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Rückforderungsbescheid des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) über einen vom FA zugunsten des Steuerpflichtigen F auf ein für diesen nicht mehr existierendes Konto bei der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) überwiesenen Erstattungsbetrag als unbegründet abgewiesen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision erhoben, mit der sie grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht und einen Verfahrensmangel behauptet, weil das FG nicht berücksichtigt habe, daß die Klägerin den nach Verrechnung wegen einer noch offenen Forderung der Bank überschießenden Erstattungsbetrag an den Erstattungsberechtigten F weitergeleitet und daß F aufgrund einer fehlerhaft vom FA vorgenommenen nochmaligen Zahlung des Erstattungsbetrages diesen teilweise doppelt erhalten habe.
Während des Beschwerdeverfahrens teilte das FA der Klägerin mit, der Steuerpflichtige F habe den ―auch gegen ihn geltend gemachten― Rückforderungsanspruch in voller Höhe ausgeglichen, so daß eine Inanspruchnahme der Klägerin nicht mehr vorgesehen sei. Die Klägerin hat "den Rechtsstreit für erledigt erklärt"; das FA erklärt "den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt". Beide Parteien stellen den Antrag, der Gegenseite die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
II. Die auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) und einen behaupteten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) gestützte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§ 132 FGO).
1. Die beiderseitigen Erledigungserklärungen richten sich ihrem Wortlaut und Inhalt nach auf die Erledigung der Hauptsache; denn beide Parteien gehen offensichtlich davon aus, daß das FA die Klägerin aus dem angefochtenen Rückforderungsbescheid nicht in Anspruch nehmen wird, mithin daß das klageabweisende Urteil des FG seine Wirksamkeit verlieren soll und daß es nicht nur um die Erledigung des Beschwerdeverfahrens geht (zu letzterem vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 25. Juli 1991 III B 10/91, BFHE 165, 17, BStBl II 1991, 846).
Die Abgabe von Erledigungserklärungen über die Hauptsache ist zwar auch in der Rechtsmittelinstanz ―auch während des Verfahrens über eine Nichtzulassungsbeschwerde (Senatsbeschluß vom 13. Juni 1972 VII B 46/71, BFHE 106, 17, BStBl II 1972, 706)― möglich und zulässig (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 138 Rz. 18b, m.w.N., und Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 138 FGO Rz. 23). Eine verfahrensrechtliche Wirkung ―nämlich die aufgrund der übereinstimmenden Erklärungen anzunehmende Erledigung des Rechtsstreites in der Hauptsache (§ 138 Abs. 1 FGO)― tritt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, nur ein, wenn das Rechtsmittel statthaft und zulässig ist (vgl. Beschlüsse des BFH vom 26. Januar 1971 VII B 137/69, BFHE 101, 209, BStBl II 1971, 306; vom 22. September 1989 V B 20/89, BFH/NV 1991, 53, 54, mit umfangreichen Nachweisen; vom 10. April 1997 III R 18/96, BFH/NV 1997, 692, und vom 17. Dezember 1997 VIII R 12/92, BFH/NV 1998, 721, 722, m.w.N.; zur Kritik an dieser Rechtsprechung s. Gräber/Ruban, a.a.O., § 138 Rz. 18b).
Ist das Rechtsmittel unzulässig, so ist der Streitgegenstand, auf den sich die Erklärungen über die Erledigung der Hauptsache beziehen, nicht an das Gericht gelangt, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat (Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Oktober 1969 VIII C 219.67, Monatsschrift für Deutsches Recht 1970, 262, und BFH in BFH/NV 1998, 721, 722). Ist das Rechtsmittel nicht zulässig, so fehlt für das Rechtsmittelgericht von vornherein die Möglichkeit, sachlich auf das Begehren des Rechtsmittelführers einzugehen (vgl. Senatsbeschluß vom 8. Dezember 1998 VII B 179/97, BFH/NV 1999, 796, 797, m.w.N.). Kann sich aber das Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht von vornherein nicht auf den Streitgegenstand erstrecken, auf den sich die Erledigungserklärung bezieht, so ist diese gegenstandslos und damit für das Verfahren in der Hauptsache ohne Wirkung (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 101, 209, BStBl II 1971, 306, und vom 22. April 1986 VII B 140/85, BFH/NV 1987, 47, 48, m.w.N.).
Diese Grundsätze gelten auch für die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1999, 796, 797 unter 3.; vom 24. Februar 1999 IV B 68/98, BFH/NV 1999, 1114, und in BFHE 165, 17, BStBl II 1991, 846, 847), weil auch im Falle der unzulässigen Nichtzulassungsbeschwerde der Streitgegenstand nicht an das Revisionsgericht gelangen kann. Dem Revisionsgericht fehlt auch in diesem Fall von vornherein die sachliche Prüfungsbefugnis im Hinblick auf das angefochtene Urteil (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Juli 1971 I R 127, 154/70, BFHE 103, 36, BStBl II 1971, 805, 807, 808 zur unzulässigen Revision, m.w.N., und BFH in BFH/NV 1998, 721).
Der BFH kann die sachliche Prüfung und damit die Prüfung, ob die Erledigungserklärungen wirksam abgegeben wurden und ob ―bei einseitiger Erledigungserklärung― tatsächlich die Erledigung der Hauptsache eingetreten ist, erst dann vornehmen, wenn nach der in jedem (Rechtsmittel-)Verfahren vorrangig vorzunehmenden Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen feststeht, daß die Revision oder die Beschwerde zulässig eingelegt und begründet worden ist (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 138 Rz. 18b).
2. Im vorliegenden Fall ist die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 3 FGO an eine ordnungsgemäße Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde.
Nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das angegriffene Urteil von einer Entscheidung des BFH oder Bundesverfassungsgerichts abweicht oder wenn bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann.
a) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt u.a. nur in Betracht, wenn der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formuliert und substantiiert darlegt, daß es sich hierbei um eine im Revisionsverfahren im Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Rechtsentwicklung und Rechtsfortbildung klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage handelt (zu diesen Erfordernissen vgl. BFH-Beschluß vom 16. März 1994 II B 102/93, BFH/NV 1995, 34; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 8, 61). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Das Beschwerdevorbringen erschöpft sich ―ohne eine konkrete Rechtsfrage zu formulieren― im wesentlichen in der Behauptung, das FG habe die Regelung des § 37 Abs. 2 AO 1977 auf den hier zu beurteilenden Fall, in dem die Klägerin als das bezogene Bankinstitut des Steuerbeteiligten lediglich Botenfunktion erfüllt habe, zu Unrecht für anwendbar gehalten. Der Rückforderungsanspruch gegen die Bank könne nicht in einem öffentlich-rechtlichen Steuerrechtsverhältnis, sondern nur zivilrechtlich geltend gemacht werden. Damit formuliert die Beschwerdeschrift jedoch keine klärungsbedürftige Rechtsfrage, sondern lediglich Einwände gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils, mit denen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan werden kann (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 55 ff., 58 und 62, m.w.N., und BFH-Beschluß vom 1. April 1997 X B 40/96, BFH/NV 1997, 634).
b) Sofern dem Beschwerdevorbringen die Geltendmachung einer Divergenz zu dem BFH-Urteil vom 22. August 1980 VI R 102/77 (BFHE 131, 371, BStBl II 1981, 44) zu entnehmen sein sollte, ist diese nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend schlüssig gerügt. Wird mit der Beschwerde der Zulassungsgrund der Abweichung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) behauptet, muß der Beschwerdeführer außer der genauen Bezeichnung der Divergenzentscheidung des BFH dartun, daß das vorinstanzliche Gericht seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit einem ebenfalls näher bezeichneten Rechtssatz der Entscheidung des Revisionsgerichts nicht übereinstimmt. In der Beschwerdebegründung müssen die abstrakten Rechtssätze der Entscheidung des FG und der Divergenzentscheidung des BFH so genau dargestellt werden, daß eine Abweichung erkennbar wird (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479, und vom 5. März 1998 VII B 251/97, BFH/NV 1998, 1231, 1232, m.w.N.). Die Beschwerde führt hierzu sinngemäß nur aus, daß das FG die Botenfunktion der Klägerin verkannt und zu Unrecht ein öffentlich-rechtliches Rückforderungsverhältnis angenommen hat, obwohl der Rückforderungsanspruch nur zivilrechtlich geltend gemacht werden könne, und es weiche damit von der genannten Entscheidung des BFH ab. Auch hierin liegt lediglich der Vorwurf materiell-rechtlicher Unrichtigkeit des angefochtenen FG-Urteils.
c) Wenn die Beschwerde einen Verfahrensmangel darin sieht, daß das FA die Weitergabe des überwiegenden Teiles des Erstattungsbetrages an den Steuerpflichtigen und Erstattungsberechtigten F nicht berücksichtigt und den Anspruch nicht allein gegen F geltend gemacht habe und diese Umstände im Verfahren nicht gewürdigt worden seien, so verkennt sie, daß Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nur solche Mängel sein können, die Verstöße des FG gegen das Gerichtsverfahrensrecht darstellen. Fehlverhalten des FA im außergerichtlichen Verfahren gehört nicht dazu (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 25, und BFH-Beschluß vom 22. Oktober 1994 V B 40/94, BFH/NV 1995, 610).
3. Danach ist die Kostenentscheidung nicht nach § 138 FGO, sondern für das Beschwerdeverfahren nach § 135 Abs. 2 FGO zu Lasten der Klägerin zu treffen; während sich die Kostentragungs-pflicht für das erstinstanzliche Verfahren aus dem aufrechterhaltenen Urteil des FG ergibt (vgl. Senatsbeschluß in BFH/NV 1999, 796).
Fundstellen
Haufe-Index 424819 |
BFH/NV 2000, 571 |