Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der richterlichen Hinweispflicht bei Zweifeln an der Aussagekraft vorgelegter Bescheinigungen
Leitsatz (NV)
Legt der Kläger über die Art seiner Tätigkeit im finanzgerichtlichen Verfahren eine Bescheinigung seines Auftraggebers vor, die die Richtigkeit seines Vorbringens zwar nicht beweist aber als wahrscheinlich erscheinen lässt, so muss das FG zunächst versuchen, Ungenauigkeiten der Bescheinigung durch Nachfragen zu klären.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1-2
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 17.04.2002; Aktenzeichen 3 K 1902/98) |
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielte in den Streitjahren (1991 und 1992) Einkünfte aus einer Tätigkeit als EDV-Berater. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) stufte diese Tätigkeit als gewerblich ein und erließ für die Streitjahre Gewerbesteuermessbescheide. Gegen diese Bescheide legte der Kläger Einspruch ein. Er machte geltend, er habe nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine freiberufliche --ingenieurähnliche-- Tätigkeit ausgeübt. Er sei nur zu einem minder gewichtigen Teil (weniger als 30 v.H.) mit der Entwicklung von Anwendersoftware befasst gewesen. Der eigentliche Schwerpunkt seiner Tätigkeit habe in der Entwicklung von Systemsoftware gelegen. Einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit habe die Beratung der Kunden bei Programmierungsproblemen sowie die Beratung und Durchführung von Systemanalysen gebildet. Seit Herbst 1991 habe er im Auftrag einer Unternehmensberaterfirma (X-GmbH) vorwiegend für die Europazentrale eines international tätigen Elektronikkonzerns (Y) gearbeitet. Für sie habe er mathematische Modelle zur Lösung betriebswirtschaftlicher Fragestellungen für den Einsatz von Datenverarbeitung entwickelt und angefertigt (Systemsoftware).
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Auch die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Die Revision gegen sein Urteil ließ das Finanzgericht (FG) nicht zu.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist begründet. Das finanzgerichtliche Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Senat macht von der Möglichkeit des § 116 Abs. 6 FGO Gebrauch und hebt das Urteil des FG auf und verweist den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Das finanzgerichtliche Urteil verletzt § 76 Abs. 1 und 2 FGO.
1. Bei der Beantwortung der Frage, ob das FG einen Verfahrensfehler begangen hat, ist von dessen materiell-rechtlicher Auffassung auszugehen (ständige Rspr.; vgl. z.B. BFH-Urteil vom 6. Juli 1999 VIII R 12/98, BFHE 189, 148, BStBl II 1999, 731; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 79, m.w.N.). Das FG hat seiner Entscheidung die frühere Auffassung des BFH zugrunde gelegt, derzufolge ein EDV-Berater nur dann eine ingenieurähnliche Tätigkeit ausübt, wenn er Systemsoftware entwickelt, nicht jedoch wenn er Anwendersoftware erstellt (vgl. insbesondere BFH-Urteil vom 7. Dezember 1989 IV R 115/87, BFHE 159, 171, BStBl II 1990, 337). Unter Zugrundelegung dieser Auffassung ist die Frage nach dem Vorliegen eines Verfahrensmangels zu beantworten, obwohl sie der BFH mittlerweile aufgegeben hat (BFH-Urteil vom 4. Mai 2004 XI R 9/03, zur Veröffentlichung bestimmt, juris).
2. Allerdings ist fraglich, ob das FG verpflichtet war, dem in der Klagebegründung gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu entsprechen. Dieser Beweisantrag diente offensichtlich dazu, durch einen Sachverständigen klären zu lassen, ob die der Klagebegründung beigefügte Dokumentation tatsächlich einen Betriebssystem-Befehl enthielt. Diese Dokumentation ließ aber nicht erkennen, ob sie vom Kläger oder von IBM erstellt war. Die weitere Dokumentation, die auf S. 4 bis 126 der Beschwerdebegründung wiedergegeben ist (Sicherungskonzept "Z"), lag der Klagebegründung offensichtlich nicht bei. Jedenfalls befindet sie sich nicht in den Akten. Die Klagebegründung enthält auch keinen Hinweis auf eine solche Anlage.
Angesichts der Umstände des Streitfalls durfte das FG die Klage jedoch nicht abweisen, ohne den Kläger darauf hinzuweisen, dass es die Bestätigung der Fa. Y vom 24. Juli 1995 für unzureichend hielt. In diesem Schreiben bestätigt die Fa. Y dem Kläger, dass er für sie von Januar 1991 bis Juli 1992 schwerpunktmäßig Projekte im Systemsoftwarebereich durchgeführt habe. Der Charakter der jeweiligen Software ist auch benannt. Es handelte sich der Bestätigung vom 24. Juli 1995 zufolge um folgende Projekte:
Erstellung einer Sicherungssoftware. Der Kläger habe das komplette …-Datensicherungskonzept unter einer integrierten Oberfläche, welche dem IBM-Standard entspreche, zu entwickeln gehabt.
Softwareentwicklungsumgebung. Erstellung einer Software, die bestimmte Steuerungs- und Übertragungsfunktionen während und nach der Programmentwicklung durchführe, den Programmierern die Übernahme der fertigen Programme in den Echtbetrieb abnehme und alle Phasen der Programm-/Projektentwicklung transparent dokumentiere.
Datenkommunikation mit den Y-Geschäftsstellen in Europa. Erstellung und Pflege der Steuerungssoftware, um Daten (Rechnungen, Bestellungen etc.) zu senden und zu empfangen.
Zumindest die beiden ersten Projekte weisen auf den ersten Blick keinen Bezug zu einem bestimmten Anwendungsbereich auf. Daher durfte sich das FG nicht auf die Feststellung beschränken, es lasse sich aufgrund der allgemein und infolge dessen wenig aussagekräftigen Angaben nicht beurteilen, ob der Kläger bei den Projekten … tatsächlich Systemsoftware entwickelt habe. Vielmehr war es angesichts der Bescheinigung der Fa. Y zwar nicht erwiesen, aber doch eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich, dass der Kläger --zumindest auch-- als Systemsoftwareentwickler tätig war. Wenn das FG gleichwohl Zweifel hieran hatte, musste es dem durch Nachfrage beim Kläger oder bei der Fa. Y nachgehen. Das galt umso mehr, als die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet hatten. Das Ergebnis der Nachfrage wäre möglicherweise einem Sachverständigen zur Begutachtung vorzulegen gewesen.
Auf diese weiteren Ermittlungen hätte nur verzichtet werden können, wenn festgestanden hätte, dass die Entwicklung von Systemsoftware keinesfalls einen so großen Teil der Beschäftigung des Klägers ausmachte, dass sie seiner Tätigkeit als EDV-Berater das Gepräge hätte geben können. Hierzu hat das FG jedoch nichts festgestellt.
3. Für den zweiten Rechtszug weist der Senat auf Folgendes hin.
Nach dem eingangs erwähnten BFH-Urteil vom 4. Mai 2004 XI R 9/03 kann ein selbständiger EDV-Berater auch dann einen ingenieurähnlichen Beruf ausüben, wenn er Anwendersoftware erstellt. Das setzt allerdings voraus, dass der Steuerpflichtige qualifizierte Software durch eine klassische ingenieurmäßige Vorgehensweise (Planung, Konstruktion und Überwachung) entwickelt. Außerdem muss er über theoretische Kenntnisse verfügen, die in ihrer Breite und Tiefe denjenigen eines an einer Fachhochschule ausgebildeten Ingenieurs entsprechen (vgl. Kempermann, Finanz-Rundschau 1999, 1375).
Wenn die Klage im zweiten Rechtszug Erfolg haben soll, wird der Kläger weit sorgfältiger als bisher seine Tätigkeit in den Streitjahren darlegen müssen. Dazu wird es erforderlich sein, alle Leistungsempfänger und die für sie erbrachten Tätigkeiten aufzulisten. Die einzelnen Tätigkeiten sind so genau zu beschreiben, dass ein Sachverständiger sich daraus ein Bild von der Art der erstellten Software und dem Kenntnisstand des Klägers machen kann. Die Protokolle einzelner Projekte können eine solche Gesamtdarstellung lediglich ergänzen, nicht jedoch ersetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 1278365 |
BFH/NV 2005, 367 |