Leitsatz (amtlich)
Wer glaubt, einen Anspruch auf Vergütung der Körperschaftsteuer nach § 36b EStG 1977 zu haben, kann nicht im Wege der einstweiligen Anordnung die Erteilung einer vorläufigen Bescheinigung verlangen, "daß von der Einbehaltung und Abführung der Körperschaftsteuer abgesehen wird". Er kann auch nicht verlangen, daß ihm eine vorläufige Nichtveranlagungsbescheinigung erteilt wird.
Normenkette
EStG 1977 §§ 36b, 36 Abs. 2 Nr. 3; KStG 1977 § 27 ff.; FGO § 114
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), die seit Jahren zur Einkommensteuer veranlagt wurde, stellte im Oktober 1980 einen "Antrag auf Ausstellung einer Nichtveranlagungs-(NV-)Bescheinigung (§ 36b Abs. 2, § 44a Abs. 2 und § 44b Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -)". Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) lehnte diesen Antrag ab, weil die Antragstellerin zur Einkommensteuer veranlagt werde und Rente, Pension sowie Einnahmen aus Kapitalvermögen beziehe.
Die Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Die Antragstellerin stellte daraufhin beim Finanzgericht (FG) den Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 114 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) eine vorläufige Bescheinigung zu erteilen, "daß von der Einbehaltung und Abführung der Körperschaftsteuer abzusehen ist (§ 36b EStG)". Sie erhob außerdem Klage beim FG.
Das FG hat den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgewiesen, weil er unzulässig sei. Da ein Erfordernis für eine Regelung vor der Entscheidung in der Hauptsache zur Abwendung wesentlicher Nachteile nicht zu erkennen sei, fehle es an einem Anordnungsgrund. Zinsverluste aus einer verzögerten Erstattung von Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer reichten nicht aus. Außerdem stehe der Antragstellerin auch kein Anordnungsanspruch zu. Denn die Einkommensteuerveranlagung 1979 zeige, daß ein Teil der anrechenbaren Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer nicht erstattet, sondern mit der aus der Einkommensteuerveranlagung erwachsenden Steuerschuld der Antragstellerin verrechnet worden sei.
Gegen den Beschluß des FG richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, der das FG nicht abgeholfen hat.
Die Antragstellerin rügt, das FG sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, weil die Richter im Hauptverfahren abgelehnt worden seien. Vorläufiger Rechtsschutz müsse gewährt werden, denn es könne nicht angehen, daß das FA Steuern erhebe, die ihm endgültig nicht zustünden. Schließlich habe das FG verkannt, daß der Antrag auf die Körperschaftsteuer beschränkt gewesen sei.
Die Antragstellerin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die begehrte Anordnung zu treffen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
1. Ohne Erfolg rügt die Antragstellerin, das FG sei nicht ordnungsmäßig besetzt gewesen. Die Ablehnung der Richter des FG durch die Antragstellerin im Verfahren über die Klage ergreift nicht das Verfahren über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Denn beide Verfahren stehen rechtlich selbständig nebeneinander. Es war Sache der Antragstellerin zu erklären, in welchen Verfahren die Richter abgelehnt werden (§ 51 FGO, § 44 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Erklärungen in dem einen Verfahren wirken nicht von selbst als Erklärungen in dem anderen Verfahren.
2. Für eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO fehlt es an einem Anordnungsgrund. Die Antragstellerin begehrt die Erteilung einer vorläufigen Bescheinigung, "daß von der Einbehaltung und Abführung der Körperschaftsteuer abzusehen ist". Sie hält es für einen "Rechtsmißbrauch, wenn der Gegner Steuern erhebt, die er zweifelsfrei wieder erstatten muß".
Die Antragstellerin verkennt damit die Rechtsnatur der Körperschaftsteuer nach dem Körperschaftsteuergesetz (KStG 1977) und die Rechtsnatur der Anrechnung und Vergütung der Körperschaftsteuer.
a) Die Körperschaftsteuer der Kapitalgesellschaft nach KStG 1977, auch die Körperschaftsteuer von 36 v. H. auf ausgeschüttete Gewinne nach § 27 KStG 1977, ist keine Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer der Gesellschafter (Teilhabersteuer) und, entgegen mißverständlichen Äußerungen im Schrifttum, auch keine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer der Gesellschafter. Die Kapitalgesellschaft tilgt auch mit der Zahlung der Körperschaftsteuer nach KStG 1977 eine eigene, ihr auferlegte Steuerschuld und nicht - wie mit der Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Februar 1970 I R 97/66, BFHE 98, 482, BStBl II 1970, 464) - eine fremde Steuerschuld, die Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerschuld der Gesellschafter (Wrede, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A - DStZ A - 1976, 411, 412f.). Daher erfolgt die Anrechnung der Körperschaftsteuer unabhängig von der Entrichtung der Körperschaftsteuer (§ 36 Abs. 2 Nr. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes 1977 - EStG -); die Ausnahme in § 36a EStG bestätigt die Regel. Wäre die Körperschaftsteuer der Kapitalgesellschaft eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer der Gesellschafter, müßte dies zur Folge haben, daß die Körperschaftsteuer nicht geschuldet würde und zurückgefordert werden könnte, wenn die Gewinnanteile beim Gesellschafter nicht steuerpflichtig sind, der Gesellschafter überhaupt von der Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer befreit ist oder der Gesellschafter zur Anrechnung der Körperschaftsteuer nicht berechtigt ist. In allen drei Fällen bleibt aber, von Ausnahmen abgesehen, die Körperschaftsteuer geschuldet (vgl. §§ 51, 40 KStG 1977, § 50 Abs. 5 Satz 2 EStG).
Die Kapitalgesellschaft hat daher die Körperschaftsteuer nicht "einzubehalten und abzuführen", wie die Antragstellerin meint, sondern zur Tilgung einer eigenen Körperschaftsteuerschuld zu zahlen.
b) Die Anrechnung oder Vergütung der Körperschaftsteuer (§ 36 Abs. 2 Nr. 3, §§ 36b, 36c, 36d EStG) erfolgt daher nicht, weil die Kapitalgesellschaft für ihre Gesellschafter Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer vorausgezahlt hat. Sie beruht vielmehr auf der Absicht des Gesetzgebers, die doppelte steuerliche Belastung der Gewinne der Kapitalgesellschaften dadurch zu beseitigen, daß auf der Ebene der Gesellschafter eine Entlastung in der Höhe eintritt, in der die Ausschüttung auf der Ebene der Kapitalgesellschaft Körperschaftsteuer verursacht hat. Diese Entlastung ist allerdings rechtstechnisch so ausgestaltet, daß die anzurechnende oder zu vergütende Körperschaftsteuer wie eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer der Gesellschafter wirkt. Daher haben die Gesellschafter, bei denen der Betrag der anzurechnenden Körperschaftsteuer höher ist als der Betrag der Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerschuld, einen Anspruch auf Erstattung des Unterschiedsbetrags, und die Gesellschafter, die zur Einkommensteuer nicht veranlagt werden, einen Anspruch auf Vergütung der anrechenbaren Körperschaftsteuer. Der Rechtsgrund der Körperschaftsteuer wird dadurch nicht verändert. Aus der Zahlung zur Tilgung einer eigenen Steuerschuld der Kapitalgesellschaft wird keine Zahlung zur Tilgung von Steuerschulden der Gesellschafter.
Der Senat weicht damit nicht ab von dem Urteil des III. Senats des BFH vom 2. Oktober 1981 III R 27/77 (BFHE 134, 167, BStBl II 1982, 8). Der III. Senat hat in diesem Urteil zur Bewertung nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften nach dem sog. Stuttgarter Verfahren ausgeführt, die latente Ertragsteuerbelastung (der Kapitalgesellschaft) sei auch nicht bei den Ertragsaussichten zu berücksichtigen. Die Begründung dazu enthält den folgenden Satz: "Denn die Körperschaftsteuer ist infolge des Anrechnungsverfahrens (§§ 36f. EStG) im wirtschaftlichen Ergebnis bei dem anrechnungsberechtigten Anteilseigner seit 1977 als Vorauszahlung auf die Einkommensteuerschuld zu beurteilen." Aus dem Zusammenhang ist ersichtlich, daß damit der III. Senat nur sagen will, daß die anzurechnende oder zu vergütende Körperschaftsteuer auf der Ebene der Gesellschafter wirtschaftlich wie eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer der Gesellschafter wirkt. Das ist auch die Auffassung des erkennenden Senats (siehe oben 2b).
c) Aus diesen Gründen ist es rechtlich ausgeschlossen, "von der Einbehaltung und Abführung der Körperschaftsteuer abzusehen", wie die Antragstellerin ausweislich ihres Antrages will. Es kann auf sich beruhen, ob die begehrte einstweilige Anordnung zu treffen wäre, wenn die Kapitalgesellschaft mit der Körperschaftsteuer an das FA einen Betrag zahlte, der sofort wieder zu erstatten wäre (vgl. BFH-Urteile vom 14. August 1963 V 132/59 U, BFHE 77, 344, BStBl III 1963, 445; vom 12. Dezember 1963 V 239/60 S, BFHE 78, 136, BStBl III 1964, 54; BFH-Beschluß vom 21. Januar 1982 VIII B 94/79, BStBl II 1982, 307. Denn die Kapitalgesellschaft zahlt ihre Körperschaftsteuer auch in den Fällen, in denen sie auf die Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuerschuld der Gesellschafter angerechnet oder an die Gesellschafter vergütet wird, nicht ohne rechtlichen Grund. Der zeitliche Abstand zwischen der Zahlung der Körperschaftsteuer auf der Ebene der Kapitalgesellschaft und der Anrechnung oder Vergütung der Körperschaftsteuer auf der Ebene der Gesellschafter ist eine notwendige Folge der Ausgestaltung des Anrechnungsverfahrens durch das Gesetz und damit systemimmanent. Er kann daher nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO beseitigt oder abgekürzt werden. Drohende Zinsverluste reichen dazu, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, nicht aus.
Daher ist es auch nicht zulässig, eine einstweilige Anordnung zu treffen, daß eine vorläufige Nichtveranlagungsbescheinigung zu erteilen ist, welche die Antragstellerin in die Lage versetzt, eine vorzeitige Vergütung der Körperschaftsteuer nach § 36b EStG zu erreichen.
3. Da es somit an einem Anordnungsgrund fehlt, braucht der Senat nicht zu prüfen, ob ein Anspruch der Antragstellerin auf Ausstellung einer Nichtveranlagungsbescheinigung nach § 36b EStG (Anordnungsanspruch) besteht.
4. Zutreffend weist die Antragstellerin darauf hin, daß ihr Antrag darauf beschränkt ist, eine vorläufige Bescheinigung auszustellen, welche die Einbehaltung und Abführung der Körperschaftsteuer betrifft. Von der Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer ist in dem Antrag nicht die Rede. Da aber das FG in der Beschlußformel den Antrag der Antragstellerin abgewiesen hat, ergreift diese Entscheidung nur die Frage der Einbehaltung und Abführung der Körperschaftsteuer. Das FG befaßt sich allerdings in den Gründen seiner Entscheidung auch mit der Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer. Diese wurde damit aber nicht zum Gegenstand der Entscheidung.
Fundstellen
Haufe-Index 74067 |
BStBl II 1982, 401 |
BFHE 1982, 303 |