Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweiwochenfrist für Wiedereinsetzung wegen angeblich verspätetem Eingang der Prozessvollmacht
Leitsatz (NV)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer gesetzten Ausschlussfrist ist nicht zu gewähren, wenn der Prozessbeteiligte trotz Hinweises des anderen Prozessbeteiligten, die Prozessvollmacht sei nicht eingegangen, einen Wiedereinsetzungsantrag erst nach Ablauf der Zweiwochenfrist stellt.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1-2, § 115 Abs. 2 Nr. 3
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten war vor dem Finanzgericht (FG) streitig, ob dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der zur Vorlage der Prozessvollmacht gesetzten Ausschlussfrist zu gewähren sei.
Die vom Vorsitzenden des Spruchkörpers gesetzte Ausschlussfrist lief am 30. Juli 2000 ab. Die mit Schriftsatz vom 28. Juli 2000 eingereichte, am 24. Mai 2000 ausgestellte Prozessvollmacht des Klägers ging am 1. August 2000 beim FG ein; sie wurde nach den Feststellungen des FG in den Gerichtsbriefkasten eingeworfen.
Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 1. August 2000 auf den verspäteten Eingang der Vollmacht hingewiesen hatte, machten diese geltend, dass sie die Vollmacht bereits am 28. Juli 2000 an das FG übermittelt hätten. Mit Schriftsatz vom 7. September 2000, beim FG am selben Tag eingegangen, beantragten sie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und trugen unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung einer Büroangestellten sowie einer Kopie des Postausgangsbuches vor, sie hätten das Schreiben vom 28. Juli 2000 nebst der Prozessvollmacht am Freitag, den 28. Juli 2000, in den Briefkasten der Deutschen Post in A eingeworfen.
Das FG "verwarf" die Klage als unzulässig. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährte es nicht, weil der Vortrag des Klägers, mit dem er sein Versäumnis habe entschuldigen wollen, nicht zutreffend sei. Aufgrund des Briefumschlages sei zweifelsfrei erkennbar, dass das Schreiben vom 28. Juli 2000 durch einen Boten in den Bereich der Justizbehörden gelangt sei, und zwar erst am 1. August 2000 und damit verspätet. Auch die Klageschrift sei (schon) durch Boten übermittelt worden. Das Postausgangsbuch sei damit nicht ordnungsgemäß geführt worden. Letztlich seien die Gründe für den verspäteten Eingang der Vollmacht nicht aufgeklärt; das ginge aber zu Lasten des Klägers.
Die Revision ließ das FG nicht zu. Seine Entscheidung wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 4. Januar 2001 zugestellt.
Der Kläger macht mit der am 5. Februar 2001 beim FG und am 16. Februar 2001 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenen Nichtzulassungsbeschwerde geltend, das angefochtene Urteil beruhe auf einem Verfahrensmangel. Er, der Kläger, habe die Gründe für den verspäteten Eingang der Vollmacht glaubhaft gemacht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) dürfe ihm eine Verzögerung bei der Postbeförderung nicht als Verschulden zugerechnet werden. Das FG führe lediglich aus, dass aufgrund des von ihm als erwiesen angesehenen Sachverhalts das Postausgangsbuch nicht ordnungsgemäß geführt worden sein müsse und dass die Gründe für den verspäteten Eingang letztlich unaufgeklärt geblieben seien. Es verkenne damit die Reichweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Es führt u.a. aus: Zwar sei die Beschwerde nicht bereits deshalb unzulässig, weil sie nicht binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils beim BFH eingegangen sei (§ 116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757 ―FGO n.F.―); das FG habe dem Kläger insoweit eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt. Der Kläger habe aber den gerügten Verfahrensmangel nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO n.F. genügenden Weise spezifiziert.
Entscheidungsgründe
Der Senat lässt dahingestellt, ob die Beschwerde bereits unzulässig ist; sie ist jedenfalls unbegründet.
1. Nach inzwischen überwiegender Auffassung liegt ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (a.F. und n.F.) auch dann vor, wenn das FG fehlerhaft statt eines Sachurteils ein Prozessurteil erlässt (s. hierzu z.B. die BFH-Beschlüsse vom 3. Januar 1996 VIII B 33/95, BFH/NV 1996, 559, und vom 21. Oktober 1996 VIII B 4/96, BFH/NV 1997, 359; auch Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rdnr. 88). In diese Richtung geht der Vorwurf des Klägers in erster Linie. Er ist der Auffassung, das FG hätte hinsichtlich der Frist für die Vorlage der Prozessvollmacht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen und dann die Klage nicht als unzulässig abweisen dürfen; es hätte vielmehr eine sachliche Prüfung des Klagebegehrens vornehmen müssen.
Das FG hat aber dem Antrag auf Wiedereinsetzung ―unabhängig von den Einwendungen des Klägers― zu Recht nicht entsprochen. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben die Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO für die Antragstellung und den Vortrag der den Antrag stützenden Gründe nicht eingehalten. Ihnen war seit Erhalt des Schreibens des FA vom 1. August 2000 bekannt, dass die Prozessvollmacht bei der Geschäftsstelle des zuständigen FG-Senats bis zum Ablauf der für ihre Einreichung gesetzten Frist (am 30. Juli 2000) nicht eingegangen war. Diese Kenntnis hatten die Prozessbevollmächtigten spätestens seit dem 21. August 2000, dem Tage, an dem sie dem FG ―unter Bezugnahme auf das Schreiben des FA vom 1. August 2000― mitteilten, dass sie die Prozessvollmacht mit Schriftsatz vom 28. Juli 2000 übermittelt und diesen Termin auch als Absendetag vermerkt hätten. Damit lief spätestens ab dem 21. August 2000 auch die Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO; am 7. September 2000, als der Antrag auf Wiedereinsetzung beim FG einging, war sie mithin jedenfalls schon mehrere Tage abgelaufen.
2. Die Rüge der Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör genügt unter keinen Umständen den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO n.F. Der Kläger hat keinerlei Ausführungen dazu gemacht, was er bei ―seiner Auffassung nach― ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (vgl. hierzu z.B. aus jüngerer Zeit den BFH-Beschluss vom 17. Februar 2000 VI B 260/97, BFH/NV 2000, 950).
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO n.F. ab.
Fundstellen
Haufe-Index 728752 |
BFH/NV 2002, 927 |