Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung: Verfassungsmäßigkeit des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG a.F.; Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter; Verfahrensmangel fehlender Entscheidungsgründe
Leitsatz (NV)
1. Die Frage, ob § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG (i.d.F. vor dem HBeglG 2004) "hinsichtlich der Regelungen zur Abstufung der Entfernungspauschale" verfassungskonform ist, betrifft ausgelaufenes Recht und ist deshalb nicht klärungsbedürftig.
2. Eine Besetzungsrüge mit der Begründung, die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 FGO für eine Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter hätten nicht vorgelegen, kann nur Erfolg haben, wenn sich die Übertragung als "greifbar gesetzeswidrig" erweist.
3. § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO ist nicht verletzt, wenn die Entscheidungsgründe lediglich kurz, lückenhaft oder fehlerhaft sind.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4; FGO § 6 Abs. 1, § 76 Abs. 1, § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 115 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.09.2004; Aktenzeichen 1 K 370/03) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt nicht in Betracht. Die erhobenen Verfahrensrügen (Verstoß gegen den gesetzlichen Richter; Verletzung der Sachaufklärungspflicht; Begründungsmangel) liegen nicht vor.
1. Grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein, wenn also eine Aussage zu dieser Rechtsfrage erforderlich ist, um das Entscheidungsergebnis zu begründen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 115 Rz. 30). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) nicht.
a) Der Kläger wirft die Rechtsfrage auf, "ob die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) hinsichtlich der Regelungen zur Abstufung der Entfernungspauschale verfassungskonform ist".
aa) Wird die grundsätzliche Bedeutung auf einen Verstoß gegen das Grundgesetz gestützt, so genügt die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer Norm nicht (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 4. Februar 2003 VIII B 182/02, BFH/NV 2003, 1059). Wird --wie im Streitfall-- ein Verstoß einer einfachrechtlichen Bestimmung gegen den Gleichheitssatz gerügt, so bedarf es auch Darlegungen dazu, dass der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht eingehalten hat (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 3. April 2001 VI B 224/99, BFH/NV 2001, 1138; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 21. April 2004 2 BvR 1894/02, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 2004, 459). Hinreichende Darlegungen fehlen im Streitfall.
bb) Im Übrigen betrifft die aufgeworfene Rechtsfrage ausgelaufenes Recht. Denn durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 vom 29. Dezember 2003 --HBeglG 2004-- (BGBl I, 3076, BStBl I 2004, 120) wurde mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2004 die Entfernungspauschale auf einheitlich 0,30 € abgesenkt. Betrifft eine Rechtsfrage ausgelaufenes Recht, ist für den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung anerkannt, dass sie im Regelfall nicht mehr klärungsbedürftig ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217; vom 21. November 2003 III B 67/03, BFH/NV 2004, 336; Gräber/ Ruban, a.a.O., 5. Aufl., § 115 Rz. 35, m.w.N.). Der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt, dass die Beantwortung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage für die Anwendung des Rechts in der Zukunft richtungweisend sein kann und noch für eine Vielzahl von Fällen aus der Vergangenheit entscheidungserheblich ist (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 18. Februar 2003 X B 58/02, BFH/NV 2003, 622).
b) Hinsichtlich der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage, ob ein strukturelles Vollzugsdefizit, das zur Verfassungsmäßigkeit der materiellen Besteuerungsvorschriften führt, bei der Erhebung der Einkommensteuer besteht, fehlt es insbesondere an Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit (Klärungsfähigkeit) dieser Frage in einem künftigen Revisionsverfahren.
2. Auch § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.
a) Die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter war nicht verfahrensfehlerhaft.
Nach § 6 Abs. 1 FGO kann der Rechtsstreit einem Senatsmitglied als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen werden. Hiervon hat das Finanzgericht (FG) Gebrauch gemacht. Dieser Beschluss ist nach § 6 Abs. 4 Satz 1 FGO unanfechtbar und kann regelmäßig auch im Rechtsmittelverfahren nicht überprüft werden (vgl. § 124 Abs. 2 FGO; BFH-Beschluss vom 21. Oktober 1999 VII R 15/99, BFHE 190, 47, BStBl II 2000, 88). Eine Besetzungsrüge mit der Begründung, die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 FGO für eine Übertragung auf den Einzelrichter hätten nicht vorgelegen, kann deshalb nur ausnahmsweise Erfolg haben, so etwa dann, wenn sich die Übertragung auf den Einzelrichter als "greifbar gesetzeswidrig" erweist. Dies ist eine Entscheidung aber nur dann, wenn sie mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, weil sie jeder Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist (Senatsentscheidung vom 28. Januar 2003 VI B 75/02, BFH/NV 2003, 926, m.w.N.). Das Vorliegen eines solchen Sachverhalts hat der Kläger nicht geltend gemacht. Allein der Hinweis, "dass es sich bei der Frage nach der Verfassungskonformität einer Rechtsnorm um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung handelt", verdeutlicht nicht, dass die Übertragung auf den Einzelrichter offensichtlich gesetzwidrig bzw. willkürlich war.
b) Der vom Kläger gerügte Umstand, das FG-Urteil leide unter einem Begründungsmangel hinsichtlich des Streitpunkts "Strukturelles Vollzugsdefizit", stellt keinen Verfahrensmangel dar.
Nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO muss das Urteil eines FG u.a. Entscheidungsgründe enthalten. Fehlt es daran, so liegt ein Verfahrensmangel vor, der mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden kann (BFH-Beschlüsse vom 29. August 2001 X B 36/01, BFH/NV 2002, 348; vom 25. März 2002 VI B 98/01, BFH/NV 2002, 810, m.w.N.).
Die von § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO geforderte Begründung eines Urteils dient vor allem der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten darüber, auf welchen Feststellungen und Überlegungen die richterliche Entscheidung beruht (BFH-Beschluss vom 9. Februar 2000 VIII R 27/99, BFH/NV 2000, 968; BFH-Urteil vom 20. Juni 2000 VIII R 47/99, BFH/NV 2001, 46). Ein Verstoß gegen das Begründungsgebot liegt dann vor, wenn das Gericht einen wesentlichen Streitpunkt entweder überhaupt nicht erörtert (BFH-Urteile vom 29. November 2000 I R 16/00, BFH/NV 2001, 626; vom 27. März 2001 I R 80/99, BFH/NV 2001, 1277; vom 31. Mai 2001 IV R 93/99, BFH/NV 2001, 1570) oder mit formelhaften und inhaltlich nicht nachvollziehbaren Wendungen abhandelt (BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 46). Dagegen ist § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO nicht verletzt, wenn die Entscheidungsgründe lediglich kurz, lückenhaft oder fehlerhaft sind. Dabei hat sich die Abgrenzung zwischen den i.S. des § 119 Nr. 6 FGO erheblichen und nicht wesentlichen Begründungsmängeln am Zweck der Urteilsbegründung zu orientieren. Von einem Verfahrensfehler ist erst dann auszugehen, wenn den Beteiligten --zumindest in Bezug auf die wesentlichen Streitpunkte-- die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 119 FGO Rz. 364). Davon kann im Streitfall nicht ausgegangen werden. Das FG hat den Streitpunkt "Strukturelles Vollzugsdefizit" nicht übergangen, sondern sich, wenn auch kurz, damit auseinander gesetzt.
c) Die Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO verletzt, ist nicht schlüssig erhoben.
Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht mit der Begründung gerügt, das FG habe den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen aufklären müssen, so sind substantiierte Angaben u.a. darüber zu machen, warum der Beschwerdeführer nicht von sich aus einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, warum sich die Notwendigkeit der Beweiserhebung jedoch dem FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätte aufdrängen müssen und inwieweit die als unterlassen gerügte Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Unabhängig davon ist der gerügte Verfahrensmangel nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichts steht dem vom Kläger geltend gemachten Abzug der streitigen Aufwendungen § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG entgegen. Vor diesem Hintergrund bestand für das FG keine Veranlassung, der Behauptung des Klägers nachzugehen, vor allem im Bereich der betrieblichen Einkünfte läge ein Vollzugsdefizit vor. Ein festgestelltes Vollzugsdefizit in diesem Bereich hätte nicht, wie der Kläger meint, dazu führen können, "dass über den Steuerfall des Klägers in anderer Form zu entscheiden ist, als es das beklagte Finanzamt getan hat".
3. Im Übrigen sieht der Senat von einer Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 1341772 |
BFH/NV 2005, 1089 |