Leitsatz (amtlich)
Der BFH entscheidet auch vor Einlegung der Revision über einen Antrag auf Prozeßkostenhilfe für das Revisionsverfahren.
Normenkette
FGO § 142 Abs. 1; ZPO § 127 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Das FG wies die Klage des Antragstellers ab.
Der Antragsteller teilte daraufhin mit, er beabsichtige, gegen das Urteil Revision einzulegen. Er beantrage hierzu die Bestellung eines Rechtsanwalts im Wege der Prozeßkostenhilfe, damit die Revision formell Rechtens eingelegt werden könne.
Entscheidungsgründe
Über den Antrag auf Bewilligung einer Prozeßkostenhilfe hat in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften der Zivilprozeßordnung (ZPO) über die Prozeßkostenhilfe (§ 142 Abs. 1 FGO) der Bundesfinanzhof (BFH) zu entscheiden.
An der Zuständigkeit des BFH zur Entscheidung über den Antrag fehlt es nicht deshalb, weil die Revision noch nicht eingelegt worden ist. In § 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist zwar bestimmt, daß für Entscheidungen im Verfahren über die Prozeßkostenhilfe - grundsätzlich - das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig ist und die Zuständigkeit des Gerichts eines höheren Rechtszuges davon abhängt, daß das Verfahren in diesem Rechtszug bei diesem Gericht anhängig "ist". Diese Regelung ist jedoch nicht in der Weise anzuwenden, daß das Gericht des ersten Rechtszuges über einen Antrag auf Bewilligung einer Prozeßkostenhilfe für den nächsthöheren Rechtszug auch dann zu entscheiden hat, wenn das Rechtsmittel noch nicht eingelegt worden ist und erst nach Bewilligung der Prozeßkostenhilfe eingelegt werden soll.
Der Senat verkennt nicht, daß der Wortlaut der Regelung in § 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO für eine Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges bei der aufgezeigten Verfahrenslage spricht. Die wortgetreue Anwendung der Regelung würde jedoch von der bisherigen Übung in der Rechtsprechung abweichen, ohne daß eindeutige Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß mit der genannten Regelung dieses Ziel auch angestrebt worden ist. Darüber hinaus würde eine wortgetreue Anwendung aber auch dem Erfordernis zuwiderlaufen, daß über die Prozeßkostenhilfe nach ihrem Sinn und Zweck möglichst zügig in einer Weise entschieden werden muß, die dem Antragsteller Klarheit darüber verschafft, ob und in welchem Umfang er für den höheren Rechtszug mit einer Prozeßkostenhilfe rechnen kann und ob er den Rechtsstreit in der Hauptsache fortsetzen soll.
Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe vom 13. Juni 1980 (BGBl I 1980, 677) am 1. Januar 1981, mit dem die Vorschriften der Finanzgerichtsordnung und der Zivilprozeßordnung über das Armenrecht geändert worden sind und die Prozeßkostenhilfe an die Stelle des Armenrechts getreten ist, entschied das Rechtsmittelgericht auch dann über den Antrag auf Bewilligung des Armenrechts für die Rechtsmittelinstanz, wenn der Antragsteller das Rechtsmittel gegen die in der Vorinstanz ergangene Entscheidung noch nicht eingelegt hatte. Auch in diesen Fällen wurde das Rechtsmittelgericht bereits als das Prozeßgericht angesehen, bei dem nach § 118 Abs. 1 ZPO a. F. der Antrag auf Bewilligung des Armenrechts anzubringen war (vgl. Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 118 Rdnr. 4). Es erschien in der Praxis selbstverständlich, daß auch in diesen Fällen das Rechtsmittelgericht für die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung des Armenrechts zuständig war (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 31. Januar 1978 VI ZB 7/77, Versicherungsrecht 1978 S. 449 - VersR 1978, 449 -). Der Senat ist der Auffassung, daß mit der Fassung der Regelung in § 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO eine Änderung dieser Verfahrensweise in der Rechtsprechung nicht angestrebt worden ist. Auch die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe (Bundestags-Drucksache 8/3068), in dem die Regelung bereits vorgesehen war (§ 126 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs), enthält dafür keinen Hinweis. Sie deutet vielmehr darauf hin, daß mit der genannten Regelung lediglich eine Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges für Entscheidungen in Verfahren über Prozeßkostenhilfe (z. B. nach den §§ 120 Abs. 3, 124 ZPO) nach Abschluß des Rechtsstreits in der Hauptsache auch durch eine Entscheidung in einer höheren Instanz gewährleistet werden sollte. So ist in der Begründung zu § 126 des Entwurfs ausgeführt, daß das Gericht des ersten Rechtszuges wieder zuständig werde, sobald ihm die Prozeßakten nach Erledigung des Rechtsstreits im höheren Rechtszug wieder zurückgesandt worden seien (§ 544 Abs. 2 ZPO).
Würde nunmehr aufgrund des § 127 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges auch deshalb angenommen, weil wohl ein Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe für die Rechtsmittelinstanz gestellt, das Rechtsmittel selbst aber noch nicht eingelegt worden ist, so hätte dieses Gericht bei seiner Entscheidung auch über den voraussichtlichen Ausgang des Verfahrens in der Rechtsmittelinstanz zu befinden, soweit es bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht oder der Frage nach der Mutwilligkeit (§ 114 ZPO) darauf ankommt. Es ist schon fraglich, ob dem Gericht des ersten Rechtszuges eine derartige Entscheidung überhaupt zugemutet werden kann. Jedenfalls wird es den Antragsteller, soweit er im ersten Rechtszug ohne Erfolg geblieben ist, wenig befriedigen, wenn er bei diesem Gericht um die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe für die Rechtsmittelinstanz, von der er den versagten Erfolg erhofft, nachsuchen muß.
Bleibt ein Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe für die Rechtsmittelinstanz durch eine Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges ohne Erfolg oder erlangt der Antragsteller durch diese Entscheidung nicht eine Prozeßkostenhilfe in dem gewünschten Ausmaß, so wird er versuchen, mit Hilfe der Beschwerde (§ 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO) durch eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts über die Prozeßkostenhilfe sein Ziel zu erreichen. Damit würde dann eine Verzögerung der endgültigen Entscheidung über die Prozeßkostenhilfe verbunden sein, die sich auch verzögerlich auf die Durchführung des Rechtsstreits in der Hauptsache auswirkt. Das widerspricht dem Sinn und Zweck der Prozeßkostenhilfe, durch die erreicht werden soll, daß der Unbemittelte bei der Durchführung des Rechtsstreits in der Hauptsache dem Bemittelten möglichst gleichgestellt wird. Auch aus dieser Erwägung erscheint es notwendig, daß mit der Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung einer Prozeßkostenhilfe für die Rechtsmittelinstanz sogleich das Rechtsmittelgericht befaßt wird, und zwar unabhängig davon, ob das Rechtsmittel eingelegt ist. Dadurch erfährt der Antragsteller sogleich die Auffassung des - nach Einlegung des Rechtsmittels - auch für die Entscheidung in der Hauptsache zuständigen Gerichts über die weiteren Erfolgsaussichten, auf die er sich dann einstellen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 422864 |
BStBl II 1981, 677 |