Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Verhandlungsführung im Erörterungstermin
Leitsatz (NV)
1. Der BFH kann im Beschwerdeverfahren wegen Richterablehnung den Ablauf der von den Beteiligten abweichend dargestellten Ereignisse bei einem Erörterungstermin ermitteln. Er kann die ihm zugänglichen präsenten Beweismittel, einschließlich der dienstlichen Äußerung und der übrigen sachdienlichen Urkunden würdigen.
2. Im Interesse einer straffen Verhandlungsführung kann der den Erörterungstermin leitende Berichterstatter den mündlichen Vortrag der Beteiligten über bereits schriftsätzlich vorgetragene Sachverhalte und Rechtsfragen unterbinden. Wenn dies nur durch Wortentzug durchsetzbar ist, kann daraus nicht auf Voreingenommenheit geschlossen werden.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 1-2
Tatbestand
Ausweislich der Niederschrift über den Erörterungstermin am 12. November 1996 im Verfahren über den Antrag des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) wegen Aussetzung der Vollziehung der nach einer Steuerfahndungsprüfung ergangenen Umsatzsteuerbescheide 1985 bis 1991 lehnte der Antragsteller den Berichterstatter des zuständigen Senats des Finanzgerichts (FG) wegen Befangenheit ab. In den angefochtenen Steueränderungsbescheiden hatte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) seiner Ansicht nach unvollständig erklärte Entgelte aus der ... -Firma des Antragstellers und nicht erklärte Lieferungen von Kraftfahrzeugen in einem geschätzten Umfang besteuert, nachdem Zeitungsanzeigen des Antragstellers über Kraftfahrzeugverkaufsangebote ermittelt worden waren. Das FA hatte in der Einspruchsentscheidung vom 12. Juni 1996 wegen der Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteueränderungsbescheide für 1985 bis 1991 die Vollziehung beschränkt, soweit eine Lieferung doppelt erfaßt war und ihm zweifelhaft erschien, ob Lieferungen den Familienangehörigen zugerechnet werden könnten.
Zur Begründung des Gesuchs auf Ablehnung des Berichterstatters in dem Schriftsatz vom 18. November 1996 machte der Antragsteller durch seinen Prozeßbevollmächtigten geltend, der Berichterstatter habe sich ge weigert, den Befangenheitsantrag zu protokollieren und habe Ausführungen seines, des Antragstellers, Prozeßbevollmächtigten zur Festsetzungsfrist "mit harschen Worten" unterbrochen und eine Erörterung über Unterbrechungshandlungen in dem Termin abgelehnt. Auch Ausführungen zur Unternehmereigenschaft und zur Differenzbesteuerung habe der Prozeßbevollmächtigte nicht eingehend vortragen können. Durch Suggestivfragen habe der Berichterstatter versucht, ihm, dem Antragsteller, ungünstige umsatzsteuerrechtliche Kenntnisse zu unterstellen. Der Berichterstatter habe versucht, Geschäftsvorfälle zu besprechen, die sich vor mehr als elf Jahren ereignet hätten, habe Aussagen nicht vollständig beurkundet und habe die Tatsache, daß die meisten Geschäfte im Familienkreis erfolgt seien, nicht protokolliert. Ähnlich sei er bei der Erörterung von Agenturgeschäften verfahren und habe keine Rücksicht auf den Gesundheitszustand des Befragten genommen. Der Berichterstatter habe es auch abgelehnt, sich mit Handschlag von dem Prozeßbevollmächtigten zu verabschieden.
In der dienstlichen Stellungnahme vom 16. Dezember 1996 führte der Berichterstatter aus, die Darstellung des Antragstellers über den Verlauf des Erörterungstermins sei in wesentlichen Teilen falsch und unvollständig. Das FG gab den Beteiligten Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Der Vertreter des FA bestätigte in einem Schriftsatz vom 22. Januar 1997 die Darstellung des Berichterstatters über den Verlauf des Erörterungstermins; er legte dar, der Prozeßbevollmächtigte habe die Befragung des Antragstellers durch den Vortrag bereits bekannter Tatsachen und Rechtsansichten zu verhindern versucht und gestört und dann lautstark seinen Unmut darüber geäußert, daß sich der Berichterstatter von der Befragung nicht habe abbringen lassen. Zusammenfassend legt der Vertreter des FA dar, der Berichterstatter habe alles getan, um das Verfahren wenigstens in Teilbereichen zu fördern, während der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers mit allen Mitteln versucht habe, den Rechtsstreit auf der Grund lage seiner Rechtsauffassung zu beenden. Als dies nicht gelungen sei, habe er die Bereitschaft, zur Sachaufklärung beizutragen, eingestellt.
Der Antragsteller wiederholte seine Darstellung in den Schriftsätzen vom 30. Januar 1997 und vom 14. Februar 1997.
Das FG lehnte den Befangenheitsantrag durch Beschluß vom 11. März 1997 ab. Zur Begründung führte das FG u. a. aus, dem Bericht erstatter obliege die Verhandlungsführung während eines Erörterungstermins. Er beurteile, welche Sachverhalte aufklärungsbedürftig seien. Zur Vorbereitung der späteren Entscheidung könne er die Erörterung auch auf Sachverhalte ausdehnen, die für die Entscheidung durch den Spruchkörper bedeutsam sein könnten. Dafür, daß sich der Berichterstatter nicht mehr sachbezogen verhalten habe, seien keine Anhaltspunkte ersichtlich. Der Berichterstatter habe die bereits schriftsätzlich vor getragenen Fragen der Festsetzungsfrist und die Darlegung von Literaturmeinungen und Rechtsprechung nicht zu erörtern brauchen. Seine Unmutsäußerungen seien die verständ liche und die provozierte Reaktion auf das disziplinlose Verhalten des Prozeßbevollmächtigten, aber nicht als Voreingenommenheit gegenüber dem Antragsteller zu werten. Das FG trat der Behauptung des Prozeßbevollmächtigten entgegen, daß die Darstellung über den Verlauf des Erörterungstermins "möglicherweise auf Intervention des betroffenen Richters" eingereicht worden sei. Wegen der weiteren Begründung wird auf den angefochtenen Beschluß Bezug genommen.
Mit der Beschwerde macht der Antragsteller geltend, bei ihm sei durch das Auftreten (Anbrüllen mit aggressiver Gestik) und die aggressive Verhandlungsführung des Berichterstatters der Eindruck entstanden, daß er das Aussetzungsbegehren nicht vorurteilsfrei prüfen werde, sondern ihn, den Antragsteller, als "Steuerhinterzieher" beurteile. Das FG habe die mit zeitlicher Verzögerung abgegebene Stellungnahme des Berichterstatters über den Verlauf des Erörterungstermins unkritisch übernommen und die "dezidierten Sachverhaltssegmente, die zur Befangenheit des Berichterstatters geführt" hätten, nicht objektiv geprüft. Der Antragsteller hat der Beschwerdeschrift eine schriftliche Stellungnahme von Herrn X, seinem Schwiegersohn, beigefügt.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Das FA hat im Beschwerdeverfahren auf die Stellungnahme über den Verlauf des Erörterungstermins in dem Schriftsatz vom 22. Januar 1997 hingewiesen und dazu ausgeführt, daß die Sachverhaltsschilderung in vollem Umfang aufrechterhalten werde und zu einer Änderung oder Korrektur kein Anlaß bestehe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde gegen den Beschluß des FG vom 11. März 1997 ist unbegründet, weil das FG den Ablehnungsantrag des Antragstellers vom 12./18. November 1996 zu Recht abgelehnt hat.
a) Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn ein Anlaß vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. §42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Gründe für ein derartiges Mißtrauen sind vorhanden, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, m. w. N.).
b) Zur Glaubhaftmachung der Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit müssen vom Antragsteller hinreichend substantiiert und nachvollziehbar Tatsachen vorgetragen werden (vgl. dazu §51 FGO i. V. m. §42 Abs. 2 ZPO; BFH- Beschlüsse vom 30. August 1995 XI B 114/95, BFH/NV 1996, 225; vom 11. August 1992 III S 21/92, BFH/NV 1993, 183), die bei objektiver Beurteilung die bezeichnete Besorgnis rechtfertigen können. Aus einer etwaigen Fehlerhaftigkeit des von dem abgelehnten Richter gewählten Verfahrens oder einer Entscheidung ergeben sich nicht ohne weitere Umstände auch Ablehnungsgründe (BFH-Beschluß vom 30. Januar 1995 I B 106/94, BFH/NV 1995, 1065).
Das FG konnte im Streitfall den von den Beteiligten abweichend dargestellten Ablauf des Erörterungstermins aufgrund der ihm zugänglichen präsenten Beweismittel, einschließlich der dienstlichen Äußerung (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 8. Dezember 1994 VII B 172/93, Juris-Dok. 446467) und der übrigen sachdienlichen Urkunden, würdigen. Dies ist auch dem BFH als Beschwerdegericht möglich, weil er den Sachverhalt insoweit ermitteln und würdigen kann (BFH-Beschluß vom 14. Dezember 1992 X B 69/92, BFH/NV 1994, 34). Dabei braucht sich das Beschwerdegericht nicht mit neuen Ablehnungsgründen zu befassen (BFH-Beschluß vom 7. Februar 1996 X B 195/95, BFH/NV 1996, 616, m. w. N.).
c) Zutreffend hat das FG die Aufgaben und Befugnisse des Berichterstatters in einem Erörterungstermin beurteilt. Der Berichterstatter leitet den Erörterungstermin und bestimmt seinen Ablauf. Dabei kann er sich darauf beschränken, Tatsachen zu erörtern, die bisher nicht oder seiner Meinung nach nicht ausreichend schriftsätzlich dargelegt worden sind. Im Interesse einer straffen Verhandlungsführung ist es gerechtfertigt, den mündlichen Vortrag bereits schriftsätzlich vorgetragener Sachverhalte und Rechtsfragen zu unterbinden. Wenn dies nur durch Wortentzug durchsetzbar ist, kann daraus nicht auf Voreingenommenheit geschlossen werden (BFH-Beschluß vom 27. August 1984 IV B 55--56/84, Juris- Dok. 135700). Für einen geordneten und störungsfreien Ablauf des Erörterungstermins kann der Richter auch Äußerungen eines Beteiligten mit entschiedenen Worten zurückweisen. Dabei können nach den Umständen der Verhandlung auch lautstarke Äußerungen vertretbar sein, solange sie für einen Beteiligten nicht kränkend oder herabsetzend sind (BFH-Beschluß vom 14. Oktober 1981 I B 26/81, Juris-Dok. 7389) oder ihn einschüchtern sollen.
Ein die Ablehnung rechtfertigendes Verhalten des Berichterstatters ist im Streitfall nicht erkennbar. Er konnte Darlegungen des Prozeßbevollmächtigten zurückweisen, die bereits schriftsätzlich vorgetragen worden waren oder die sich aus der dem Gericht zugänglichen Rechtsprechung und Literatur entnehmen lassen. Der Berichterstatter konnte Sachverhalte erörtern, die ihm er örterungsbedürftig erschienen. Die Einwilligung des Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers war dafür nicht notwendig. Der Berichterstatter konnte es unterbinden, daß der Prozeßbevollmächtigte seiner Verhandlungsführung entgegenwirken, sie etwa ablenken oder stören wollte. Die allein dem Berichterstatter obliegende Leitung des Erörterungstermins stellt keinen Ablehnungsgrund gegen ihn dar, selbst wenn dabei Sach- und Rechtsfragen, die dem Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers als erörterungsbedürftig erschienen, nicht oder nicht in der gewünschten Breite besprochen werden.
Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, daß der Berichterstatter durch sein angebliches Verhalten (Anbrüllen, Gesten, fehlende Rücksichtnahme auf den Gesundheitszustand des Antragstellers) eine Voreingenommenheit gegen den Antragsteller ausgedrückt hat. Soweit der Antragsteller behauptet, der Berichterstatter habe ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch nicht zu Protokoll genommen, wird diese Darstellung durch den Inhalt der Niederschrift widerlegt. Das gleiche gilt für die Behauptung, der Berichterstatter habe keine Rücksicht auf den Gesundheitszustand des Antragstellers genommen, denn die Niederschrift ergibt das Gegenteil. Danach (Seite 2) ist der Erörterungstermin unterbrochen worden, nachdem der Antragsteller um eine Pause gebeten hatte.
Der Vortrag, der Berichterstatter habe den Schwiegersohn des Antragstellers mit harschen Worten angeschrien "Ich leite hier die Sitzung" und er habe den Prozeßbevollmächtigten angebrüllt, er werde keine vorgreiflichen Rechtsfragen erörtern, ist durch die schlüssige und substantiierte Schilderung des Berichterstatters in seiner dienstlichen Äußerung und durch die schriftliche Darstellung des Vertreters des FA über den Verlauf des Erörterungstermins erschüttert worden. Damit kann dieser Vortrag nicht die Grundlage für eine Ablehnung sein.
Fundstellen
Haufe-Index 66653 |
BFH/NV 1998, 338 |