Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzungsbeschluß des FG als Gericht der Hauptsache wirkt nur für diese Instanz; Veräußerung sog. Privatoptionen ist umsatzsteuerpflichtig
Leitsatz (NV)
1. Die Ablehnung eines Antrages auf Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides durch das Finanzgericht als Gericht der Hauptsache wirkt nur für die Zeit der Anhängigkeit der Hauptsache in dieser Instanz. Der erneuten Antragstellung in der Revisionsinstanz - beim Bundesfinanzhof als dem Gericht der Hauptsache - steht deshalb die Entscheidung des Finanzgerichts nicht gemäß Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFGEntlG entgegen.
2. Die Veräußerung nicht börsengängiger sog. Privatoptionen auf steigenden oder fallenden Kurs von Waren, die an Rohstoffbörsen gehandelt werden, unterliegen als Veranstaltung eines Spiels mit Gewinnmöglichkeiten der Umsatzsteuer.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3; VGFGEntlG Art. 3 § 7 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1; UStG 1967 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Nrn. 8, 9 Buchst. b; UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Nr. 8 Buchst. b, c, e, Nr. 9 Buchst. b; EWGRL 388/77 Art. 13 Abschn. B Buchst. d Nr. 4, Buchst. f.; EWGVtr Art. 177
Tatbestand
Die Antragstellerin bietet gegen Zahlung einer sog. Prämie ihren Kunden nicht börsengängige sogenannte Optionen (Privatoptionen) auf steigenden oder fallenden Kurs von Waren an, die an Rohstoffbörsen gehandelt werden. Entsprechend den von ihr ausgegebenen Privatoptionen erwirbt sie im eigenen Namen und auf eigene Rechnung entweder an Börsen gehandelte Warenterminoptionen oder aber weitere Privatoptionen eines sog. Stillhalters. Zur Deckung ihrer Kosten einschließlich ihres Gewinns kalkuliert die Antragstellerin die von ihren Kunden eingeforderte Prämie unabhängig von den Börsennotierungen.
Unter Einbeziehung der aus den genannten Geschäften eingenommenen Prämien setzte das Finanzamt Umsatzsteuer für die Kalenderjahre 1977 bis 1980 fest. Gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts hat die Antragstellerin Revision eingelegt, mit dem Antrag, die Umsatzsteuer für die Streitjahre auf 0 DM herabzusetzen. Über die Revision ist noch nicht entschieden. Mit Schriftsatz vom . . . hat die Antragstellerin beantragt, die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 1977 bis 1980 auszusetzen.
Die Antragstellerin beurteilt ihre Tätigkeit nicht, wie das Finanzgericht, als Veranstaltung eines Spiels mit Gewinnmöglichkeit. Vielmehr sei sie selbst Teilnehmer eines Spiels. Dementsprechend sei ihre Tätigkeit nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 8. Dezember 1981 VIII R 125/79 (BFHE 135, 426, BStBl II 1982, 618) keine Leistung im Sinn des Umsatzsteuergesetzes. Im übrigen komme als Gegenstand ihrer Leistung allenfalls eine Warenlieferung in Betracht, die deshalb nicht steuerbar sei, weil sie sich im Ausland vollziehe. Verneine man mit dem Finanzgericht eine Warenlieferung, so handle es sich um steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 8 UStG 1967 bzw. § 4 Nr. 8 Buchst. b und c UStG 1980. Insoweit sei auch Artikel 13 Abschn. B Buchst. d Nr. 4 oder Buchst. f der Sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern zu beachten.
Das Finanzamt widersetzt sich dem Antrag. Nach seiner Auffassung ist er unzulässig, weil er den Voraussetzungen des Artikels 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG nicht entspreche. Das Finanzgericht habe bereits durch Beschlüsse vom Dezember 1981 sowie vom April 1984 in der gleichen Sache den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurückgewiesen. Neues habe die Antragstellerin nicht vorgetragen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag, die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 1977 bis 1980 auszusetzen, ist zulässig.
Der Antragstellung steht Artikel 3 § 7 Abs. 1 Satz 1 VGFGEntlG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist ein Antrag an das Gericht der Hauptsache nach § 69 Abs. 3 FGO nur zulässig, wenn die Finanzbehörde einen Antrag nach § 69 Abs. 2 FGO ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Dies ist durch die Verfügung des Finanzamts vom . . . 1981 geschehen. Es ist unerheblich, daß diese Verfügung bereits vor der Einlegung der Revision in der Hauptsache ergangen ist (BFH-Beschluß vom 8. Juni 1982 VIII B 29/82, BFHE 136, 67, BStBl II 1982, 608 m. w. N.).
Entgegen der vom Finanzamt geäußerten Rechtsauffassung kann die Zulässigkeit des beim erkennenden Senat gestellten Antrages auch nicht an Artikel 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG scheitern, weil diese Vorschrift für den vorliegenden Antrag nicht gilt. Sie betrifft die Aufhebung oder Änderung eines Beschlusses über einen Antrag nach § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO, also die Wiederholung eines abgelehnten Antrages. Der von der Antragstellerin beim erkennenden Senat gestellte Antrag ist jedoch nicht die Wiederholung eines abgelehnten Antrages, sondern ein neuer, ohne Berücksichtigung der beim Finanzgericht gestellten und verbeschiedenen Anträge zu würdigender Antrag. § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO, Artikel 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG betreffen, wie der Zusammenhang mit § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO ergibt, nur die bei dem jeweiligen Gericht der Hauptsache zu stellenden und gestellten Anträge.
Nach der Regelung des § 69 Abs. 3 FGO ist die Frage der Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich für jeden Verfahrensabschnitt gesondert zu prüfen (vgl. Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 69 Rdziff. 38). Hieraus hat der Bundesfinanzhof im Beschluß vom 3. Januar 1978 VII S 13/77 (BFHE 124, 22, BStBl II 1978, 157) gefolgert, ein nicht befristeter Aussetzungsbeschluß des Finanzgerichts könne nur dahin verstanden werden, daß die Vollziehung nur für den Verfahrensabschnitt vor dem Finanzgericht gelte (ähnlich Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 69 FGO Anm. 4).
Entsprechendes gilt für den Fall der Ablehnung eines Aussetzungsantrages durch das Finanzgericht. Seine Entscheidung wirkt für die Zeit der Anhängigkeit der Hauptsache in dieser Instanz; eine Bindung des Revisionsgerichts an diese Entscheidung tritt nicht ein, denn mit Erhebung der Revision ist das Revisionsgericht als Gericht der Hauptsache ausschließlich für die Entscheidung über diesen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zuständig.
Der Antrag ist nicht begründet.
Die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 1977 bis 1980 ist nicht gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO auszusetzen, weil keine ernstlichen Zweifel daran bestehen, daß die Antragstellerin steuerbare und steuerpflichtige Leistungen erbracht hat, indem sie ihren Kunden gegen Zahlung der sog. Prämie die Möglichkeit verschafft hat, Gewinne zu erzielen.
Der Umsatzsteuer unterliegen sowohl nach dem Umsatzsteuergesetz 1967 als auch nach dem Umsatzsteuergesetz 1980 Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt (jeweils § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Zur Annahme des danach erforderlichen Leistungsaustausches ist auf der Seite des leistenden Unternehmers, hier also der Antragstellerin, ein Verhalten erforderlich, das auf den Erhalt einer Gegenleistung im Austausch gegen die erbrachte Leistung abzielt (BFH-Urteil vom 7. Mai 1981 V R 47/76, BFHE 133, BStBl II 1981, 495).
Die von der Antragstellerin erbrachte Leistung besteht in der Veranstaltung eines Spiels mit Gewinnmöglichkeiten. Sie verschafft ihren Kunden vermittels ihrer Organisation und ihrer Betriebsmittel die Möglichkeit, Gewinne zu erzielen, die sich danach bestimmen, ob und in welchem Maß sich die Kurse an den Warenterminbörsen nach oben oder nach unten bewegen. Der Kunde erhält mit dem Erwerb der Privatoption nicht das Recht, einen Warenterminkontrakt zu kaufen bzw. zu verkaufen. Die Ansprüche der Kunden beschränken sich auf Rückzahlungs- und Gewinnansprüche; ggf. verliert der Kunde die gesamte an die Antragstellerin gezahlte Prämie.
Die Ausführungen des Bundesfinanzhofs in BFHE 135, 426 (BStBl II 1982, 618) zu §§ 22, 23 EStG sind auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar. Die umsatzsteuerrechtlich maßgebende Leistung der Antragstellerin besteht nicht darin zu spielen, sondern darin, den Kunden die Möglichkeit zu verschaffen, Spieleinnahmen zu erzielen (vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 1979 2 StR 315/79, UStR 1980, 112, HFR 1980, 255). Dementsprechend stellt sich die Prämie in vollem Umfang als Gegenleistung für die Leistung der Antragstellerin dar. Auf den Erhalt dieser Prämie ist die Tätigkeit der Antragstellerin gerichtet. Unerheblich ist, ob sie einen Teil der Prämie zur Finanzierung sog. Deckungsoptionen verwendet; es handelt sich hierbei um Aufwendungen der Antragstellerin, die das umsatzsteuerrechtliche Entgelt nicht berühren.
Es ist auch nicht ernstlich zweifelhaft, daß die Leistungen der Antragstellerin im Inland bzw. im Erhebungsgebiet ausgeführt werden. Für die Besteuerungszeiträume 1977 bis 1979 folgt dies aus § 3 Abs. 10 Satz 1 UStG 1967; danach hat die Antragstellerin ihre Leistungen im Inland ausgeführt, weil sie ausschließlich oder zum wesentlichen Teil im Inland tätig geworden ist. Für den Besteuerungszeitraum 1980 ergibt sich aus § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG 1980, daß die Leistungen im Erhebungsgebiet ausgeführt worden sind, weil die Antragstellerin ihr Unternehmen im Erhebungsgebiet betrieben hat.
Die Lieferung von Ware, deren Leistungsort sich nach dem Ort der Verschaffung der Verfügungsmacht richtet (§ 3 Abs. 6 UStG 1967, gleichlautend § 3 Abs. 6 UStG 1980), kommt nicht in Betracht. Die dahingehenden Ausführungen der Antragstellerin gehen darüber hinweg, daß sie ihren Kunden keine Optionen auf Warenterminkontrakte eingeräumt hat, auch nicht, soweit sog. Deckungsoptionen bestanden haben. Es braucht deshalb auch nicht untersucht zu werden, wo der Ort der Leistung im Fall eines Optionsgeschäftes mit Warenabwicklung läge. Hierzu gibt auch der von der Antragstellerin in der Revisionsbegründung erörterte Fall der Abtretung eines aufgrund einer Deckungsoption erhaltenen Terminkontrakts schon deshalb keinen Anlaß, weil diese Gestaltung lediglich als Möglichkeit dargestellt wird und nicht vorgetragen worden ist, daß die Geschäftsbeziehungen mit den Kunden in bestimmten Fällen in dieser Form abgewickelt worden seien (zum Umfang der Prüfung im AdV-Verfahren siehe BFH-Beschlüsse vom 21. November 1973 I S 8/73, BFHE 110, 498, BStBl II 1974, 114, und vom 21. März 1985 IV S 21/84, BFHE 143, 487, BStBl II 1985, 551).
Die von der Antragstellerin erbrachten Leistungen sind steuerpflichtig; insbesondere sind sie nicht nach § 4 Nr. 8 UStG 1967, § 4 Nr. 8 Buchst. b oder c UStG 1980 von der Steuer befreit. Weder setzt die Antragstellerin gesetzliche Zahlungsmittel um, noch tritt sie Forderungen an ihre Kunden ab oder überträgt Forderungen auf Zahlung eines Geldbetrages.
Eine Gleichstellung mit den nach § 4 Nr. 8 Buchst. e UStG 1980 von der Steuer befreiten Optionsgeschäften mit Wertpapieren kommt nicht in Betracht, weil die zwischen der Antragstellerin und ihren Kunden abgeschlossenen Geschäfte schon ihrer Art nach keine Optionsgeschäfte im Sinn dieser Regelung darstellen. Denn die Antragstellerin schließt mit ihren Kunden weder Termingeschäfte in Form eines Optionsgeschäftes ab noch überträgt sie Optionsrechte auf Termingeschäfte oder vermittelt den Abschluß von Optionsgeschäften. Eine Beziehung zu Börsentermingeschäften besteht nur insoweit, als die jeweiligen Börsennotierungen Grundlage für die Berechnung der Rückzahlungs- bzw. Gewinnansprüche an die Kunden darstellen. Im übrigen hat der Gesetzgeber lediglich Optionsgeschäfte mit Wertpapieren und nicht mit Waren von der Steuer freigestellt; auch die von der Antragstellerin genannte Verwaltungsanweisung bezieht sich nur auf den Börsenterminhandel mit Wertpapieren (BMF-Erlaß IV A/3 - S 7160 - 4/70 vom 10. März 1970, UStR 1970, 87, sowie BMF-Schreiben IV a/3 - S 7160 - 28/70 vom 20. November 1970, UStR 1970, 397). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Artikel 13 Abschn. B Buchst. d Nr. 4 der Sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern. Auch auf Artikel 13 Abschn. B Buchst. f a.a.O. kann sich die Antragstellerin nicht mit Erfolg berufen, denn diese Vorschrift überläßt es den Mitgliedsstaaten, unter welchen Bedingungen Glücksspiele von der Steuer zu befreien sind. § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG 1980 (wie bereits § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG 1967) stellt jedoch nur Umsätze von der Steuer frei, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen; hierzu gehören die Umsätze der Antragstellerin nicht (vgl. BGH-Urteil in UStR 1980, 112).
Im übrigen könnte sich die Antragstellerin nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 25. April 1985 V R 123/84, BFHE 143, 383) nicht mit Erfolg auf vom deutschen Umsatzsteuerrecht abweichende Richtlinienbestimmungen berufen. Die Aussetzung der Vollziehung ist demnach auch nicht im Hinblick auf eine erst durch eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu beseitigende Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen begründet; eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 177 EWGV kommt aus den genannten Gründen nicht in Betracht.
Fundstellen