Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Zulassung der Revision wegen erheblicher Fehler der Vorentscheidung und zur Fortbildung des Rechts
Leitsatz (NV)
- Erhebliche Fehler eines FG bei der Auslegung revisiblen Rechts können allenfalls zur Zulassung der Revision führen, wenn die Entscheidung als willkürlich zu bezeichnen ist.
- Auch zur Darlegung des Zulassungsgrundes des § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO sind substantiierte und konkrete Angaben dazu erforderlich, weshalb eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu einer bestimmten Rechtsfrage aus Gründen der Rechtsklarheit, der Rechtsfortbildung oder der Einheitlichkeit der Rechtsprechung im allgemeinen Interesse liegt.
- Zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 119 Nr. 6 FGO.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 3 S. 3, § 119 Nr. 6; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 88 Abs. 1 S. 3; DMBilG § 31 Abs. 1 Nr. 1
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war zurückzuweisen.
Zulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) teils nicht i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt worden. Im Übrigen liegen solche Zulassungsgründe nicht vor.
1. Die von ihr behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) hat die Klägerin nicht dargelegt.
Fehler bei der Anwendung materiellen Rechts, wie sie die Klägerin rügt, rechtfertigen auch nach der Neufassung des § 115 Abs. 2 FGO durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567) grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Anm. 24).
Ob nach der Neufassung der Revisionszulassungsgründe durch das 2.FGOÄndG erhebliche Fehler eines Finanzgerichts (FG) bei der Auslegung revisiblen Rechts zur Zulassung führen können (vgl. dazu Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837; vom 23. April 2002 IV B 63/01, nicht veröffentlicht ―n.v.―), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn einen solchen Fehler hat die Klägerin nicht bezeichnet. Derartige Fehler können nur vorliegen, wenn sie von erheblichem Gewicht und geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (BTDrucks 14/4061). Diese Kriterien sind dahin zu konkretisieren, dass die Revision allenfalls gegen solche Entscheidungen der FG zuzulassen ist, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) als willkürlich zu bezeichnen wären. Davon kann ausnahmsweise nur ausgegangen werden, wenn der angefochtene Richterspruch jeder Rechtsgrundlage entbehrt und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfG-Beschlüsse vom 26. Mai 1993 1 BvR 208/93, BVerfGE 89, 1, 14; vom 8. Juli 1997 1 BvR 1934/93, BVerfGE 96, 189; BFH-Beschluss in BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 68). Dies ist vorliegend ―auch wenn der von der Klägerin insoweit vertretenen Rechtsauffassung zu folgen wäre― offensichtlich nicht der Fall.
2. a) Soweit die Klägerin eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) zur Auslegung des Begriffs der "nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen" i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) und der Reichweite der Ermittlungspflicht der Finanzverwaltung gemäß § 88 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 für erforderlich hält, entspricht die Beschwerdeschrift ebenfalls nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Eine Fortbildung des Rechts i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO kann nur erforderlich sein, wenn über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, insbesondere, wenn der Streitfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (vgl. BFH-Beschluss vom 23. April 2002 IV B 63/01, n.v.). Wie beim Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (grundsätzliche Bedeutung) sind daher auch zur Darlegung des Zulassungsgrundes des § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO substantiierte und konkrete Angaben dazu erforderlich, weshalb eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu einer bestimmten Rechtsfrage aus Gründen der Rechtsklarheit, der Rechtsfortbildung oder der Einheitlichkeit der Rechtsprechung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. BFH-Beschluss vom 22. April 2002 XI B 101/01, BFH/NV 2002, 1047). Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht. Der bloße Hinweis darauf, dass es sich bei § 173 Abs. 1 Nr. 1 und § 88 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 um zentrale Regelungen des Veranlagungsverfahrens handele, die kontrovers diskutiert würden und für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung seien, ist nicht ausreichend.
b) Soweit die Klägerin eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts hinsichtlich der Fragen des Ansatzes und der Bewertung selbst geschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens (nicht geschützte Warenzeichen) gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1 des D-Markbilanzgesetzes (DMBilG) für erforderlich hält, ist die Beschwerde nicht begründet. Die Entscheidung des FG, dass die Ermittlung des Teilwerts der streitbefangenen Marken und Warenzeichen durch den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) nicht zu beanstanden sei, beruht im Wesentlichen auf seiner Feststellung, dass die von der Klägerin und dem von ihr im Jahre 1994 nachträglich beauftragten Gutachter zugrunde gelegten Umstände zum maßgeblichen Bilanzstichtag 1. Juli 1990 weder ersichtlich noch vorhersehbar gewesen seien. Diese Feststellung ist für das Revisionsgericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend. Die Frage der Berücksichtigung nach dem Stichtag eingetretener Tatsachen ist durch die Rechtsprechung geklärt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. Dezember 1999 I R 91/98, BFHE 191, 33, BStBl II 2000, 381, m.w.N.). Die Frage, ob ein fünf Monate nach dem Stichtag gezahlter Kaufpreis für die Ermittlung des Teilwerts zum Stichtag herangezogen werden kann, kann nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zutreffend beurteilt werden.
3. Die Rüge, die Vorentscheidung sei nicht mit Gründen versehen (§ 119 Nr. 6 FGO) ist jedenfalls unbegründet. Nach dem Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmS-OGB 1/92) vom 27. April 1993 (Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1993, 2603) liegt ein (absoluter) Revisionsgrund i.S. des § 119 Nr. 6 FGO nur vor, wenn die Urteilsgründe nicht binnen fünf Monaten nach der Verkündung schriftlich niedergelegt, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind, Vorliegend ist das Urteil auch nach dem Vortrag der Klägerin innerhalb von vier Monaten nach der Verkündung zugestellt worden.
Die negative Entscheidung über die Zulassung der Revision ist eine prozessuale Nebenentscheidung, die keines ausdrücklichen Ausspruchs bedarf (BFH-Urteil vom 21. März 1995 VIII R 7/95, BFH/NV 1995, 995) und deren Wirksamkeit vom Mangel ihrer Begründung nicht berührt wird (BFH-Urteil vom 22. Juni 1979 VI R 85/76, BFHE 128, 236, BStBl II 1979, 660; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 109).
4. Im Übrigen ergeht der Beschluss nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ohne weitere Begründung.
Fundstellen
Haufe-Index 872340 |
BFH/NV 2003, 197 |