Entscheidungsstichwort (Thema)
Erinnerung gegen Kostenansatz
Leitsatz (NV)
- Bei Ausländern sind an den Inhalt einer Rechtsmittelbelehrung keine anderen Anforderungen zu stellen als bei Inländern. Das Schweigen einer Rechtsmittelbelehrung über die Voraussetzungen, unter denen ein in einem Mitgliedstaat der EU zugelassener Rechtsanwalt zur Vertretung vor dem BFH befugt ist, stellt keine unrichtige Sachbehandlung i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG dar.
- Die Rechtsunkenntnis eines in einem EU-Mitgliedstaat zugelassenen Rechtsanwalts darüber, unter welchen Voraussetzungen die von ihm vorgenommenen Prozesshandlungen vor einem deutschen Gericht mit Vertretungszwang wirksam sind, ist nicht unverschuldet i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 3 GKG.
Normenkette
GKG § 8 Abs. 1 Sätze 1, 3; FGO § 55; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; EWGRL249/77DG § 4 Abs. 2
Tatbestand
I. Die Klägerin und Erinnerungsführerin (Klägerin) hatte vertreten durch einen in Schweden zugelassenen Rechtsanwalt Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) Mecklenburg-Vorpommern vom 20. Oktober 1998 2 K 19/95 eingelegt. Der Bundesfinanzhof (BFH) verwarf die Revision durch Beschluss vom 28. Juli 1999 als unzulässig, weil der schwedische Prozessbevollmächtigte nicht gemäß § 4 Abs. 2 des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte vom 16. August 1980 (BGBl I, 1453), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. September 1994 (BGBl I, 2278, 2292) ―RADG― nachgewiesen hatte, im Einvernehmen mit einer Person zu handeln, die gemäß Art. 1 Nr. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) zur Vertretung vor dem BFH befugt ist. Daraufhin wurden gegen die Klägerin durch Kostenrechnung vom 8. Oktober 1999 Gerichtskosten in Höhe von 1 670 DM festgesetzt.
Dagegen hat die Klägerin mit der Begründung Erinnerung eingelegt, die Rechtsmittelbelehrung des FG habe zwar auf den Vertretungszwang vor dem BFH hingewiesen, nicht aber darauf, dass sich ein in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassener Rechtsanwalt eines inländischen Einvernehmensanwalts bedienen müsse.
Die Klägerin beantragt, die Kostenrechnung vom 8. Oktober 1999 aufzuheben.
Die Vertreterin der Staatskasse beantragt, die Erinnerung als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Erinnerung ist unbegründet.
1. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) werden Kosten, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären, nicht erhoben. Eine fehlerhafte oder unvollständige Rechtsmittelbelehrung kann eine derartige unrichtige Sachbehandlung sein (vgl. Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Dezember 1986 2 AZR 289/86, Betriebs-Berater 1987, 552). Das Schweigen der Rechtsmittelbelehrung über die Voraussetzungen, unter denen ein in Schweden zugelassener Rechtsanwalt zur Vertretung vor dem BFH befugt ist, stellt jedoch keine unrichtige Sachbehandlung im Sinne dieser Vorschrift dar. Die an Rechtsmittelbelehrungen durch die FG zu stellenden inhaltlichen Anforderungen sind in § 55 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geregelt. Ob darüber hinaus über den Vertretungszwang gemäß Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG belehrt werden muss, ist bereits umstritten (vgl. dazu Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 55 FGO Anm. 38, m.w.N.), kann aber vorliegend auf sich beruhen, weil die Rechtsmittelbelehrung des FG auf den Vertretungszwang vor dem BFH hinweist. Auf die Anforderungen, die ein ausländischer Prozessvertreter zu erfüllen hat, braucht jedenfalls nicht hingewiesen zu werden. Bei Ausländern sind an den Inhalt der Rechtsmittelbelehrung keine anderen Anforderungen zu stellen als bei Inländern (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. Dezember 1975 8 RU 46/74, Blätter für Steuer-, Sozial- und Arbeitsrecht 1976, 247). Allenfalls kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO in Betracht. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schied aber im Streitfall von vornherein deshalb aus, weil der Prozessbevollmächtigte trotz der Hinweise sowohl des FG als auch des BFH (Schreiben des Vorsitzenden des II. Senats des BFH vom 22. März 1999) auf das Erfordernis eines Einvernehmensanwalts die Prozesshandlung nicht binnen der dafür gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vorgesehenen Frist von zwei Wochen in einer § 4 Abs. 2 RADG genügenden Weise wiederholt noch sich sonst geäußert hat.
2. Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 3 GKG kann bei abweisenden Bescheiden von der Erhebung der Gerichtskosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der rechtlichen Verhältnisse beruhte. Zu den abweisenden Bescheiden gehört auch der eine Revision als unzulässig verwerfende Beschluss. Bei der Frage, ob die Unkenntnis der rechtlichen Verhältnisse, die zu der Abweisung des Antrags geführt hat, unverschuldet ist oder nicht, ist auf den Bildungsgrad des Antragstellers und die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Dabei ist das Handeln eines Prozessbevollmächtigten dem Vertretenen zuzurechnen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 28. Aufl. 1999, § 8 GKG Anm. 53).
Im Streitfall beruhte die Einlegung der Revision durch den schwedischen Prozessbevollmächtigten ohne Einschaltung eines sog. Einvernehmensanwalts auf der Rechtsunkenntnis darüber, unter welchen Voraussetzungen die Prozesshandlungen eines in einem EU-Mitgliedstaat zugelassenen Rechtsanwalts vor einem deutschen Gericht mit Vertretungszwang wirksam sind. Diese Rechtsunkenntnis ist jedoch nicht unverschuldet. Ein Rechtsanwalt, der bei einem ausländischen Gericht, vor dem ausweislich der Rechtsmittelbelehrung Vertretungszwang besteht, ein Rechtsmittel einlegen will, muss damit rechnen, besondere Anforderungen erfüllen zu müssen. Dies gilt auch, wenn es sich um ein Gericht in einem anderen Mitgliedstaat der EU handelt, wie sich bereits aus der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Februar 1988 Rs. 427/85 (Slg. 1988, 1154) ergibt. Er muss sich dann Gewissheit über die Rechtslage verschaffen. Unterlässt er dies, ist seine Unkenntnis verschuldet. Demgemäß kann sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht auf seine Unkenntnis berufen. Sein Verschulden ist der Klägerin als Vertretene zuzurechnen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Im Übrigen war die Revision auch deshalb unzulässig, weil ―wie im Beschluss vom 28. Juli 1999 näher dargelegt worden ist― die Revision von dem FG weder zugelassen worden war noch Gründe für eine zulassungsfreie Revision gegeben waren. Auch hierauf war der Prozessvertreter in dem Schreiben des Vorsitzenden vom 22. März 1999 hingewiesen worden.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 5 Abs. 6 GKG gerichtsgebührenfrei.
Fundstellen
Haufe-Index 424943 |
BFH/NV 2000, 737 |