Entscheidungsstichwort (Thema)
Doppelbesteuerungsabkommen Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Schriftliche Bescheide und Rechtsmittelentscheidungen, die im Besteuerungsverfahren ergehen, müssen im Ausland gemäß § 14 Abs. 1 VwZG mittels Ersuchens der zuständigen Behörde des fremden Staates oder der in diesem Staate befindlichen konsularischen oder diplomatischen Vertretungen des Bundes zugestellt werden, soweit nicht die Sondervorschrift des § 14 Abs. 2 VwZG Platz greift oder ein Staatsvertrag eine abweichende Regelung zuläßt.
Die vereinfachte Form der Zustellung nach § 17 VwZG (Zusendung durch einfachen Brief) gilt nur für Zustellungen im Inland.
Der Ausschluß der Heilung von Zustellungsmängeln gemäß § 9 Abs. 2 VwZG gilt im Rahmen der AO auch dann, wenn mit der Zustellung eine Frist für die Einlegung des Einspruchs beginnt.
Normenkette
OECD-MA Allgemein; VwZG § 14; VwZG Abs. 2; VwZG §§ 9, 17, 19; AO §§ 89, 229; FGO § 44; AO § 261; FGO § 45; AO § 326 Abs. 5, § 326/3
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.), ein norwegischer Staatsangehöriger, der früher in Z. lebte, wohnt jetzt in Oslo. Er war bis Ende 1950 Mitinhaber der Firma A. und B. in Z. Bei seinem Ausscheiden aus der Firma blieb seine Kapitaleinlage in Höhe von etwa 17.000 DM bis auf weiteres stehen. In der Bilanz der genannten Firma wurde am 31. Dezember 1954 noch eine aus der Kapitaleinlage herrührende Darlehnsforderung des Bf. im Betrage von etwa 14.000 DM ausgewiesen.
Mit Rücksicht auf die erwähnte Kapitaleinlage erließ das Finanzamt gegen den Bf. am 2. März 1956 einen vorläufigen Vermögensabgabebescheid, mit dem der Bf. mit Wirkung vom 1. April 1955 zur Vermögensabgabe herangezogen wurde.
Die Firma H. und B., unter deren Anschrift das Finanzamt den vorläufigen Vermögensabgabebescheid an den Bf. absandte, gab den Bescheid mit dem Anheimstellen zurück, ihn an die damalige Anschrift des Bf. in Oslo zu schicken. Der Bf. hatte dem Finanzamt gegenüber keinen inländischen Vertreter bestellt. Er war auch vom Finanzamt nicht zur Bestellung eines solchen Zustellungsbevollmächtigten aufgefordert worden.
Das Finanzamt sandte nunmehr den Bescheid unmittelbar an den Pflichtigen mit der Post durch einfachen Brief am 7. März 1956 ab.
Es ist nicht ermittelt, wann der Bf. diesen Bescheid erhalten hat.
Nachdem Zahlungen auf Grund des Bescheids nicht eingingen, bat die Vollstreckungsstelle des Finanzamts den Bf. durch ein mittels Luftpost abgeschicktes Schreiben vom 8. Mai 1956 um Stellungnahme, in welcher Weise er die rückständigen Steuerbeträge (von 335,80 DM) und die künftigen Vierteljahresbeträge (von damals jeweils 83,95 DM) zu tilgen gedenke.
Nach Erhalt dieses Schreibens machte der Bf. in einem Schreiben vom 14. Mai 1956 geltend, daß er zu einer Vermögensabgabe in Deutschland nicht herangezogen werden könne; zur Begründung berief er sich auf eine schon vor dem Erlaß des Vermögensabgabebescheides dem Finanzamt gegenüber abgegebene Erklärung vom 1. August 1955, nach der zwar die erwähnte Kapitaleinlage bei seinem Ausscheiden aus der Firma A. und B. am 31. Dezember 1950 nicht in voller Höhe ausbezahlt sei, jedoch entsprechende Schulden bei einer anderen Firma bestanden hätten.
Mit dem Schreiben vom 14. Mai 1956 reichte er den Vermögensabgabebescheid vom 2. März 1956 nebst ihm zugesandten Erklärungsformularen an das Finanzamt zurück. Nachdem der Bf. die Aufforderung des Finanzamts vom 25. Mai 1956, die Höhe seiner Schulden per 21. Juni 1948 und die Anschrift des Gläubigers mitzuteilen, trotz zweimaliger Erinnerung nicht beantwortet hatte, erließ die Vollstreckungsstelle des Finanzamts unter dem 9. Oktober 1956 eine Pfändungsverfügung, mit der für rückständige Vermögensabgabe, Säumniszuschläge und Kosten im Betrage von zusammen 535,30 DM der Anspruch des Bf. gegen die Firma A. und B. auf Rückzahlung des erwähnten Darlehens in entsprechender Höhe gepfändet und zugleich die Einziehung der gepfändeten Forderung angeordnet wurde. Gegen die der Firma A. und B. am 12. Oktober 1956 zugestellte Pfändungs- und überweisungsverfügung legte der Bf. durch das am 26. Oktober 1956 beim Finanzamt eingegangene Schreiben vom 25. Oktober 1956 Beschwerde ein. Unter Bezugnahme auf sein früheres Vorbringen machte er erneut geltend, daß seinem Guthaben bei der Firma A. und B. Schulden in gleicher Höhe bei einer Firma C. D. in Z. zur Zeit seines Ausscheidens der Firma A. und B. gegenüberstanden.
Das Finanzgericht wies die Beschwerde durch den angefochtenen Beschluß als unbegründet zurück und legte dem Bf. die Kosten des Verfahrens zur Last. Das Finanzgericht begründete seine Entscheidung vor allem damit, daß nach der Vorschrift des § 327 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) Einwendungen gegen die Entstehung oder die Höhe des Anspruchs außerhalb des Zwangsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsmitteln zu verfolgen seien.
Der Beschluß des Finanzgerichts vom 27. Juni 1957 wurde dem Bf. gemäß § 14 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) vom 3. Juli 1952 (Bundesgesetzblatt I S. 379) durch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Oslo am 23. September 1957 zugestellt.
Der Bf. legte gegen den Beschluß des Finanzgerichts durch ein am 26. September bei diesem eingegangenes Schreiben vom 23. September 1957 Rechtsbeschwerde (Rb.) ein. Er wiederholte im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und beantragte mit Schreiben vom 27. Januar 1958 die Erstattung der seiner Ansicht nach zu Unrecht eingezogenen Vermögensabgabe.
Entscheidungsgründe
Die Rb., die ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zulässig ist (§§ 286, 306 AO), führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Die Firma A. und B. hat am 29. November 1956 - also nach Einlegung der Beschwerde, aber vor Erlaß der Beschwerdeentscheidung - den gepfändeten und eingezogenen Betrag an die Finanzkasse bezahlt. Der Hinweis in dem Schreiben der Firma A. und B. vom 27. November 1956, daß die überweisung "unter Vorbehalt anderweitiger Entscheidungen über den von" dem Bf. "erhobenen Einspruch" erfolge, ist für das Vollstreckungsverfahren ohne rechtliche Bedeutung. Durch die im November 1956 getätigte Zahlung der Firma A. und B. als Drittschuldnerin war vielmehr das Beitreibungsverfahren mit der Einziehung und überweisung des gepfändeten Betrages beendigt. Es war deshalb kein Raum mehr für eine Entscheidung zur Hauptsache über die am 26. Oktober 1956 eingelegte Beschwerde (vgl. dazu auch Urteil des erkennenden Senats II 158/52 U vom 13. Januar 1954, Bundessteuerblatt - BStBl - 1954 III S. 87 ff., 89, 90, Slg. Bd. 58 S. 462). Das Finanzgericht hätte daher schon von sich aus den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären müssen und nur noch über die Tragung der Kosten des Beschwerdeverfahrens befinden dürfen.
über die Kosten ist so zu entscheiden, wie zu erkennen wäre, wenn das Rechtsmittel nicht in der Hauptsache erledigt wäre (vgl. den sechsten Absatz der Begründung des Bescheids und Urteils des erkennenden Senats II 63/54 U vom 23. März 1955 und 6. Juli 1955, BStBl 1955 III S. 274, Slg. Bd. 61 S. 198, mit weiteren Zitaten der Rechtsprechung). Die Kosten des gesamten Verfahrens muß nach § 309 AO die Staatskasse tragen, da die Beschwerde ohne die Erledigung zur Hauptsache aus nachfolgenden Gründen Erfolg gehabt hätte:
Nach der Vorschrift des § 326 Abs. 5 AO (vgl. dazu den Beschluß des erkennenden Senats II 167/52 S vom 30. September 1953, BStBl 1953 III S. 312, Slg. Bd. 58 S. 54) darf eine Zwangsvollstreckung unter anderem erst dann beginnen, wenn dem Vollstreckungsschuldner die Verfügung, kraft deren er zur Zahlung aufgefordert wird (das Leistungsgebot) vorher bekanntgegeben ist. Im Streitfalle ist das einzige dem Bf. vor der Pfändung zugeleitete Leistungsgebot der vorläufige Vermögensabgabebescheid vom 2. März 1956. Das Schreiben der Vollstreckungsstelle vom 8. Mai 1956, in dem der Bf. um Stellungnahme zur Frage der Tilgung der Steuerbeträge aufgefordert wurde, kann als Leistungsgebot nicht angesehen werden. Ist aber wie im Streitfalle das Leistungsgebot Teil des Steuerbescheids, so muß die Bekanntgabe nach der für Steuerbescheide geltenden Vorschrift des § 211 Abs. 3 AO vorgenommen werden, nach der Steuerbescheide (verschlossen) zuzustellen sind (vgl. dazu auch unter anderem Kühn, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 5. Auflage, 1958, Anm. 6 zu § 326).
Das Finanzamt hat den vorläufigen Vermögensabgabebescheid durch einfachen Brief mit der Post nach Oslo geschickt. Es hat somit die Form der Zustellung nach § 17 VwZG wählen wollen und gewählt. Diese Vorschrift kann jedoch entgegen der vereinzelt im Schrifttum vertretenen Auffassung nur als vereinfachte Zustellungsform im Inland Anwendung finden.
Zwar bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 3 VwZG, daß neben den allgemeinen Zustellungsarten der §§ 3, 4, 5, 6 die in den §§ 14 - 17 geregelten Sonderarten der Zustellung gelten; nach Abs. 2 des § 2 hat die Behörde die Wahl zwischen den einzelnen Zustellungsarten; der Sachzusammenhang und der Wortlaut dieser Vorschriften der Abs. 1 und 2 des § 2 a. a. O. könnte die Auslegung rechtfertigen, daß die Finanzämter bei der Zustellung von Steuerbescheiden im Ausland neben der Sonderart des § 14 auch die vereinfachte Sonderart der Zustellung des § 17 VwZG wählen dürften.
Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß das Wahlrecht des § 2 Abs. 2 nicht gegeben ist, wenn es sich um eine Zustellung im Ausland handelt. Hierfür spricht schon der Wortlaut des § 14 Abs. 1 VwZG, nach dem - von der Sonderregelung des Abs. 2 abgesehen - im Ausland mittels Ersuchens der zuständigen Behörde des fremden Staates oder der in diesem Staate befindlichen konsularischen oder diplomatischen Vertretungen des Bundes zugestellt wird. Demgegenüber besagt die Vorschrift des § 17 a. a. O. nur, daß bei der Zustellung von schriftlichen Bescheiden und von Rechtsmittelentscheidungen, die im Besteuerungsverfahren ergehen, die vereinfachte Form (der Zusendung durch einfachen Brief) gewählt werden kann. Daher darf im Ausland nur in der Form des § 14 VwZG zugestellt werden, falls nicht die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nach § 15 Abs. 1 VwZG vorliegen (ebenso Vogel, "Verwaltungszwang zur Durchsetzung von Verwaltungsakten und Verwaltungszustellung", 1958, Anm. 3 zu § 14, Anm. 4 zu § 15 VwZG).
Nach § 17 Abs. 2 Halbsatz 1 VwZG gilt die allerdings widerlegbare Vermutung, daß bei Zustellung durch einfachen Brief die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bewirkt gilt. Diese Bestimmung kann nur eine Bekanntgabe im Inland im Auge haben, weil sie zum Beispiel bei weiter entfernt liegenden ausländischen Staaten praktisch nicht anwendbar sein würde.
ähnlich wie § 17 VwZG (vgl. auch § 4 VwZG) enthielt § 70 Abs. 3 AO 1919 - später der durch § 19 VwZG aufgehobene § 88 Abs. 3 AO 1931 - die Vermutung, daß bei der in diesen Vorschriften zugelassenen Zustellung durch eingeschriebenen Brief ebenfalls die Zustellung mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bewirkt galt. Mit überzeugender Begründung hat der Reichsfinanzhof im Urteil II A 417/25 vom 22. September 1925 (RStBl 1925 S. 214, Nr. 457, Slg. Bd. 17 S. 159) dargelegt, daß die Vorschrift des § 70 Abs. 3 AO 1919 für Zustellungen besonders im entfernteren Ausland nicht paßt und daher allgemein eine Zustellung durch eingeschriebenen Brief die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf setzen konnte, wenn der Bestimmungsort des Briefes im Ausland lag; vielmehr sei in diesen Fällen nach § 199 der Zivilprozeßordnung (Ersuchen der ausländischen Behörden usw.) zuzustellen. Die Ausführungen des Reichsfinanzhofs, auf die Bezug genommen wird, gelten sinngemäß auch für das Verhältnis zwischen § 17 und § 14 VwZG. Der Reichsfinanzhof hat dabei auch darauf hingewiesen, daß die "Zustellung", das heißt die förmliche Behandlung eines Schriftstücks, eine Hoheitshandlung ist, die jeder Staat nur in seinem eigenen Gebiete vornehmen darf, im fremden Gebiet aber nur da, wo es völkerrechtlich, insbesondere durch Staatsverträge, zugelassen ist. Es ist daher auch völkerrechtlich nicht vertretbar, bei Zustellungen im Ausland die auf die Bedürfnisse des Inlandes abgestellte besondere (vereinfachte) Form der Zustellung von schriftlichen Bescheiden und Rechtsmittelentscheidungen im Besteuerungsverfahren nach § 17 VwZG anzuwenden, bei der - von den zwischengeschalteten Postinstanzen abgesehen - die Zustellung nur durch eine inländische deutsche Behörde mit Wirkung für das Ausland vorgenommen würde.
überdies ist die Vorschrift des § 14 VwZG den §§ 199, 200, 201 der Zivilprozeßordnung nachgebildet (so auch ausdrücklich S. 4 der Begründung der Bundesregierung zum - zweiten - Entwurf eines Verwaltungszustellungsgesetzes, Bundesrats-Drucksache Nr. 660/51). Auch die Zivilprozeßordnung kennt eine Zustellung im Ausland nur in den Formen der den Abs. 1 und 2 des § 14 VwZG ähnlichen §§ 199 und 200 der Zivilprozeßordnung, im Inland bei Ausländern, die keinen Prozeßbevollmächtigten bestellt haben, grundsätzlich nur eine - dem § 89 AO ähnliche - Zustellung an Zustellungsbevollmächtigte (vgl. dazu §§ 174 Abs. 2, 175 der Zivilprozeßordnung, ferner Wieczorek, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Band I, Teil 2, 1957, Anm. A I und C zu § 199 der Zivilprozeßordnung).
Ein Staatsvertrag mit Norwegen, der die unmittelbare Zustellung von Steuerbescheiden durch deutsche inländische Behörden erlaubte, ist nicht abgeschlossen. Danach stellt die Zusendung des Vermögensabgabebescheides vom 2. März 1956 durch einfachen Brief nach Oslo keine rechtswirksame Zustellung dar.
Nach § 89 AO haben Steuerpflichtige, die ihren Wohnsitz im Ausland, aber Inlandsvermögen haben, dem Finanzamt auf Verlangen einen Vertreter im Inland zu bestellen, der ermächtigt ist, Schriftstücke zu empfangen, die für sie bestimmt sind. Unterlassen sie dies, so gilt ein Schriftstück mit der Aufgabe zur Post als zugestellt, selbst wenn es als unbestellbar zurückkommt. Da im Streitfalle mangels Bestellung eines Inlandsvertreters und auch eines entsprechenden Verlangens des Finanzamts die Voraussetzungen des § 89 AO nicht vorliegen, kann auch auf Grund dieser Vorschrift die Aufgabe zur Post (am 7. März 1956) nicht als rechtswirksame Zustellung angesehen werden. Es bedarf daher keines näheren Eingehens auf die im Schrifttum gegen die Weitergeltung dieser Bestimmung erhobenen Bedenken (so unter anderem bei Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und den Nebengesetzen, Erläuterung zu § 14 VwZG), die übrigens nach Auffassung des erkennenden Senats im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 19 VwZG nicht begründet erscheinen, nach dem nur unter anderem die "§§ 88 und 90" - also nicht der § 89 AO - aufgehoben sind.
Somit hat eine formgerechte Zustellung des Vermögensabgabebescheids und damit eine ordnungsmäßige Bekanntgabe des Leistungsgebots nicht stattgefunden.
Nun sieht allerdings § 9 Abs. 1 VwZG vor, daß bei einem Zugang eines Schriftstücks unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften das Schriftstück in dem Zeitpunkt als zugestellt gilt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat; im Streitfalle war der Bf. jedenfalls bei Absendung seines Schreibens vom 14. Mai 1956, mit dem er den Bescheid vom 2. März 1956 zurückschickte, im Besitz des Bescheids.
Die Vorschrift des § 9 Abs. 1 VwZG über die Heilung von Zustellungsmängeln ist jedoch nach Abs. 2 a. a. O. nicht anzuwenden, wenn mit der Zustellung eine Frist für die Erhebung der Klage, eine Berufungs-, Revisions- oder Rechtsmittelbegründungsfrist beginnt. Der erkennende Senat hat in der Begründung des Urteils II 239/53 U vom 11. August 1954 (BStBl 1954 III S. 327, Slg. Bd. 59 S. 305), an der festgehalten wird, zum Ausdruck gebracht, daß die Vorschrift des § 9 Abs. 1 über Heilung von Zustellungsmängeln nach § 9 Abs. 2 VwZG allgemein dann nicht anzuwenden ist, wenn mit der Zustellung eine Rechtsmittelfrist beginnt.
Allerdings ist die Auffassung vertreten worden, daß die Vorschrift des § 9 Abs. 2 VwZG nicht gelten soll, wenn es sich wie bei der Zustellung von Steuerbescheiden um die Wahrung der Einspruchsfrist (nicht der Berufungsfrist) handle. Der Senat vermag dieser Ansicht nicht zu folgen. Einmal sprechen dagegen allgemeine Gesichtspunkte des Rechtsschutzes und der Rechtssicherheit, denen im Steuerrecht, besonders gegenüber belastenden Verwaltungsakten, eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Zum anderen ist nach der ausdrücklichen Regelung des § 229 Abs. 1 AO der Einspruch ein Bestandteil des Berufungsverfahrens, so daß auch aus diesem Grunde nach § 9 Abs. 2 VwZG insoweit eine Heilung von Zustellungsmängeln nicht erfolgen kann. Zudem kann gegen Bescheide, gegen die nach § 259 Abs. 1 AO im Rahmen des Berufungsverfahrens zunächst der Einspruch gegeben ist, der Steuerpflichtige statt des Einspruchs gemäß § 261 AO Sprungberufung - unter Voraussetzung der Einwilligung des Vorstehers des Finanzamts - einlegen. Es wäre nicht vertretbar, bei der Wahl der Sprungberufung die Heilung des Formmangels auszuschließen, sie aber für den Einspruch zuzulassen. übrigens würden auch auf Grund der erwähnten völkerrechtlichen Erwägungen Bedenken dagegen bestehen, im Streitfalle eine Heilung des Mangels einer ordnungsmäßigen Zustellung im Sinne von § 14 VwZG für zulässig zu erachten.
Nach alledem ist eine formgerechte Zustellung des Steuerbescheids und damit eine ordnungsmäßige Bekanntgabe des Leistungsgebots im Streitfalle zu verneinen. Wegen Verletzung der Vorschrift des § 326 Abs. 5 AO war daher die vorgenommene Pfändung und überweisung der Forderung des Bf. an die Firma A. und B. rechtswidrig. Sie würde aufzuheben gewesen sein, wenn nicht die Zwangsbeitreibung durch die überweisung beendigt wäre. Daraus rechtfertigt sich die getroffene Kostenentscheidung.
Soweit der Bf. in seinem Schreiben vom 27. Januar 1958 die Erstattung des gepfändeten und eingezogenen Betrages begehrt, kann darüber in diesem Verfahren, das die Rechtmäßigkeit der Pfändungs- und überweisungsverfügung zum Gegenstand hat, nicht entschieden werden. Es muß vielmehr dem Bf. überlassen bleiben, einen entsprechenden Antrag an das Finanzamt zu stellen.
Fundstellen
Haufe-Index 409302 |
BStBl III 1959, 181 |
BFHE 1959, 476 |
BFHE 68, 476 |