1. Steuer- oder Feststellungsbescheid: Bekanntgabe und Einspruchsfrist


Kapitel
Steuerbescheid: Bekanntgabe und Einspruchsfrist

Legt ein Steuerpflichtiger gegen einen Steuer- oder Feststellungsbescheid Einspruch ein, kommt es für die Zulässigkeit des Einspruchs, d.h. für den fristgerechten Eingang beim Finanzamt entscheidend darauf an, wann der Bescheid bekannt gegeben worden ist und wann die Einspruchsfrist endet.

Bekanntgabe im Normalfall

Der Zeitpunkt der Bekanntgabe ist deshalb so wichtig, da an diesen die Einspruchsfrist anknüpft. Wird ein Steuerbescheid mit einfachem Brief übermittelt, gilt er am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Entscheidend ist hierbei das Datum des Bescheids.

Unter "Aufgabe zur Post" i.S. des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO wird auch die Übermittlung eines Verwaltungsakts durch einen privaten Postdienstleister erfasst. Die Einschaltung eines privaten Postdienstleisters sowie die weitere Einschaltung eines Subunternehmers können für die Zugangsvermutung innerhalb der Dreitagesfrist von Bedeutung sein, weil hierdurch möglicherweise ein längerer Postlauf gegeben ist.

In diesen Fällen ist zu prüfen, ob nach den bei den privaten Dienstleistern vorgesehenen organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen regelmäßig von einem Zugang des zu befördernden Schriftstücks innerhalb von drei Tagen ausgegangen werden kann (BFH, Urteil v. 14.6.2018, III R 27/17, BStBl 2019 II S. 16). Fällt das Ende der Dreitagesfrist auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, verschiebt sich die Bekanntgabe auf den nächsten Werktag (§ 108 Abs. 3 AO). 

Beispiel:

Datum des Bescheids 11.8.2021

Datum des Bescheids + drei Tage = 14.8.2021

Da der 14.8.2021 ein Samstag war, fällt das Ende der Dreitagesfrist auf Montag, den 16.8., an dem Tag gilt der Bescheid als bekannt gegeben.

Damit beginnt die Einspruchsfrist am 17. 8. und endet einen Monat später am 16.9.2021. 

Bekanntgabe bei Empfangsvollmacht

Hat der Steuerpflichtige z. B. einem Steuerberater ausdrücklich Empfangsvollmacht erteilt, darf ein Steuerbescheid nur dem bevollmächtigten Steuerberater bekannt gegeben werden. Schickt die Finanzbehörde den Steuerbescheid doch an den Steuerpflichtigen selbst, ist der Bescheid nicht wirksam bekannt gegeben.

Dieser Bekanntgabemangel kann allerdings dadurch geheilt werden, dass der Steuerpflichtige dem Bevollmächtigten den Steuerbescheid übergibt. In diesem Fall beginnt die Einspruchsfrist zu laufen, sobald der Bevollmächtigte den Bescheid erhält (BFH, Urteil v. 8.12.1988, IV R 24/87, BStBl 1989 II S. 346).

Übersendet das Finanzamt dem Bevollmächtigten gleichzeitig einen Abdruck des Steuerbescheids, gelten die allgemeinen Regeln zur Bekanntgabe.

Hinweis: Der z. B. einem Steuerberater erteilte Auftrag zur Erstellung und Einreichung der Steuererklärungen schließt i. d. R. nicht seine Bestellung als Empfangsbevollmächtigter ein. Aus der Mitwirkung eines Steuerberaters bei der Steuererklärung folgt daher nicht, dass die Finanzbehörde einen Steuerbescheid dem Steuerberater zu übermitteln hat. Das gilt entsprechend für andere zur Hilfe in Steuersachen befugten Personen und Vereinigungen (AEAO zu § 122, Nr. 1.7.1).

Beispiel: Der Steuerpflichtige S erhält am 15.9.2021 einen Steuerbescheid (Datum des Bescheids ist der 14.9.2021).

Variante 1: S hatte seinem Steuerberater B Empfangsvollmacht erteilt. Erst am 1.10.2021 bespricht sich S mit B und übergibt ihm den Bescheid. Die Einspruchsfrist beginnt erst an diesem Tag zu laufen (AEAO zu § 122, Nr. 1.7.3).

Variante 2: S hatte seinem Steuerberater B Empfangsvollmacht erteilt. Das FA hatte gleichzeitig einen Abdruck des Steuerbescheids an B geschickt. Der Steuerbescheid gilt in diesem Fall am 17.9.2021 als bekannt gegeben.

Variante 3: S hatte keine ausdrückliche Empfangsvollmacht erteilt. B war lediglich auf der Steuererklärung als Mitwirkender genannt. In diesem Fall gilt der Steuerbescheid ebenfalls am 17.9.2021 als bekannt gegeben.

Bekanntgabe und Bescheiddatum

Das sich aus dem Bescheid ergebende Datum sollte eigentlich mit dem Postaufgabedatum übereinstimmen, denn nur hieran knüpft der Beginn der Dreitagesfiktion an. Zwar ist im Regelfall von einem üblichen und geordneten typischen Versandverlauf auszugehen, jedoch trägt das Finanzamt im Einzelfall die Beweislast dafür, dass das dem Bescheid aufgedruckte Datum auch mit dem Postaufgabedatum übereinstimmt.

Die Dreitagesvermutung des § 122 Abs. 2 AO greift jedoch dann nicht, wenn der Bescheid tatsächlich überhaupt nicht oder erst nach Ablauf der Dreitagesfrist in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist. Wird der Zugang vom Empfänger bestritten, hat das Finanzamt in jedem Fall die Feststellungslast, da dem Empfänger eine Substantiierung des Bestreitens nicht zugemutet werden kann.

Behauptet der Steuerpflichtige einen verspäteten Zugang, bestehen Zweifel über den Zeitpunkt des Zugangs i.S.v. § 122 Abs. 2 AO nur, wenn entsprechende Tatsachen im Rahmen des Möglichen substantiiert vorgetragen und begründet werden, die den Schluss zulassen, dass ein anderer als der vom Gesetz unterstellte Zugang innerhalb von drei Tagen ernstlich in Betracht zu ziehen ist (BFH, Urteil v. 5.9.2017, IV B 82/16, BFH/NV 2017 S. 1620).

Beispiel: Das Finanzamt gibt am 16.9.2021 einen Steuerbescheid zur Post, den der Briefträger versehentlich in den Briefkasten des Nachbarn wirft. Da dieser in Urlaub ist, übergibt er den Briefumschlag erst nach seiner Urlaubsrückkehr am 23.9. dem Bescheidempfänger.

Hier kommt die Drei-Tages-Zugangsvermutung nicht zur Anwendung, da der Steuerpflichtige den verspäteten Zugang aufgrund der falschen Zustellung mithilfe seines Nachbarn nachweisen kann. Der Bescheid ist dem Empfänger erst am 23.9.2021 zugegangen.

In der Praxis kann es immer wieder vorkommen, dass Bescheide, deren Postaufgabedatum vom Rechenzentrum vordatiert werden, vor dem aufgedruckten Postaufgabedatum zugestellt werden. Hierzu hat der BFH entschieden, dass ein Steuerbescheid, der vor dem Datum des Bescheids zugestellt wird, wirksam bekanntgegeben ist, so dass die Einspruchsfrist bereits mit Bekanntgabe des Bescheids zu laufen beginnt. Versäumt in diesem Fall der Empfänger die Einspruchsfrist, weil er darauf vertraut hat, die Frist ende nicht vor Ablauf eines Monats nach dem Datum des Bescheids, ist regelmäßig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) zu gewähren (BFH, Urteil v. 20.11.2008, III R 66/07, BStBl 2008 II S. 185).

Bekanntgabe durch Fax

Ist für einen Verwaltungsakt die Schriftform gesetzlich vorgeschrieben, wird diese auch durch Übersendung per Telefax, auch per Computerfax, gewahrt (BFH, Urteil v. 28.1.2014, VIII R 28/13, BStBl 2014 II S. 552 u. BFH, Urteil v. 18.3.2014, VIII R 9/10, BStBl 2014 II S. 748). Es handelt sich dann um einen elektronisch übermittelten Verwaltungsakt nach § 122 Abs. 2a AO. Der Verwaltungsakt wird in diesem Fall nicht bereits mit vollständiger Speicherung im Empfangsgerät, sondern erst mit dem Ausdruck beim Empfänger wirksam. Erfolgt der Ausdruck vor Ablauf der Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 AO, bleibt der Ablauf dieser Frist für den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Verwaltungsakts maßgebend.

Fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung

Fehlt die Rechtsbehelfsbelehrung oder ist sie fehlerhaft, verlängert sich die Einspruchsfrist auf ein Jahr (§ 356 Abs. 2 AO). Der Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wurde mit Wirkung ab 1.8.2013 dahingehend geändert, dass die Möglichkeit elektronischer Einsprüche (z. B. per E-Mail) ausdrücklich erwähnt wird. Weist die Rechtsbehelfsbelehrung entgegen dem Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO nicht auf die Möglichkeit der elektronischen Einreichung des Einspruchs hin, ist die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig i.S. des § 356 Abs. 2 AO. Die Einspruchsfrist beträgt dann ein Jahr (BFH, Urteil v. 28.4.2020, VI R 41/17, BStBl 2020 II S. 531).

Kapitel 2: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand