Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionszulassungsgrund: Fortbildung des Rechts ‐ Bindung der Gerichte an Verwaltungsvorschriften
Normenkette
AO § 4; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 97; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 01.02.2006; Aktenzeichen 1 K 1533/04) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
Die Klägerinnen und Beschwerdeführerinnen (Klägerinnen) haben weder den Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative der Finanzgerichtsordnung --FGO--) noch den Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise schlüssig dargelegt.
1. Eine Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) ist erforderlich, wenn über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist; insbesondere dann, wenn der Einzelfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 41, m.w.N.). Eine schlüssige Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes erfordert neben der Angabe der betreffenden abstrakten Rechtsfrage auch Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage im konkreten Rechtsstreit. Im Streitfall fehlt es bereits an der Darlegung der Klärungsfähigkeit. Eine Streitfrage kann nämlich dann nicht geklärt werden, wenn von einem anderen als dem vom Finanzgericht (FG) festgestellten Sachverhalt ausgegangen wird. So verhält es sich hier.
Die Beschwerde sieht die Rechtsfrage als klärungsbedürftig an, ob die Finanzgerichte an den koordinierten Ländererlass vom 17. Dezember 1965 (BStBl II 1966, 34) und das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 29. Februar 1972 F/IV B 2 -S 2000- 5/72 (BStBl I 1972, 102) gebunden sind. Diese Rechtsfrage kann sich im vorliegenden Rechtsstreit indes nur stellen, wenn der festgestellte Sachverhalt tatsächlich unter den Anwendungsbereich der vorgenannten Verwaltungsanweisungen fällt. Dies bejaht die Beschwerde, indem sie unterstellt, dass im Streitfall von einer parzellenweisen Verpachtung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs auszugehen sei. Nach den Feststellungen des FG lag jedoch eine Betriebsverpachtung im Ganzen vor, da der Erblasser der Klägerinnen sämtliche landwirtschaftlich genutzten Flächen mit Ausnahme einer unwesentlichen Rückbehaltsfläche von 0,28 ha ausschließlich an eine Person verpachtet hatte. An diese Feststellungen, gegen die die Klägerinnen keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben haben, ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden.
Zur weiteren Erläuterung weist der Senat jedoch darauf hin, dass die Finanzgerichte nur dem Gesetz im Sinne einer Rechtsnorm gemäß § 4 der Abgabenordnung (AO) unterworfen sind (Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 des Grundgesetzes --GG--). Mangels Rechtsnormqualität besteht eine Bindung an Verwaltungsvorschriften (Richtlinien, Erlasse, Verfügungen) grundsätzlich nicht. Verwaltungsvorschriften haben regelmäßig lediglich eine Innenwirkung; sie binden nur die nachgeordneten Verwaltungsdienststellen (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Rz 80).
Auch unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung ist im Streitfall eine Bindungswirkung zu verneinen. Norminterpretierende Verwaltungsanweisungen, die die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Rechts sichern sollen, können im Allgemeinen weder eine einer Rechtsnorm vergleichbare Bindung aller Rechtsanwender noch eine Bindung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben herbeiführen. Eine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung besteht lediglich ausnahmsweise in dem Bereich der ihr vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit, also im Bereich des Ermessens, der Billigkeit (z.B. bei Änderung der Rechtsprechung) und der Typisierung oder Pauschalierung (BFH-Urteile vom 26. April 1995 XI R 81/93, BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754, und vom 7. Dezember 2005 I R 123/04, BFH/NV 2006, 1097).
Die Verwaltungsanweisung im koordinierten Ländererlass in BStBl II 1966, 34 lässt sich dem letztgenannten Bereich nicht zuordnen. Sie ist vielmehr als Auslegung des Anwendungsbereichs der §§ 14, 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und damit als norminterpretierende Verwaltungsanweisung zu verstehen.
Die in dem BMF-Schreiben in BStBl I 1972, 102 unter Ziff. 6 enthaltene Billigkeitsregelung betrifft einen anderen Sachverhalt. Danach kann aus Gründen des Vertrauensschutzes von einer vor dem 1. Juli 1970 erfolgten Betriebsaufgabe ausgegangen werden, wenn die Pachteinnahmen bei der rechtskräftigen Veranlagung 1969 als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung behandelt worden sind. Das ist weder von den Klägerinnen behauptet noch von dem FG festgestellt worden. Im Übrigen könnten Billigkeitserwägungen nicht im vorliegenden Festsetzungsverfahren, sondern nur in einem selbständigen Verfahren gemäß § 163 AO geltend gemacht werden.
2. Eine Divergenz zu einer Entscheidung eines anderen Gerichts ist ebenfalls nicht in zulässiger Weise dargetan.
Zur Darlegung der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) ist es erforderlich, dass in der Beschwerdeschrift abstrakte Rechtssätze des vorinstanzlichen Urteils und abstrakte Rechtssätze aus angeblich abweichenden Entscheidungen des BFH oder eines anderen Gerichts so gegenübergestellt werden, dass eine Abweichung erkennbar wird (BFH-Beschluss vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479; ständige Rechtsprechung, aus neuerer Zeit z.B. BFH-Beschluss vom 30. Mai 2005 X B 149/04, BFH/NV 2005, 1618). Hieran fehlt es im Streitfall.
Eine solche Abweichung ist darüber hinaus auch nicht ersichtlich. Die Klägerinnen bemängeln vielmehr die Sachverhaltswürdigung durch das FG. Diese kann jedoch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vom BFH nicht überprüft werden (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 82 ff.).
3. Die weiteren Ausführungen des Steuerberaters A, der sich mit Schriftsatz vom 15. Juli 2006, eingegangen bei Gericht am 24. Juli 2006, neben der Prozessbevollmächtigten im Namen der Klägerinnen "zur Wahrheitsfindung eingeschaltet" hat, konnten im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht mehr berücksichtigt werden. Zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes war die Beschwerdebegründungsfrist (§ 116 Abs. 3 FGO) bereits abgelaufen. Des Weiteren erschöpft sich der Schriftsatz in der Ankündigung einer ausführlichen Begründung zu verschiedenen, unter Nrn. 1 bis 8 schlagwortartig benannten Gesichtspunkten für den Zeitpunkt nach Zulassung der Revision.
4. Von einer weiteren Begründung, insbesondere von einer Darstellung des Tatbestands, sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Fundstellen