Entscheidungsstichwort (Thema)
Akteneinsicht
Leitsatz (NV)
Dem Antragsteller ist auf seine Beschwerde hin grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren, wenn das FG bei seiner ablehnenden Entscheidung zu Unrecht von einer umfassenden Hauptsacheerledigung ausgegangen ist.
Das gilt auch im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung.
Normenkette
FGO § 78 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) haben beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1991 und 1992 sowie des Umsatzsteuerbescheids 1992 beantragt. Während des gerichtlichen Verfahrens hat der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) dem Antrag zum weitaus überwiegenden Teil dadurch entsprochen, daß er die Steuerfestsetzung aufgehoben (Einkommensteuer 1991) bzw. die festgesetzte Steuer gemindert (Einkommen- und Umsatzsteuer 1992) und im übrigen hinsichtlich eines Teils der verbleibenden Streitpunkte (Einkommensteuer 1992) die Aussetzung der Vollziehung gewährt hat. Die Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1992 erfolgte in Höhe von ... DM (Verfügung vom 8. Februar 1995); die nach Berücksichtigung der Lohnsteuerabzugsbeträge noch zu zahlende Einkommensteuer 1992 betrug ... DM (geänderter Einkommensteuerbescheid 1992 vom 8. Februar 1995).
Mit Schreiben vom ... haben die Antragsteller das Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer 1991 und der Umsatzsteuer 1992 in der Hauptsache für erledigt erklärt. Hinsichtlich der Einkommensteuer 1992 haben die Antragsteller das Verfahren in der Hauptsache nur teilweise für erledigt erklärt. Die Erledigungserklärung war insoweit ausdrücklich auf den "Umfang des Aussetzungsbescheides vom 8. 2. 1995" beschränkt. Im übrigen haben die Antragsteller beantragt, den geänderten Ein kommensteuerbescheid 1992 gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Aussetzungsverfahrens zu machen.
Gleichzeitig hat der Antragsteller zu 2 zur Vorbereitung einer ausführlichen Begründung der Erledigungserklärungen und des Antrags nach § 68 FGO einen Antrag auf Akteneinsicht (in den Räumen des Amtsgerichts in A) wiederholt, den er bereits in einem Schreiben vom 16. September 1994 beim FG gestellt hatte. Mit Schreiben vom 13. April 1995 hat der Antragsteller zu 2 erneut Akteneinsicht beantragt (Übermittlung der Akten in seine Kanzleiräume, hilfsweise Einsicht in den Geschäftsräumen des Amtsgerichts).
Das FG hat mit Beschluß vom 16. Mai 1995 dem FA die Kosten des Verfahrens auferlegt. Dabei ging es auch hinsichtlich der Einkommensteuer 1992 von einer umfassenden Erledigungserklärung beider Beteiligten aus.
In diesem Beschluß hat das FG gleichzeitig den Antrag auf Akteneinsicht mit der Begründung abgelehnt, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei und die Kostenentscheidung die Antragsteller in keiner Hinsicht belaste.
Gegen den Beschluß, mit dem das FG die beantragte Akteneinsicht abgelehnt hat, wenden sich die Antragsteller mit der Beschwerde. Entgegen der Auffassung des FG habe sich der Antrag auf Akteneinsicht nicht erledigt, da der Rechtsstreit nur zum Teil in der Hauptsache erledigt und im übrigen fortzusetzen sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet; sie führt hinsichtlich des Antrags auf Akteneinsicht zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Vorinstanz hätte es nicht ablehnen dürfen, den Antragstellern Akteneinsicht in die dem Gericht vorliegenden, den Rechtsstreit Az.: ... betreffenden Akten durch Übersendung an das ihrem Wohnort nächstgelegene Amtsgericht zu gewähren.
Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO haben die Beteiligten den Anspruch, die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einzusehen und sich durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen zu lassen. Die Entscheidung über eine Versendung der Akten zum Zwecke einer Einsichtnahme außerhalb des Gerichts ist hingegen eine Ermessensentscheidung (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 25. Januar 1990 VIII B 39/89, BFH/NV 1991, 99).
Im Streitfall hat das FG den Anspruch auf Akteneinsicht verneint, weil es davon ausgegangen ist, daß wegen der Erledigung der Hauptsache und der Kostenentscheidung zu Lasten des FA durch eine Akteneinsicht der Rechtsschutz der Antragsteller nicht mehr "verbessert" werden könne. Das FG hat jedoch zu Unrecht angenommen, daß eine umfassende Hauptsacheerledigung eingetreten sei. Denn die Antragsteller haben hinsichtlich der Einkommensteuer 1992 ausdrücklich nur eine teilweise Erledigung der Hauptsache erklärt. Über den noch nicht erledigten Teil des Verfahrens wegen Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1992 wird das FG darum noch zu befinden haben. Im Rahmen dieses Verfahrens steht den Antragstellern nach § 78 FGO das Recht auf Akteneinsicht, das einen Ausfluß des in Art. 103 des Grundgesetzes verankerten Rechts auf Gehör darstellt, zu. Der Umstand, daß im Verfahren über einen nach § 69 Abs. 3 FGO gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes die Sach- und Rechtslage nur summarisch geprüft werden muß, rechtfertigt grundsätzlich keine Einschränkung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (BFH-Beschluß vom 9. März 1976 VII B 90/75, BFHE 118, 291, BStBl II 1976, 437).
Hinsichtlich der Ermessensentscheidung über eine Versendung der Akten zur Möglichkeit der Einsichtnahme ist der BFH als Beschwerdegericht Tatsacheninstanz und deshalb gehalten, eigenes Ermessen auszuüben (vgl. BFH-Beschluß vom 31. August 1993 XI B 31/93, BFH/NV 1994, 187, m. w. N.). Dabei sind sowohl der in § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO gesteckte Ermessensrahmen zu beachten als auch die für und gegen eine Aktenversendung sprechenden Interessen gegeneinander abzuwägen (vgl. BFH-Beschluß vom 21. November 1991 VI B 55/91, BFH/NV 1992, 403, m. w. N.).
Bei der Ausübung seines Ermessens gelangt der Senat zu dem Ergebnis, daß die beantragte Versendung der Akten zur Akteneinsicht an das Amtsgericht in A geboten war. Dabei geht der Senat davon aus, daß die in § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO vorgesehene Einsichtnahme beim FG die Regel ist und die Übersendung der Akten in die Kanzleiräume des Prozeßbevollmächtigten die auf eng begrenzte Sonderfälle beschränkte Ausnahme darstellt. Hingegen erscheint es angesichts der großen Entfernung zwischen der Kanzlei des Antragstellers zu 2 in B und dem FG in C angemessen und für beide Beteiligte zumutbar, die Akteneinsicht beim Amtsgericht in A zu gewähren.
Fundstellen
Haufe-Index 422351 |
BFH/NV 1997, 879 |