Verlustverrechnungsbeschränkung bei Termingeschäften verfassungsrechtlich bedenklich
Grundsätzliches
Nach § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG dürfen Verluste aus Kapitalvermögen nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Über diese allgemeine Verlustverrechnungsregelung hinaus bestimmt der Gesetzgeber weitere spezielle Verlustverrechnungskreise bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, die verfassungsrechtlich bedenklich sind.
Verluste aus Termingeschäften (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG), die den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzurechnen sind, unterliegen seit 2021 einer doppelten Einschränkung bei der Verlustverrechnung (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG):
- Verlustverrechnungseinschränkung dem Grunde nach:
Verluste aus Termingeschäften dürfen nur mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit Einkünften aus Stillhalterprämien (§ 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG) verrechnet werden. Ein Ausgleich mit Gewinnen aus anderen Kapitalanlagen ist ausgeschlossen. - Verlustverrechnungseinschränkung der Höhe nach:
Eine Verlustverrechnung ist im Veranlagungsjahr nur bis zur Höhe von 20.000 EUR zulässig. Nicht verrechenbare Verluste werden – zeitlich unbefristet – auf Folgejahre vorgetragen und können in den Folgejahren nach den hier dargestellten Verlustverrechnungsregelungen erneut nur bis zur Höhe von 20.000 EUR verrechnet werden (siehe auch BMF-Schreiben v. 11.7.2023, BStBl I 2023, 1471 Rz. 118). Eine Verlustverrechnung in den Folgejahren wird jedoch nur ausgelöst, wenn auch Gewinne erzielt werden.
Zeitliche Anwendung der Verlustverrechnungsbeschränkung
Diese spezielle Verlustverrechnungsregelung findet auf Verluste Anwendung, die nach dem 31.12.2020 entstehen (§ 52 Abs. 28 Satz 23 EStG). Sie soll schädliche Kapitalmarktspekulationen eindämmen und wurde durch Art. 5 des Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen v. 21.12.2019 (BGBl I 2019, 2875) eingeführt.
Durch das JStG 2020 v. 21.12.2020 (BGBl I 2020, 3096) hat diese Verlustverrechnungsregelung eine Änderung durch die Anhebung der zunächst vorgesehenen Verlustverrechnungshöhe von 10.000 EUR auf 20.000 EUR erfahren.
Kapitalertragsteuerabzug vs. Veranlagung
Nur positive Kapitalerträge aus Termingeschäften werden dem Steuerabzug unterworfen (§ 43 Abs. 1 Nr. 11 EStG). Negative Kapitalerträge aus Termingeschäften wirken sich im Rahmen des Steuerabzugs mangels Nennung in § 43a Abs. 3 Satz 2 EStG bis zum Betrag von 20.000 EUR nicht aus. Solche Verluste sollen vom Steuerentrichtungspflichtigen unaufgefordert bescheinigt werden (BMF, Schreiben v. 11.7.2023, BStBl I 2023, 1471 Tz. 118, 229a, 233).
Der Steuerpflichtige muss stets einen Antrag gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 4 EStG stellen und die Verluste veranlagen lassen, um deren Verrechnung in Höhe von 20.000 EUR und den Verlustvortrag sicherzustellen (§ 20 Abs. 6 Satz 5 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 10d Abs. 4 EStG).
Offene Frage
In einem Aussetzungsverfahren hatte der BFH darüber zu befinden, ob die Verlustverrechnungsregelung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG verfassungsgemäß ist.
Sachverhalt: Steuer ist höher als der wirtschaftliche Gewinn aus Termingeschäften
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:
- Die zusammen zur ESt veranlagten Antragsteller erzielten im Streitjahr 2021 auch Einkünfte aus Kapitalvermögen.
- In der Einkommensteuererklärung 2021 erklärten die Antragsteller u. a. ausländische Kapitalerträge aus Termingeschäften ohne Steuerabzug von 250.631 EUR und Verluste aus Termingeschäften ohne Steuerabzug von 227.289 EUR.
- Wirtschaftlich entstand aus den Termingeschäften ein Gewinn von (250.631 EUR – 227.289 EUR =) 23.342 EUR.
- Steuerlich ließ die Finanzverwaltung jedoch eine Verlustverrechnung nur in Höhe von 20.000 EUR zu, so dass im Ergebnis (250.631 EUR – 20.000 EUR=) 230.631 EUR im VZ 2021 der Besteuerung unterlagen.
- Die nicht im VZ 2021 verrechneten Verluste werden in den Folgejahren verrechnet, sofern denn in diesen VZ verrechenbare Gewinne erzielt werden bzw. worden sind.
Das Finanzamt setzte für das Streitjahr unter Beachtung der Verlustverrechnungsregelung eine Einkommensteuer i.H.v. 52.280 EUR fest. Gegen diesen Bescheid legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung. Diesen begründeten die Antragsteller mit der vorgeblichen Verfassungswidrigkeit der Verlustverrechnungsnorm, weil die Steuer im Verlustverrechnungsjahr höher als der Netto-Gewinn von 23.342 EUR sei.
Das Finanzamt lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als unbegründet ab.
FG Rheinland-Pfalz: Aussetzung der Vollziehung gewährt
Das FG Rheinland-Pfalz (Beschluss v. 5.12.2023, 1 B 1674/23) äußerte ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der seit 2021 geltenden Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäftsverluste.
Entscheidung des BFH: Aussetzung der Vollziehung bestätigt
Nach Auffassung des BFH habe das FG Rheinland-Pfalz zu Recht die Vollziehung ausgesetzt, weil bei summarischer Prüfung (§ 69 Abs. 3 FGO) ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids bestünden.
Dies wird im Wesentlichen wie folgt begründet:
- § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist bei gebotener summarischer Prüfung nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Einschränkung, Verluste aus Termingeschäften nur mit Gewinnen aus Termingeschäften und aus Stillhalterprämien, nicht aber mit Gewinnen aus anderen Kapitalanlagen ausgleichen und verrechnen zu können, führt zu einer Ungleichbehandlung.
- Diese Ungleichbehandlung wird dadurch verschärft, dass Verluste und Gewinne von Termingeschäften im Verlustentstehungsjahr betragsmäßig auf 20.000 EUR eingeschränkt werden, wohingegen bei Aktiengeschäften eine unbegrenzte Verrechnung von Verlusten mit Gewinnen im Verlustentstehungsjahr zugelassen wird (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG). Wirtschaftlich nicht erzielte Gewinne werden hierdurch besteuert.
- Die doppelte Begrenzung des Verlustausgleichs und der Verlustverrechnung führt zu einer zeitlichen Streckung der Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften. Die Grundkonzeption einer zeitlichen Streckung der Verlustverrechnung ist verfassungsrechtlich nur dann nicht zu beanstanden, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Verlustausgleich in der Totalperiode gänzlich ausgeschlossen ist. Hiervon ist bei § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG aber gerade nicht auszugehen. Denn die Verlustverrechnung wirkt nur bei Erzielung von Gewinnen aus Termingeschäften in Folgejahren; hiervon kann nicht typischerweise ausgegangen werden. Der Effekt wird durch die jährliche Betragsgrenze von 20.000 EUR verschärft. Im Streitfall bräuchte der Antragsteller für die Verrechnung des gesondert festgestellten Verlustes von ca. 207.000 EUR mehr als 10 Jahre, um diese mit positiven Einkünften aus Termingeschäften und Stillhalterprämien zu verrechnen.
- Eine Schlechterstellung ergibt sich für Verluste aus Termingeschäften auch, weil diese gegenüber anderen Kapitalerträgen nicht bereits im Rahmen des Steuerabzugs ausgeglichen werden.
Weitergehende Praxishinweise
Der BFH-Beschluss ist in allen noch offenen Fällen bedeutsam. Wird im Rahmen der Veranlagung ein Verlustausgleich bzw. eine Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG angewandt, sollten die Bescheide offengehalten werden. Eine Aussetzung der Vollziehung dürfte das Finanzamt vor dem Hintergrund dieses BFH-Beschlusses gewähren.
Über die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte wird der BFH in einem Hauptsacheverfahren zu entscheiden haben. Das FG Baden-Württemberg hat die gesetzlich normierte Verlustverrechnungsbeschränkung in einem aktuellen Entscheidungsfall - noch in Unkenntnis des BFH-Beschlusses v. 7.6.2024 (a.a.O.) – als noch verfassungsgemäß angesehen (FG Baden-Württemberg, Urteil v. 29.4.2024, 10 K 1091/23). Gegen dieses Urteil ist ein Revisionsverfahren vor dem BFH rechtsanhängig. Beruft sich der Einspruchsführer auf dieses Musterverfahren, löst dies eine Verfahrensruhe kraft Gesetzes aus (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO).
In dem Hauptsacheverfahren ist zu erwarten, dass die streitige Rechtsfrage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt werden wird. Das BVerfG hat dann neben der Frage der Berücksichtigung von Aktienveräußerungsverlusten (BFH, Vorlagebeschluss v. 17.11.2022, VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562, Az. des BVerfG: 2 BvL 3/21) auch die Verlustverrechnungsbegrenzung bei Verlusten aus Termingeschäften verfassungsrechtlich zu beurteilen.
BFH, Beschluss v. 7.6.2024, VIII B 113/23 [ADV]; veröffentlicht am 27.6.2024
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