Entscheidungsstichwort (Thema)
Versäumung der Frist zur Einlegung der NZB
Leitsatz (NV)
- Die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beim FG wahrt die Beschwerdefrist ‐ im Gegensatz zu dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht ‐ nicht mehr.
- Ein fachkundiger Prozessbevollmächtigter (hier: Steuerberater) muss das seit 1. Januar 2001 einschlägige Prozessrecht und damit auch die für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde insoweit geänderte Rechtslage kennen. Nichtwissen in dieser Hinsicht ist schuldhaft. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist kommt daher in einem solchen Fall nicht in Betracht.
- Ein Verschulden des fachkundigen Prozessbevollmächtigten ist ferner schon allein darin zu sehen, dass er die zutreffende Rechtsmittelbelehrung des FG nach eigenem Bekunden "nicht oder so nicht" zur Kenntnis genommen hat.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 116 Abs. 2 S. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
Das angefochtene Urteil vom 14. Februar 2001, mit dem das Finanzgericht (FG) die Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) verfügte Vollstreckungsmaßnahmen teilweise abgewiesen hatte, wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 1. März 2001 zugestellt. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde (mit Begründung) ging am Abend des 2. April 2001 per Telefax beim FG ein und wurde vom FG am nächsten Morgen ebenfalls per Telefax an den Bundesfinanzhof (BFH) weitergeleitet. Mit Schriftsatz vom 11. April 2001 beantragte die Klägerin, ihr wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung dieses Antrags trug sie vor, die Änderung der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Wirkung zum 1. Januar 2001, wonach die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beim FG die Rechtsmittelfrist nicht mehr wahre, sei ihrem Prozessbevollmächtigten nicht bekannt gewesen; die entsprechende Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil sei mit diesem Inhalt nicht oder so nicht zur Kenntnis genommen worden. In den vom Prozessbevollmächtigten bezogenen einschlägigen Kommentaren sei erst im April 2001 auf diese einschneidende Änderung hingewiesen worden.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel ist unzulässig.
1. Nach der Regelung des § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO i.d.F. von Art. 1 Nr. 13 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I, 1757), die seit 1. Januar 2001 für ab diesem Zeitpunkt verkündete oder von Amts wegen anstelle einer Verkündung zugestellte gerichtliche Entscheidungen maßgeblich ist (Art. 6 Satz 1, Art. 4 2.FGOÄndG), ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim BFH einzulegen. Eine Einlegung der Beschwerde beim FG wahrt die Beschwerdefrist ―im Gegensatz zu dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht― nicht mehr.
Im Streitfall ist die Monatsfrist zur Einlegung der Beschwerde beim BFH für das am 1. März 2001 zugestellte Urteil am 2. April 2001 (der 1. April war ein Sonntag) abgelaufen (§ 54 FGO, § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung ―ZPO―, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Dadurch ist das angefochtene Urteil rechtskräftig geworden. Die erst am 3. April 2001 beim BFH eingegangene, vom FG übermittelte Beschwerde der Klägerin war mithin verspätet und konnte die Rechtskraft des angefochtenen Urteils nicht mehr hemmen (§ 116 Abs. 4 FGO).
2. Dem Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist war nicht stattzugeben. Wiedereinsetzung wegen Versäumung einer gesetzlichen Frist kommt nur in Betracht, wenn den Beteiligten (§ 57 FGO) kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft (§ 56 Abs. 1 FGO). Verschulden seines Prozessbevollmächtigten muss er sich wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Fristversäumnis verschuldet, weil er die seit 1. Januar 2001 maßgebliche neue Rechtslage, wonach eine Nichtzulassungsbeschwerde fristwahrend nur beim BFH eingelegt werden kann, hätte kennen müssen. Ein Steuerberater muss das einschlägige Prozessrecht kennen und Änderungen desselben zur Kenntnis nehmen. Die Neuregelung des Revisionsrechts war bereits dem BGBl vom 19. Dezember 2000 zu entnehmen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hätte sich über die in Presse und Fachpresse angekündigten Änderungen der FGO unmittelbar anhand der Veröffentlichung im BGBl informieren müssen. Insoweit kann unter Berücksichtigung der heutigen Informationsmöglichkeiten (z.B. kostenfreie Einsichtnahme ins BGBl im Internet) für das nationale Recht nichts anderes gelten als für das Gemeinschaftsrecht, das der Wirtschaftsbeteiligte mit dem Tag der Veröffentlichung im maßgeblichen Amtsblatt (dort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften) zu kennen hat (vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 12. Juli 1989 Rs. 161/88, EuGHE 1989, 2415, Abs. 19; BFH, Urteil vom 23. März 1999 VII R 16/98, BFHE 188, 164). Unerheblich ist, welche Fachkommentare oder welche Fachliteratur dem Prozessbevollmächtigten im konkreten Fall zur Verfügung stehen und ob in diesem Schrifttum zeitnah über die rechtlichen Neuerungen berichtet wird oder nicht. Maßgeblich ist allein die fristgerechte Veröffentlichung des Rechtstextes im BGBl.
Im Übrigen wäre ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin allein auch darin zu sehen, dass er die Rechtsmittelbelehrung des FG, in der zutreffend und durch Unterstreichungen deutlich hervorgehoben auf die Notwendigkeit der Einlegung der Beschwerde beim BFH hingewiesen wird, nach eigenem Bekunden nicht oder so nicht zur Kenntnis genommen hat.
Die Beschwerde war nach alldem als verfristet und daher als unzulässig zu verwerfen.
Fundstellen
Haufe-Index 665079 |
BFH/NV 2002, 215 |