Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf der Rechtsanwaltszulassung des Prozessbevollmächtigten nach Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde
Leitsatz (NV)
1. Ein Rechtsstreit wird unterbrochen, wenn die Rechtsanwaltskammer die Zulassung des (früheren) Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers widerruft.
2. Kommt der Beschwerdeführer der Aufforderung des Gerichts nicht nach, einen neuen Prozessbevollmächtigten zu benennen, ist das Verfahren als aufgenommen anzusehen.
3. Durch den Widerruf der Rechtsanwaltszulassung verliert der (frühere) Prozessbevollmächtigte zwar seine Postulationsfähigkeit, davon unberührt bleibt jedoch die Wirksamkeit seiner bisherigen Prozesshandlungen.
Normenkette
FGO § 155; ZPO § 244 Abs. 1, 2 S. 2; BRAO § 16 Abs. 7, § 155 Abs. 5
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 29.06.2007; Aktenzeichen 14 K 5911/00) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) erhobenen Rügen sind zum Teil unzulässig, da sie nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechen (unten 2.), im Übrigen aber unbegründet (unten 3.)
1. Der Rechtsstreit wurde gemäß 155 FGO i.V.m. § 244 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen, da die Rechtsanwaltskammer X die Zulassung der (früheren) Prozessbevollmächtigten der Kläger mit der Folge widerrufen hatte, dass diese ab dem 27. September 2007 nicht mehr als Rechtsanwältin tätig werden durfte. Die Kläger wurden von dem Vorsitzenden des erkennenden Senats mit Schreiben vom 16. September 2008 aufgefordert, bis zum 31. Oktober 2008 einen neuen Anwalt oder eine Person zu bestellen, die zur Vertretung vor dem Bundesfinanzhof (BFH) gemäß § 62 Abs. 4 FGO berechtigt ist. Da die Kläger dieser Aufforderung nicht nachgekommen sind, ist gemäß § 155 FGO i.V.m. § 244 Abs. 2 Satz 2 ZPO das Verfahren als aufgenommen anzusehen.
Durch den Widerruf ihrer Zulassung als Rechtsanwältin, dessen sofortiger Vollzug angeordnet wurde, hat die (frühere) Prozessbevollmächtigte zwar ihre Postulationsfähigkeit verloren; gemäß § 16 Abs. 7 i.V.m. § 155 Abs. 5 der Bundesrechtsanwaltsordnung ist jedoch davon die Wirksamkeit ihrer Prozesshandlungen unberührt. Das bedeutet, dass ihre am 29. Oktober 2007 beim BFH eingegangene Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger vom 26. Oktober 2008 als fristgerecht und ordnungsgemäß zu behandeln ist.
2. Das Vorbringen der Kläger kann aber die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen.
a) Die von den Klägern gerügten Unrichtigkeiten im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils sind nicht im Rechtsmittelverfahren beim BFH, sondern nur mit einem fristgebundenen Antrag auf Tatbestandsberichtigung beim Finanzgericht --FG-- (§ 108 FGO) geltend zu machen (Senatsbeschluss vom 18. Juli 2006 X B 206/05, BFH/NV 2006, 1877). Zudem sind die gerügten Ungenauigkeiten in den Jahreszahlangaben im Urteilstext offensichtlich als Schreibversehen zu erkennen.
b) Auch die weitere Rüge, das FG habe seine Fürsorge- und Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) verletzt, indem es vor der mündlichen Verhandlung keinen Hinweis erteilt habe, dass es die Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 1996 schätzen wolle und die mündliche Verhandlung nicht vertagt habe, um den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, führt nicht zur Revisionszulassung. Denn die Rüge, das FG habe seine Hinweispflicht verletzt, erfordert die substantiierte Darlegung, was ohne eine solche --behauptete-- Rechtsverletzung von den Klägern noch Entscheidungserhebliches vorgetragen worden wäre (BFH-Beschluss vom 10. Oktober 2007 IV B 130/06, IV B 131/06, BFH/NV 2008, 233). Dieser Vortrag fehlt.
c) Die von den Klägern gegen die Schätzung des FG erhobenen Einwände vermögen die Zulassung der Revision ebenfalls nicht zu begründen. Sie legen einen erheblichen Rechtsanwendungsfehler des FG bei der Schätzung des Gewinns, der gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Zulassung der Revision führen könnte (Senatsbeschlüsse vom 24. Oktober 2007 X B 126/07, nicht veröffentlicht --n.v.--; vom 16. Januar 2007 X B 38/06, BFH/NV 2007, 757), nicht hinreichend dar.
Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalles durch das FG im Rahmen einer Schätzung ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich (Senatsbeschluss vom 17. Februar 2004 X B 142/03, n.v.). Dies gilt insbesondere für Einwände gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 31. Juli 2007 X B 36/07, n.v.). Ein zur Zulassung der Revision berechtigender erheblicher Rechtsfehler aufgrund objektiver Willkür kann allenfalls in Fällen bejaht werden, in denen das Schätzungsergebnis des FG wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 69, m.w.N.). Das Vorliegen dieser besonderen Umstände ist in der Beschwerdeschrift darzulegen (Senatsbeschluss vom 9. August 2007 X B 218/06, BFH/NV 2007, 2273).
Dies ist nicht geschehen. Die Kläger legen nicht in der erforderlichen Weise dar, dass das Schätzungsergebnis des FG willkürlich und realitätsfremd ist. Die Kläger erheben zwar zahlreiche Einwände gegen die Schätzung des FG, die sich aber vor allem auf dessen Befugnis zur Schätzung und das Zustandekommen der Schätzung beziehen. Einen erheblichen Rechtsanwendungsfehler des FG legen sie damit nicht in der erforderlichen Weise dar. Es fehlen Ausführungen dazu, warum die gerügten Fehler im Streitjahr zu einem willkürlichen und realitätsfremden Schätzungsergebnis geführt haben sollen.
Die Ausführungen der Kläger erschöpfen sich im Wesentlichen darin, darauf hinzuweisen, sie seien ihrer Pflicht zur ordnungsgemäßen Erklärung ihrer Kapitaleinkünfte in den Jahren 1991 und 1992 nachgekommen, da ihre zu erklärenden Kapitaleinkünfte unterhalb des Sparer-Freibetrages gelegen hätten. Dabei übersehen sie aber, dass der Sparer-Freibetrag in diesen Jahren für zusammen veranlagte Steuerpflichtige nicht 12 000 DM, sondern lediglich 1 200 DM betrug. Bei zugestandenen Kapitalerträgen von 957 DM für die Anlage eines Geldbetrages von 75 000 DM für dreieinhalb Monate, einer behaupteten Zuwendung vom Vater des Klägers im Jahr 1991 in Höhe von 147 352,67 DM und gleichzeitig fehlendem Nachweis, wie das Geld verwendet wurde, musste die Richtigkeit der Steuererklärung der Kläger in Bezug auf ihre Kapitaleinkünfte bezweifelt werden.
d) Der gerügte Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten ist nur dann ein Zulassungsgrund, wenn er gleichzeitig einen Verfahrensfehler darstellt. Die hierfür erforderliche Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt vor, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die Entscheidung darauf beruhen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Februar 2006 XI B 36/05, BFH/NV 2006, 1846; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 80, m.w.N.). Entsprechend setzt die schlüssige Rüge eines "Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten" insbesondere die Darlegung voraus, dass ein von den Beteiligten vorgetragener oder aus den Akten erkennbarer Sachverhalt vom FG nicht zur Kenntnis genommen worden sei (BFH-Beschluss vom 16. November 1993 I B 115/93, BFH/NV 1994, 551). Dies verlangt die genaue Bezeichnung der Aktenteile, die das FG nicht berücksichtigt haben soll (BFH-Beschlüsse vom 5. April 1994 V B 164/93, BFH/NV 1995, 883, und vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). An einem solchen Vortrag fehlt es.
Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt hingegen nicht bereits deshalb vor, wenn das FG den ihm vorliegenden Akteninhalt nicht entsprechend der klägerischen Vorstellungen gewürdigt hat oder die Würdigung aus der Sicht des Klägers fehlerhaft erscheint. Insoweit handelt es sich allenfalls um einen nicht zur Zulassung der Revision führenden materiell-rechtlichen Fehler, nicht jedoch um einen Verfahrensverstoß (BFH-Beschluss vom 24. April 2007 VIII B 251/05, BFH/NV 2007, 1521, m.w.N.).
e) Ebenso unschlüssig ist die von den Klägern erhobene Rüge, das FG habe ihnen das Recht auf Gehör dadurch versagt, dass ihnen trotz des im Schriftsatz der (früheren) Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 26. Juni 2007 gestellten Antrags keine Akteneinsicht gewährt worden sei.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird für das finanzgerichtliche Verfahren u.a. dadurch verwirklicht, dass die Prozessbeteiligten das Recht haben, die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten (insbesondere der beklagten Behörde) einzusehen (§ 78 FGO). Falls das Gericht die Akteneinsicht zu Unrecht verweigert, gleichwohl aber die Akten auswertet, liegt ein Verfahrensfehler vor (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 22. Mai 2002 VI B 2/02, BFH/NV 2002, 1168, m.w.N.).
Die schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs --hier durch die Versagung der begehrten Akteneinsicht-- setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH u.a. die substantiierte Darlegung des Beschwerdeführers voraus, dass er
- den Mangel in der (nächsten) mündlichen Verhandlung gerügt habe bzw. aus welchen --von ihm nicht zu vertretenden-- Gründen er an einer solchen Rüge gehindert gewesen sei (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO) und
- was er bei rechtzeitiger Gewährung der Akteneinsicht noch vorgetragen hätte und dass dies die Entscheidung des FG --auf der Basis der von diesem vertretenen Rechtsauffassung-- hätte beeinflussen können (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 12, m.w.N.; ferner z.B. Senatsbeschluss vom 1. August 2005 X B 24/05, BFH/NV 2005, 2222, m.w.N.).
An einem dahingehenden (substantiierten) Vortrag mangelt es im Streitfall. Die Kläger haben nicht dargelegt, dass ihre Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 29. Juni 2007 die versagte Akteneinsicht gerügt habe. Entsprechendes ergibt sich auch nicht aus der Sitzungsniederschrift über diesen Termin. Die Kläger haben ferner auch nicht dargetan, warum sie an einer solchen Rüge gehindert gewesen seien.
Ebenso wenig haben die Kläger schlüssig ausgeführt, was sie bei (rechtzeitiger) Gewährung der Akteneinsicht noch vorgetragen hätten und dass dies --unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des FG-- die Entscheidung des FG hätte beeinflussen können.
3. Der von den Klägern angeführte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor.
Wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund gestützt, muss der Beschwerdeführer eine für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage herausarbeiten, die das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Er muss dabei darlegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft ist, wobei er sich mit den in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen auseinandersetzen muss (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 32, m.w.N.).
Die Kläger arbeiten zwei von ihnen als grundsätzlich angesehene Fragen heraus, nämlich
(a) ob eine die Schätzungsbefugnis nach § 162 der Abgabenordnung auslösende Pflichtverletzung in Form der Nichtabgabe von Erklärungen vorliegen kann, wenn das Finanzamt die Steuerpflichtigen --zumal begründet-- von der Erklärungspflicht befreit hat und
(b) ob in diesem Fall, wenn das Finanzamt nicht von einer Schätzungsbefugnis ausgeht, das FG eine eigene Schätzungsbefugnis haben kann.
Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob dieser Vortrag den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 FGO genügt, da die Kläger lediglich eine gefestigte Rechtsprechung des BFH "behaupten", ohne jedoch ein konkretes Urteil zu nennen oder auf einschlägige Literatur zu verweisen.
Beide Rechtsfragen sind für die Entscheidung des vorliegenden Falles jedoch nicht erheblich, da sie sich nur bei einem anderen als dem im Streitfall gegebenen Sachverhalt stellen könnten (vgl. zur Entscheidungserheblichkeit Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 30, m.w.N.).
a) Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat die Kläger --im Gegensatz zu ihrem Vorbringen-- nicht von ihrer Steuererklärungspflicht befreit. Mit Schreiben vom 30. März 1998 hat es dem Fristverlängerungsantrag der Kläger stattgegeben, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass nach Rückgabe der beschlagnahmten Unterlagen die Steuererklärungen so schnell wie möglich einzureichen seien. Das FG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Grund für die Gewährung der Fristverlängerung nach Scheitern der Herausgabe der Unterlagen von ihrem damaligen Steuerberater entfallen war und dass die Kläger bei verständiger Würdigung annehmen mussten, dass die Erklärungen nunmehr ggf. auf der Grundlage der bekannten Daten im Schätzungswege zu erstellen waren.
b) Auch die zweite Frage ist nicht entscheidungserheblich, da das FA im vorliegenden Fall nicht nur von einer eigenen Schätzungsbefugnis ausgegangen ist, sondern sie durch Erlass der Bescheide für 1996 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 14. Mai 1999, über Umsatzsteuer vom 31. Mai 1999 sowie über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag --jeweils unter Bezugnahme auf die Ergebnisse der bei den Klägern durchgeführten Prüfung mit dem die Schätzung enthaltenen Prüfungsbericht vom 23. Oktober 1998-- ausgeübt hat. Damit kann sich die von den Klägern formulierte Rechtsfrage im vorliegenden Fall nicht stellen.
Fundstellen
Haufe-Index 2090094 |
BFH/NV 2009, 198 |