Entscheidungsstichwort (Thema)
Mißbräuchliche Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Hat das FG in den Gründen seines Urteils unter Mitwirkung der abgelehnten Richter und ohne vorherige Abgabe dienstlicher Äußerungen ein Richterablehnungsgesuch als offensichtlich unbegründet unbeachtet gelassen, ist aber der Begründung hierfür zu entnehmen, daß sich das FG dabei offensichtlich nur im Ausdruck vergriffen hat und das Gesuch in Wirklichkeit als offensichtlich unzulässig verwerfen wollte, und wäre eine solche Entscheidung der Sache nach gerechtfertigt, so spricht einiges dafür, daß die Beschwerde gegen die Ablehnung des Befangenheitsantrags schon deswegen keinen Erfolg haben kann.
2. Jedenfalls ist aber der BFH als Beschwerdegericht -- trotz Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richters in der Vorinstanz -- nicht daran gehindert, hinsichtlich des Ablehnungsgesuchs in der Sache selbst zu entscheiden.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO §§ 42, 44 Abs. 2-3, § 45 Abs. 1
Tatbestand
Mit Urteil vom 4. Dezember 1996 hat das Finanzgericht (FG) die Klage des Klägers, Antragstellers und Beschwerdeführers (Kläger) auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungsverfügungen des Beklagten, Antraggegners und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) wegen Fehlens des erforderlichen besonderen Feststellungsinteresses als unzulässig abgewiesen. Kurz vor der mündlichen Verhandlung ging beim FG per Telefax ein Gesuch des Klägers ein, in dem dieser den gesamten Senat wegen Befangenheit ablehnte. Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, die Richter hätten das Verfahren über nahezu zwei Jahre hinweg verschleppt, obwohl aufgrund des Streitgegenstandes und der diesseitigen Darlegungen unmittelbare Wiederholungsgefahr hinsichtlich des inkriminierten Verhaltens des FA bestände und damit umgehender Rechtsschutz geboten sei. Aufgrund der Rechtsschutzverweigerung treffe den Berichterstatter, aber auch die übrigen Richter, die sich durch ihr Nichtstun die Verfahrensweise des Berichterstatters zu eigen gemacht hätten, die Mitverantwortung für die ihm durch das FA zugefügten erheblichen materiellen und immateriellen Schäden. Vernünftige Zweifel an der Befangenheit des Bericht erstatters seien nicht möglich, da dieser ihn zur Klagerücknahme aufgefordert habe, falls er der Aufforderung zur weiteren Substantiierung des besonderen Feststellungsinteresses nicht binnen einer gesetzten Frist nachkomme. Einem Richter stehe das anmaßende Verhalten nicht zu, einen Rechtsuchenden zur Klagerücknahme aufzufordern. Des weiteren komme mit der ohne Begründung erfolgten Ablehnung seines Terminverlegungsantrags vom 28. November 1996 eine absichtliche und gröbliche Mißachtung seiner Stellung als Rechtsanwalt zum Ausdruck.
Das FG hat in den Gründen seines in geschäftsplanmäßiger Besetzung, also durch die drei abgelehnten Richter, erlassenen Urteils den Befangenheitsantrag -- "die 5. Richterablehnung in diesem Verfahren" -- "als offensichtlich unbegründet unbeachtet gelassen". Hierzu führt das FG aus: "Die Ablehnungsgesuche hinsichtlich des Berichterstatters wegen ,nahezu zweijähriger Verfahrensverschleppung` bzw. hinsichtlich der anderen Richter ,wegen Duldung der Verfahrensverschleppung` durch den Berichterstatter sind abwegig. Angesichts des beharrlichen Schweigens des Klägers auf mehrere Anfragen des Berichterstatters und selbst auf eine Ausschlußfrist hin (die zweite in diesem Verfahren) ließ dieses Verhalten des Klägers gerade nicht auf besondere Eilbedürftigkeit, sondern auf Desinteresse schließen. Die Verfahrensdauer als solche ist zudem nicht ungewöhnlich. Der abgelehnte Beisitzer (Richter am FG T) kann ohnehin keine Verfahrensverschleppung geduldet haben, weil er dem Senat erst seit kurzem angehört. Auch der Hinweis des Berichterstatters an den Kläger, er möge entweder das besondere Feststellungsinteresse darlegen oder -- noch kostenfrei -- die Klage zurücknehmen, erlaubt nicht den Schluß auf eine unsachliche Einstellung des Richters gegenüber dem Kläger. Dem Prozeßziel, die Verfahrensdauer so kurz wie möglich zu halten, entspricht es vielmehr, dem mitwirkungsbereiten Kläger die Gelegenheit zu geben, Zulässigkeitsbedenken möglichst frühzeitig auszuräumen. Hält auch der Kläger die Bedenken des Gerichts für begründet, so hilft in vielen Fällen der Hinweis auf die Möglichkeit zur kostenfreien Klagerücknahme, ein Verfahren zu beenden. Dies ist nicht Ausdruck der Befangenheit, sondern der richterlichen Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger und anderen Rechtsuchenden. Schließlich läßt sich eine Befangenheit des Berichterstatters auch nicht aus der Ablehnung der vierten Fassung des telefonisch und per Fax gestellten Vertagungsantrags herleiten. Daß die letzte Ablehnung durch den Berichterstatter (per Fax von 18.12 Uhr)"-- nämlich am Vortag des Termins zur mündlichen Verhandlung -- "ohne erneute Begründung erfolgte, entspricht nicht einer ,absichtlichen und gröblichen Mißachtung der Stellung eines Rechtsanwalts`, sondern dem Umstand, daß dem Kläger mehrfach telefonisch und schriftlich die Anforderungen an einen begründeten Vertagungsantrag im konkreten Fall mitgeteilt worden sind und der Kläger unschwer erkennen konnte, daß nach Ansicht des Berichterstatters diesen Anforderungen -- zuletzt konkretisiert durch Fax des Vorsitzenden um 11.17 Uhr und telefonisch um 14.30 Uhr -- nicht genügt worden ist. Im übrigen geht es nicht an, nach Art einer Konferenzschaltung per Telefon und Fax Vertagungsanträge mit einem Minimum an Sachverhaltsvortrag im Stundenabstand solange weiter zu konkretisieren, bis das Gericht die Glaubhaftmachung gerade für ausreichend erachtet. Vielmehr ist es Sache des Antragstellers, den Antrag von sich aus von vornherein umfassend und vollständig zu begründen."
Gegen die Zurückweisung seines Ablehnungsantrags hat der Kläger Beschwerde eingelegt und beanstandet, daß die Zurückweisung nicht mit separatem Beschluß, sondern in den Gründen des Urteils und unter Mitwirkung sämtlicher abgelehnter Richter erfolgt sei. Auch lägen dienstliche Stellungnahmen der abgelehnten Richter nicht vor. Die in Aussicht gestellte weitere Begründung der Beschwerde ist trotz einer von der Senatsgeschäftsstelle gesetzten Frist nicht eingegangen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das vom Kläger eingelegte Rechtsmittel überhaupt statthaft ist (vgl. hierzu die Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 7. September 1995 III B 158/93, BFH/NV 1996, 229, und vom 29. Mai 1996 III B 61/95, BFH/NV 1997, 38 einerseits, und vom 23. November 1994 X B 170/93, BFH/NV 1995, 793 andererseits; s. auch Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, §51 Rz. 61) und ob sonstige Gründe vorliegen, die einer Zulässigkeit der Beschwerde entgegenstehen. Jedenfalls ist die Beschwerde unbegründet.
1. Nach §51 Abs. 1 Satz 1 der Finanz gerichtsordnung (FGO) i. V. m. §42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlaß hat, die Voreingenommenheit des oder der abgelehnten Richter zu befürchten (BFH- Beschluß vom 27. September 1994 VIII B 64--76/94, BFH/NV 1995, 526). Gemäß §44 Abs. 2 ZPO sind die das Mißtrauen in die Unparteilichkeit rechtfertigenden Umstände im Ablehnungsgesuch substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen (BFH- Beschluß vom 13. September 1991 IV B 147/90, BFH/NV 1992, 320). Die Entscheidung über die Ablehnung erfolgt regelmäßig nach dienstlicher Äußerung des oder der abgelehnten Richter über die geltend gemachten Ablehnungsgründe (§44 Abs. 3 ZPO) durch Beschluß (vgl. §46 Abs. 2 ZPO) und ohne Mitwirkung des oder der abgelehnten Richter (§45 Abs. 1 ZPO). Indessen ist es nach ständiger Rechtsprechung allgemein anerkannt, daß in Fällen offen barer Unzulässigkeit oder rechtsmißbräuchlicher Ablehnung über das Ablehnungsgesuch auch in den Gründen des die Instanz abschließenden Urteils entschieden werden darf, und zwar unter Einschluß des oder der abglehnten Richter und ohne Abgabe dienstlicher Äußerungen (BFH-Beschlüsse vom 27. Märtz 1992 VIII B 31/91, BFH/NV 1992, 619, und vom 30. Juli 1993 I B 55, 56/93, BFH/NV 1994, 325, jeweils m. w. N.; s. auch Gräber/Koch, a. a. O., §51 Rz. 55).
Von dieser Verfahrensweise hat das FG Gebrauch gemacht, ohne allerdings in den Gründen des Urteils das Ablehnungsgesuch ausdrücklich als offenbar unzulässig oder rechtsmißbräuchlich zu bezeichnen. Der Ausdrucksweise des FG indessen, wonach die Ablehnungsgesuche hinsichtlich des Berichterstatters wegen "nahezu zweijäh riger Verfahrensverschleppung" bzw. hinsichtlich der anderen Richter wegen "Duldung der Verfahrensverschleppung" abwegig seien, entnimmt der Senat, daß sich das FG bei der Entscheidung, "das Ablehnungsgesuch ... als offensichtlich unbegründet unbeachtet" zu lassen, augenscheinlich nur im Ausdruck vergriffen hat und in Wirklichkeit das Gesuch als offensichtlich unzulässig verwerfen wollte.
In der Sache wäre eine solche Entscheidung -- mißbräuchliches Ablehnungsgesuch -- nach Auffassung des Senats aus zwei Gründen zu vertreten gewesen. Zum einen hat der Kläger unter Verstoß gegen das Erfordernis der Individualablehnung (s. dazu Gräber/Koch, a. a. O., .§51 Rz. 19 und 26, m. w. N.) den gesamten FG-Senat, der in seinem Verfahren zu entscheiden hatte, abgelehnt, darin eingeschlosen neben dem Berichterstatter N und dem Vorsitzenden R auch den dritten, dem Kläger namentlich nicht bekannten Richter T. Letzterer gehörte aber ausweislich der Urteilsbegründung dem erkennenden FG-Senat erst seit kurzem an, so daß der geltend gemachte Ablehnungsgrund "Duldung der Verfahrensverschleppung" die Besorgnis der Befangenheit dieses Richters unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen konnte (vgl. BFH-Beschluß vom 16. April 1993 I B 155/92, BFH/NV 1994, 637). Zum anderen erweist sich die Ablehnung wegen Verfahrensverschleppung bzw. Duldung derselben als offensichtlich grundlos und kann nur selbst der Prozeßverschleppung dienen (BFH/NV 1994, 325). Für den Senat ist es nicht nachvollziehbar, daß ein Kläger, der mehrere Aufforderungen des Berichterstatters, das Bestehen eines besonderen Feststellungsinteresses zwecks Klärung der Zulässigkeit einer Feststellungsklage näher zu substantiieren, ohne Reaktion verstreichen läßt, diesen Berichterstatter und mit ihm die beiden anderen Richter des Senats wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund "Verfahrensverschleppung" bzw. "Duldung der Verfahrensverschleppung" ablehnt. Aus diesen Fakten kann vielmehr bei vernünftiger objektiver Betrachtung gerade umgekehrt auf Verschleppungsabsicht des Klägers geschlossen werden.
2. Letztlich kann aber offenbleiben, ob das FG das Ablehnungsgesuch mit Recht in den Gründen des Urteils unter Mitwirkung der abgelehnten Richter und ohne vorherige dienstliche Äußerung derselben abgelehnt hat. Selbst wenn man im Hinblick auf die gegen den Berichterstatter zusätzlich vorgebrachten Ablehnungsgründe (Aufforderung zur Klagerücknahme, Ablehnung des Terminverlegungsantrags) eine Entscheidung durch besonderen Beschluß und ohne Mitwirkung des Berichterstatters für geboten erachtete und folglich den FG-Senat bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch als nicht ordnungsgemäß besetzt anzusehen hätte, so könnte auch dieser Umstand der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Der Senat ist nämlich mit dem FG der Ansicht, daß die geltend gemachten Ablehnungsgründe nicht vorliegen und die Beschwerde daher im Ergebnis unbegründet ist.
Als Beschwerdegericht ist der BFH -- trotz Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richters in der Vorinstanz -- nicht daran gehindert, hinsichtlich des Ablehnungsgesuchs in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. Sentsbeschluß vom 15. Oktober 1996 VII B 272/95, BFH/NV 1997, 357; Gräber/Koch, a. a. O., §51 Rz. 67).
Bezüglich des Ablehnungsgrundes "Verfahrensverschleppung" bzw. "Duldung der Verfahrensverschleppung" verweist der Senat auf seine obigen Ausführungen (unter 1. am Ende), bezüglich der beiden weiteren Ablehnungsgründe bestätigt der Senat vollumfänglich die zutreffenden Ausführungen des FG (§113 Abs. 2 Satz 3 FGO). Der Senat hat sich, da der Kläger insoweit seine Beschwerde nicht begründet hat, aufgrund der Aktenlage vergewissert, daß die Darstellung des FG zu den Umständen, die zu der Aufforderung des Berichterstatters, die Klage zurückzunehmen, und zur Ablehnung des Vertagungsantrags geführt haben, der objektiven Tatsachenlage entspricht.
Fundstellen
Haufe-Index 66523 |
BFH/NV 1998, 328 |