Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindung an das Klagebegehren
Leitsatz (NV)
Der Grundsatz der Bindung an das Klagebegehren gehört zur Grundordnung des Verfahrens. Das Gericht darf dem Kläger nicht etwas zusprechen, was dieser nicht beantragt hat ("ne ultra petita"), und auch nicht über etwas anderes ("aliud") entscheiden, als der Kläger durch seinen Antrag begehrt und zur Entscheidung gestellt hat.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 16.01.2009; Aktenzeichen 5 K 4455/04) |
Gründe
Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der von dem Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) gerügte Verfahrensverstoß einer Verletzung von § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO liegt vor.
Zur Grundordnung des Verfahrens gehört auch der Grundsatz der Bindung an das Klagebegehren, der für das finanzgerichtliche Verfahren in der Vorschrift des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO zum Ausdruck kommt. Nach diesem Grundsatz darf das Gericht in Anerkennung der privatautonomen Verfügungsfreiheit des Klägers über den Streitgegenstand nicht über das Klagebegehren, das regelmäßig im Klageantrag seinen formgerechten Ausdruck findet, hinausgehen ("ne ultra petita"). Es darf dabei dem Kläger nicht etwas zusprechen, das dieser nicht beantragt hat, und darüber hinaus auch nicht über etwas anderes ("aliud") entscheiden als der Kläger durch seinen Antrag (einschließlich seiner eigenen Interpretation dieses Antrags) begehrt und zur Entscheidung gestellt hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Dezember 1994 VII R 18/93, BFH/NV 1995, 697, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 20. November 2003 X B 65/03, BFH/NV 2004, 362).
Nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils und der insoweit übereinstimmenden Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2009 haben die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) beantragt, "unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2001 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 19.09.2006 und Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 20.07.2004 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Verlustes nach § 17 EStG i.H.v. … DM herabzusetzen". Das FG hat in seinem Urteil die Einkommensteuer für das Streitjahr auf 0 € festgesetzt; damit ist das FG über das Klagebegehren der Kläger hinausgegangen. Denn unter Berücksichtigung der im Streitjahr 2001 geltenden Tarifnormen des Einkommensteuergesetzes (EStG) einschließlich der Regelungen des § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 (StEntlG 1999/2000/2002) ergibt sich --was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist-- bei der Berücksichtigung eines Verlustes nach § 17 EStG in Höhe von … DM für die Kläger eine positive Einkommensteuerlast.
Der Senat hält es für sachgerecht, das angefochtene Urteil gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird zu entscheiden haben, ob es das finanzgerichtliche Verfahren bis zu einer Entscheidung in dem Verfahren 2 BvL 59/06, in dem das Bundesverfassungsgericht u.a. die Rechtsfrage prüfen wird, ob § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 wegen Verletzung des Grundsatzes der Normenklarheit verfassungswidrig ist, in entsprechender Anwendung des § 74 FGO aussetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 2212448 |
BFH/NV 2009, 1821 |