Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde: Übergehen eines Beweisantrages und Rügeverlust, Substantiierung eines Beweisantrages
Leitsatz (NV)
- Hat das FG in seinem Urteil begründet, weshalb es von der Erhebung eines beantragten Zeugenbeweises abgesehen hat, genügt in der Beschwerdeschrift die schlichte Rüge der Nichtvernehmung zur Bezeichnung der den angeblichen Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen.
- Das FG kann auf eine beantragte Beweiserhebung nur verzichten, wenn es auf das Beweismittel für die Entscheidung nicht ankommt, das Gericht die zu beweisenden Tatsachen zugunsten der betreffenden Partei als wahr unterstellt, das Beweismittel nicht erreichbar oder völlig ungeeignet ist, oder der Beweisantrag nicht substantiiert ist.
- Die Anforderungen an die Substantiierung des Beweisantrages hängen angesichts der Amtsermittlungspflicht entscheidend auch von den Mitwirkungspflichten im finanzgerichtlichen Verfahren ab.
- Erteilt der als Haftungsschuldner in Betracht kommende Geschäftsführer keinerlei Auskünfte über die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum, genügt die Benennung des Steuerberaters zum Beweis dafür, dass im Haftungszeitraum keine Mittel zur Steuerzahlung zur Verfügung standen, den Substantiierungsanforderungen nicht.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 118 Abs. 2, § 120 Abs. 3, § 126 Abs. 4; ZPO §§ 82, 373; AO 1977 §§ 34, 69, 93 Abs. 3 S. 2
Tatbestand
I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) nahm den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als alleinigen Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH wegen rückständiger Umsatzsteuern und steuerlicher Nebenleistungen der GmbH mit Haftungsbescheid in Anspruch.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag, den Steuerberater F als Zeugen dafür zu hören, dass im Haftungszeitraum keine Mittel zur Verfügung standen, um Steuern zu zahlen, ist das FG nicht nachgekommen. In den Entscheidungsgründen führt das FG diesbezüglich aus, der Zeugenbeweis sei untauglich, da nicht dargelegt worden sei, aufgrund welcher Unterlagen der Zeuge in der Lage sein könnte, die für die Ermittlung einer möglichen Haftungsquote notwendige Bestandsaufstellung über die Eigen- und Fremdmittel zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten zu machen und einen Liquiditätsstatus für die GmbH zu erstellen. Sollte der Zeuge wider Erwarten anhand ihm vorliegender Unterlagen zur Auskunft in der Lage sein, wäre es erst recht Sache des Klägers gewesen, sich die Unterlagen zu beschaffen und den pauschalen Sachvortrag zu ergänzen. Der Prozessvertreter habe auch in der mündlichen Verhandlung nicht erläutert, warum der Kläger sich die Unterlagen nicht habe besorgen können. Der Kläger befinde sich daher auch nicht in einem entschuldbaren Beweisnotstand.
Mit der Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision, da das Urteil des FG auf einem Verfahrensmangel beruhe und über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Mit der Behauptung der Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das FG (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) macht der Kläger einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend, der grundsätzlich eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnte. Der Senat braucht nicht zu prüfen, ob sich aus dem Vorbringen des Klägers schlüssig die erforderlichen Angaben zum Beweisantritt und zum Beweisthema, also die den angeblichen Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen, ergeben, da dem Kläger für seine Verfahrensrüge insoweit eine in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Begründungserleichterung zugute kommt. Denn soweit das FG ―wie im Streitfall― selbst begründet hat, weshalb von der Erhebung einzelner Beweise (hier: der Einvernahme des Steuerberaters F als Zeugen) abgesehen worden ist, ergeben sich die den angeblichen Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen aus dem Urteil selbst, so dass die Forderung nach ihrer Angabe zusätzlich auch in der Beschwerdeschrift eine unnötige Förmelei darstellen würde. Es genügt daher insoweit bereits die schlichte Rüge der Nichtvernehmung den Anforderungen des § 120 Abs. 3 FGO, die auch bei einer auf § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gestützten Nichtzulassungsbeschwerde maßgeblich sind (Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597, m.w.N., zu § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F.).
Der von dem Kläger gerügte Verfahrensverstoß liegt nicht vor. Die Pflicht des FG zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) wird durch die Vorentscheidung nicht verletzt. Das FG hat dem Antrag des Klägers auf Vernehmung des Steuerberaters F als Zeuge jedenfalls im Ergebnis zu Recht nicht entsprochen.
Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Das Gericht ist dabei an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO). Das gilt aber nur in dem Sinne, dass das FG von sich aus auch Beweise erheben kann, die von den Parteien nicht angeboten worden sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 22. April 1988 III R 59/83, BFH/NV 1989, 38). Von den Verfahrensbeteiligten angebotene Beweise muss das FG grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will. Auf die beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn es auf das Beweismittel für die Entscheidung nicht ankommt oder das Gericht die Richtigkeit der durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsachen zugunsten der betreffenden Partei unterstellt, das Beweismittel nicht erreichbar ist (vgl. Senatsurteil vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311) oder völlig ungeeignet ist, den Beweis zu erbringen (Senatsbeschluss vom 31. August 2000 VII B 181/00, BFH/NV 2001, 318). Auch ist das FG nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juni 1988 VII R 135/85, BFHE 153, 393, BStBl II 1988, 841, m.w.N.).
Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das FG den Beweisantrag mit zutreffenden Erwägungen abgelehnt hat, denn selbst wenn das FG insoweit einen Verfahrensfehler begangen hätte, könnte dieser in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO (vgl. Senatsbeschluss vom 19. März 2001 VII B 231/00, BFH/NV 2001, 1012) nicht zur Zulassung der Revision führen. Denn der Senat hält den Beweisantritt des Klägers für unsubstantiiert. Gemäß § 82 FGO i.V.m. § 373 der Zivilprozessordnung wird der Zeugenbeweis durch die Bezeichnung der Tatsachen angetreten, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll. In welchem Maße eine Substantiierung entsprechender Beweisanträge zu fordern ist, hängt angesichts des Amtsermittlungsgrundsatzes entscheidend auch von den Mitwirkungspflichten des Klägers ab. Denn zumutbarer Inhalt und Intensität der richterlichen Ermittlungen stehen notwendig im Zusammenhang mit dem Vorbringen der Beteiligten. Diese haben gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO eine Pflicht zur Förderung des finanzgerichtlichen Verfahrens (Senatsurteil in BFHE 153, 393, BStBl II 1988, 841).
Wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, haftet der Geschäftsführer einer GmbH für die von dieser geschuldete, nicht an das FA entrichtete Umsatzsteuer nach den §§ 34, 69 der Abgabenordung (AO 1977) nur insoweit, als er aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Steuerschulden hätte tilgen können. Bei insgesamt nicht ausreichenden Zahlungsmitteln liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung des Geschäftsführers nur insoweit vor, als er die vorhandenen Mittel nicht zu einer in etwa anteiligen Befriedigung der privaten Gläubiger und des FA (wegen der Umsatzsteuer) verwendet hat (Senatsurteil vom 12. Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657, m.w.N.). Zur Feststellung des Haftungsumfangs ist der als Haftungsschuldner in Betracht kommende Geschäftsführer einer GmbH im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht verpflichtet, die notwendigen Auskünfte über die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum zu erteilen (Senatsurteil vom 11. Juli 1989 VII R 81/87, BFHE 157, 315, BStBl II 1990, 357). Er muss insbesondere Feststellungen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten der Gesellschaft im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerschulden, der Höhe der Steuerschulden sowie der an sämtliche Gläubiger geleisteten Zahlungen ermöglichen (Senatsurteil in BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657; zur Mitwirkungspflicht des Haftungsschuldners u.a. Senatsurteil vom 23. August 1994 VII R 134/92, BFH/NV 1995, 570). Nach § 93 Abs. 3 Satz 2 AO 1977, der gemäß § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO auch im finanzgerichtlichen Verfahren gilt, hat der Geschäftsführer einer GmbH als auskunftspflichtiger Haftungsschuldner zur Erteilung der Auskunft Bücher, Aufzeichnungen und Geschäftspapiere heranzuziehen, soweit diese ihm zur Verfügung stehen. Zur Verfügung stehen nur solche Unterlagen, die sich in der Verfügungsmacht des Auskunftspflichtigen befinden oder hinsichtlich derer er einen Herausgabeanspruch hat. Stehen ihm danach Unterlagen nicht zur Verfügung, so genügt der Geschäftsführer seiner Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er nach seiner Erinnerung Auskunft gibt (Senatsurteil in BFH/NV 1995, 570).
Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger diesen verfahrensrechtlichen Obliegenheiten nicht entsprochen. Der Kläger hat weder aus der Erinnerung noch anhand der bei dem steuerlichen Berater der GmbH möglicherweise noch vorhandenen Unterlagen noch eigener Unterlagen irgendwelche Angaben gemacht, aus denen sich eine Haftungsbeschränkung nach den Grundsätzen der anteiligen Tilgung ergeben könnte. Soweit der Kläger mit der Beschwerde vorbringt, die Buchführungsunterlagen seien von dem Vermieter vernichtet worden, handelt es sich dabei um neues tatsächliches Vorbringen, das im Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision ebenso unbeachtlich ist wie in der Revision selbst. Der Berücksichtigung steht die Bindung des BFH an die vom FG festgestellten Tatsachen entgegen (§ 118 Abs. 2 FGO, BFH-Beschluss vom 21. Dezember 1994 VIII B 51/94, BFH/NV 1995, 801).
Unter Berücksichtigung der verfahrensrechtlichen Obliegenheiten konnte sich der Kläger deshalb nicht darauf beschränken, den Zeugen nur zum Beweis zu benennen "dass im Haftungszeitraum keine Mittel zur Verfügung standen um Steuern zu bezahlen". Denn mit diesem Beweisantritt wird lediglich das Beweisergebnis benannt. Ob der GmbH tatsächlich Mittel zur Verfügung standen, konnte auch der Steuerberater erst aus einer Zusammenschau vieler Einzeltatsachen (wie z.B. Höhe der Gesamtverbindlichkeiten, Zahlungseingänge und -ausgänge, vorhandene Fremd- und Eigenmittel zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten) beurteilen. Zur näheren Substantiierung des Beweisantrages hätte es daher zumindest der ungefähren Bezeichnung derjenigen Tatsachen bedurft, aufgrund derer der Steuerberater zu der Erkenntnis gelangen konnte oder gelangt ist, dass der GmbH keine Zahlungsmittel zur Verfügung standen.
2. Soweit der Kläger die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) begehrt, ist die Beschwerde unzulässig, da es an der Herausstellung einer abstrakten Rechtsfrage fehlt, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Mit dem Vorbringen, aus der Tatsache der Konkursantragsstellung sowie dem Umstand, dass das Konkursverfahren nicht eröffnet worden sei, seien die Liquiditätsschwierigkeiten der GmbH indiziell bewiesen und hätten zumindest zu einer quotenmäßigen Herabsetzung der Haftungsschuld führen müssen, wird lediglich eine fehlerhafte Beweiswürdigung gerügt. Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb einer Prüfung im Rahmen einer Verfahrensrevision entzogen (Senatsurteil vom 20. September 1994 VII R 40/93, BFH/NV 1995, 485; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 82).
Fundstellen
Haufe-Index 845877 |
BFH/NV 2003, 63 |