Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung; Gegenstand des Erwerbsvorgangs bei mehreren Verträgen
Leitsatz (NV)
Auch bei Abschluß des zur Errichtung eines Gebäudes notwendigen Vertrages zeitlich kurz nach dem Grundstückskaufvertrag kann zwischen beiden Verträgen ein objektiver enger sachlicher Zusammenhang bestehen. Ist die Tatsachenlage insoweit unklar, kann dies eine Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3; GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 2. April 19.. erwarben die Antragsteller - ein Ehepaar - als Miteigentümer je zur Hälfte eine Teilfläche aus einem Grundstück. Der Kaufpreis betrug 56 745 DM. Veräußerer war die X-Immobilien GmbH (GmbH). Dem Vertrag war als Anlage ein Lageplan beigefügt, in dem das erworbene Grundstück durch eine blaue Umrandung gekennzeichnet war. In diesem Lageplan waren auf dem von den Antragstellern erworbenen Grundstück und auf den Nachbargrundstücken bereits die Grundflächen von geplanten Wohnhäusern in Reihenhausbebauung eingezeichnet. Bereits am 18. März 19.. hatten die Antragsteller über den Architekten A die Baugenehmigung beantragt. Diese wurde am 28. März 19. . erteilt. Auf Grund eines Angebots vom 4. April 19.. schloß der Antragsteller mit der Firma Y einen als Werkvertrag bezeichneten Vertrag über die Erstellung eines Einfamilienreihenhauses. Der Auftragnehmer unterzeichnete den Vertrag am . . ., der Antragsteller am . . .
Der Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) setzte zunächst durch Bescheide vom 2. Mai 1985 gegen jeden der Antragsteller Grunderwerbsteuer in Höhe von je 567 DM fest. Mit auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Änderungsbescheiden vom 18. September 1987 setzte er dann gegen jeden der Antragsteller Grunderwerbsteuer in Höhe von 2 553 DM fest. Er sah nunmehr den Grundstückskaufvertrag und den Vertrag über die Errichtung des Hauses als einheitliches Vertragswerk an. Dem entsprechend zog er die Aufwendungen der Antragsteller für das Gebäude in die Gegenleistung ein.
Gegen diese Bescheide erhoben die Antragsteller nach erfolglosen Einspruchsverfahren Klagen. Mit den Klagen machen die Antragsteller geltend, daß nur der Kaufpreis für das Grundstück Gegenleistung sei. Sie tragen im wesentlichen vor, sie seien über die GmbH auf das Grundstück gestoßen. Sie seien in ihrer Entscheidung völlig frei gewesen, mit welchem Bauunternehmen oder auch in Eigenleistung sie das Grundstück bebauen würden. Die gegenteilige Darstellung des FA beruhe auf bloßen Vermutungen. Es gebe daher keinen Initiator und kein Vertragsgeflecht.
Das FA trug demgegenüber im wesentlichen vor, daß der Firma Y die Stellung eines Initiators zukomme. Diese habe in Zeitungsanzeigen das bebaute Grundstück angeboten. Zwischen der Firma Y und dem Grundstücksveräußerer müsse eine Vermarktungsvereinbarung bestanden haben, die der Firma Y das Grundstück ,,an die Hand" gegeben habe.
Über die Klage ist noch nicht entschieden. Ein während des Klageverfahrens beim FA geltend gemachter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung in Höhe der strittigen Beträge wurde von diesem abgelehnt. Daraufhin haben die Antragsteller beim Finanzgericht (FG) Antrag nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellt.
Das FG hat diesem Antrag stattgegeben und die Vollziehung der Grunderwerbsteuerbescheide in Höhe eines Betrags von jeweils 1 986 DM ausgesetzt. Entscheidend für den Rechtsstreit sei es, ob Gegenstand des Erwerbsvorgangs das bebaute oder das unbebaute Grundstück sei. Im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens reichten die vom FA getroffenen Feststellungen zum Sachverhalt nicht aus, die von diesem getroffene Entscheidung zu rechtfertigen. Das FG ging dabei davon aus, daß der Gegenstand des Erwerbsvorgangs maßgeblich davon abhängig sei, ob die Verträge insgesamt nach dem Parteiwillen als Einheit i. S. von § 139 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anzusehen seien. Im übrigen sei es rechtlich ernstlich zweifelhaft, ob das FA berechtigt war, die ursprünglichen Grunderwerbsteuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu Ungunsten der Antragsteller zu ändern.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde beantragt das FA, den Beschluß des FG aufzuheben und die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen. Die Entscheidung des FG sei unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen. Die getrennten Anträge der Antragsteller seien ohne entsprechenden Beschluß zu einer gemeinsamen Entscheidung verbunden worden. Darüber hinaus habe das FG gegen seine Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts verstoßen. Zur Stützung seines Beschwerdeziels legt es weiteres Tatsachenmaterial vor, das es im wesentlichen über Auskunftsersuchen nach § 93 AO 1977 bei den auf der Veräußererseite auftretenden Personen bzw. Unternehmen gewonnen hat. Dieses betrifft in erster Linie die Fragen, wer den Architekten ursprünglich beauftragt und bezahlt hat, ob Vereinbarungen zwischen der GmbH und der Firma Y bestanden haben, ob Verpflichtungen der Grundstückserwerber auf ein bestimmtes Bauunternehmen bestanden haben und wie der Geschehensablauf bei den benachbarten Grundstücken gewesen war.
Die Antragsteller beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Sie bleiben im wesentlichen bei ihrer Sachverhaltsdarstellung und ihrer Behauptung, die gegenteilige Darstellung des FA beruhe auf bloßen Vermutungen.
Entscheidungsgründe
1. Die vom FA erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
Das FG ist ohne erkennbaren Rechtsverstoß davon ausgegangen, daß bei ihm ein (von vornherein verbundener) Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bezüglich beider angefochtener Grunderwerbsteuerbescheide gestellt wurde. Einem Beschluß zur Verfahrensverbindung hat es daher nicht bedurft.
Auch gegen die Pflicht zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 FGO) hat das FG nicht verstoßen. Diese Pflicht besteht grundsätzlich auch im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO. Die Beweisaufnahme ist allerdings auf präsente Beweismittel beschränkt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Mai 1977 I R 162-163/76, BFHE 123, 3, BStBl II 1977, 765, m.w.N.). Das FA hat nicht dargetan, daß zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das FG insoweit von ihm angebotene präsente Beweise übergangen worden sind.
2. Die Beschwerde des FA ist auch sachlich unbegründet. Das FG hat zu Recht die Vollziehung der Bescheide teilweise ausgesetzt, da insoweit ernstliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestehen (§ 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 FGO).
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts sind zu bejahen, wenn bei einer summarischen Überprüfung des Bescheids neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen, gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Nach summarischer Überprüfung bestehen im Streitfall - wie auch das FG im Ergebnis zutreffend angenommen hat - derartige ernstliche Zweifel daran, ob Gegenstand des Erwerbsvorgangs das bebaute Grundstück ist.
Der notariell beurkundete Vertrag über den Erwerb der Miteigentumsanteile an dem Grundstück ist ein (jeweils) der Grunderwerbsteuer unterliegender Rechtsvorgang i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983. Die Steuer dafür bemißt sich nach dem Wert der Gegenleistung (§ 8 Abs. 1 GrEStG 1983). Als Gegenleistung gelten bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983).Es folgen Ausführungen, die denen der vorstehend abgedruckten Entscheidung vom 6. Dezember 1989 II R 113/87 ab II. Absatz 4 entsprechen.Der Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist nach den dargelegten Grundsätzen im Einzelfall unter Heranziehung aller relevanten Umstände zu bestimmen. Für eine derartige Abwägung aller Umstände des Einzelfalls enthalten die Entscheidungen des Senats vom 18. Oktober 1989 II R 85/87 und II R 143/87, BFHE 158, 483, 477, BStBl II 1990, 181, 183 beispielgebende Hinweise.
Im Gegensatz zu den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten erfolgte im Streitfall der Abschluß des zur Errichtung des Gebäudes abgeschlossenen Vertrags zeitlich erst kurz nach dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags. Allein dadurch wird ein objektiver enger sachlicher Zusammenhang mit dem Grundstückskaufvertrag jedoch noch nicht ausgeschlossen. Ein solcher kann dann bestehen, wenn die Kläger (spätestens) mit dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags in ihrer Entscheidung über das ,,Ob" und ,,Wie" einer Bebauung nicht mehr frei waren. Eine derartige Einschränkung der sonst für einen Grundstückserwerber bestehenden Entscheidungsfreiheit kann sich aus vorherigen Absprachen oder auch aus faktischen Zwängen ergeben. Das Vorliegen einer derartigen Bindung wird im Streitfall vom FA behauptet, von den Antragstellern aber bestritten. Insofern hat auch das Vorbringen der Beteiligten im Beschwerdeverfahren keine weitere Klärung gebracht. Die Tatsachenlage ist insoweit bei Berücksichtigung der Akten und der präsenten Beweismittel nach wie vor unklar. Nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens können daher ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerbescheide in der angefochtenen Höhe nicht ausgeschlossen werden. Ob die gewährte Vollziehungsaussetzung nach weiterer Klärung der Tatsachen geändert werden kann, muß der zukünftigen Entscheidung des dafür zuständigen FG gemäß § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO überlassen bleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 416829 |
BFH/NV 1991, 347 |
BFH/NV 1991, 496 |