Entscheidungsstichwort (Thema)

PKH für freies Geleit zur Teilnahme an mündlicher Verhandlung

 

Leitsatz (NV)

1. Dem Begehren des Steuerpflichtigen nach PKH verbunden mit freiem Geleit zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem FG kann im PKH-Verfahren nicht entsprochen werden, weil für die Gewährung freien Geleits das Gericht zuständig ist, vor dem die Hauptverhandlung im Strafverfahren stattfinden soll.

2. Der Antrag auf Gewährung freien Geleits -- der auch von einem anderen Prozeßgericht gestellt werden könnte -- setzt voraus, daß das FG die Teilnahme des Steuerpflichtigen im Gerichtstermin für unerläßlich hält.

3. Ist der an der Teilnahme am Gerichtstermin verhinderte Beteiligte selbst Rechtsanwalt, ist diesem rechtliches Gehör nicht notwendig durch Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten zu gewährleisten.

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 2, § 142; ZPO § 121 Abs. 2

 

Tatbestand

I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist Rechtsanwalt, der seinen Wohnsitz im Ausland (Spanien) genommen hat. Er ist jedoch in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) weiterhin als Rechtsanwalt zugelassen und von der Justizbehörde von der Residenzpflicht befreit. Die Zulassung als Rechtsanwalt in der Bundesrepublik wird durch einen jährlich ausgestellten Anwaltsausweis aufrechterhalten.

Mit der dem Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH) zugrundeliegenden Klage begehrt der Antragsteller, unter Abänderung einer Sicherungsabrede den Beklagten (Finanzamt -- FA --) zu verpflichten, an ihn einen monatlichen Betrag in Höhe von ... DM aus dem zur Sicherheit hinterlegten Betrag freizugeben. Das FA hatte zur Einziehung eines wegen Steuerschulden und Hinterziehungszinsen ausgebrachten Arrestes die Forderung des Antragstellers auf Auszahlung des Kaufpreises aus einem Grundstücksverkauf bei der mit der Abwicklung des Kaufvertrages befaßten Notarin als Drittschuldnerin gepfändet. Durch die Pfändung wurde der auf einem Notaranderkonto der Notarin befindliche Bestand aus dem o. g. Hausverkauf erfaßt. Die gepfändeten Beträge waren von der Drittschuldnerin an das FA überwiesen worden. Auf Antrag des Antragstellers hat das FA die Vollziehung von Steuerschulden gegen Sicherheitsleistung in der Weise ausgesetzt, daß die durch die Aussetzung zur Rückzahlung freiwerdenden Beträge nicht an den Antragsteller, sondern auf das bestehende Notaranderkonto zurücküberwiesen würden. Das entsprach einer Abrede zwischen dem Antragsteller und dem FA.

Die Klage hat das Finanzgericht (FG) mit Gerichtsbescheid als unbegründet abgewiesen. Es führt dazu aus: Die Anordnung einer Sicherheitsleistung sei als Nebenbestimmung zu einer Aussetzung der Vollziehung eine Ermessensentscheidung des FA. Diese könne vom FG im Rahmen des §102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur daraufhin überprüft werden, ob das FA die Grenzen des Ermessens eingehalten und von dem Ermessen in einem vom Zweck der Ermächtigung gedeckten Rahmen Gebrauch gemacht habe. Nach diesen Grundsätzen sei ein Ermessensfehlgebrauch nicht erkennbar. Ein Anspruch auf partielle Freigabe des zur Sicherheit hinterlegten Betrages stehe dem Antragsteller auch nicht aufgrund der Regelung des §850 c Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zu, da nicht Arbeitseinkommen, sondern Kapitalvermögen von der Sicherheitsleistung erfaßt sei.

Der Antragsteller hat gegen den Gerichtsbescheid Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt und unter Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Gewährung von PKH beantragt. Dieser Antrag wurde vom FG zurückgewiesen. Das FG halte an den Rechtsausführungen in den Entscheidungsgründen des Gerichtsbescheides fest. Es sei nicht zu erwarten, daß aufgrund der mündlichen Verhandlung ein abweichendes Urteil ergehen werde, zumal der Antragsteller Einwände gegen die Begründung des Gerichtsbescheides nicht erhoben habe. Im übrigen könne ein flüchtiger Verfahrensbeteiligter nicht vom "sicheren Port" aus seine Prozesse im Inland unter Inanspruchnahme von PKH führen. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) in einer bereits gegen den Antragsteller ergangenen Beschwerdeentscheidung vom 7. Februar 1996 IV B 63/95 (BFH/NV 1996, 704) festgestellt habe, werde der Antragsteller durch die Versagung der PKH auch nicht in seiner Prozeßführung behindert.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde.

Zu ihrer Begründung trägt der Antragsteller im wesentlichen vor, er sei nicht flüchtig i. S. der Strafprozeßordnung. Er habe entsprechend seiner Lebensplanung seinen Wohnsitz in Spanien genommen. Er sei jedoch weiterhin in ... (Inland) als Anwalt zugelassen und jederzeit bereit, an dem gerichtlichen Verfahren aktiv mitzuwirken. Lediglich weil er zur Hauptverhandlung in dem Strafverfahren nicht habe erscheinen können, sei der Haftbefehl gegen ihn ergangen. Er habe im Strafverfahren mehrfach um Terminsanberaumung nachgesucht. Die Strafkammer habe dies -- wegen Arbeitsüberlastung und weil der Antragsteller nicht bereit war, das geforderte Geständnis abzulegen -- jedoch bisher verweigert. Der Antragsteller meint, das Strafverfahren werde wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung voraussichtlich am 10. Juni 1998 sein Ende finden. Das Strafverfahren dauere nun schon fast 15 Jahre und hätte ohnedies wegen überlanger Dauer nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) längst eingestellt werden müssen. Es wäre zudem unökonomisch, wenn er sich wegen der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vor dem FG dem Risiko der Untersuchungshaft aussetzen würde.

Die Bezugnahme des FG auf den Beschluß des BFH in BFH/NV 1996, 704 überzeuge nicht, da es in diesem Verfahren nicht um einen Prozeßkostenvorschuß im finanzgerichtlichen Verfahren, sondern um weitere Gebühren anläßlich einer Verhandlung gehe. Die kostengünstigste Lösung für alle wäre, einen PKH-Prüfungstermin abzuhalten, zu welchem -- bei freiem Geleit -- sein persönliches Erscheinen angeordnet würde.

Den Gerichtsbescheid hält der Antragsteller in einem Schreiben an das FG -- auf das er Bezug nimmt -- für unrichtig. Das FG habe die Gründe für eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht dargelegt. Daß es sich bei der beantragten Freigabe von Sicherheiten um eine Ermessensentscheidung des FA handeln solle, sei zweifelhaft. Die Belassung des Existenzminimums aus dem von der Notarin verwalteten Geld sei keine Frage des Ermessens, sondern ein Rechtsanspruch. Das FA habe auch kein Ermessen ausgeübt, sondern vielmehr die Darlegung des Antragstellers über seine wirtschaftlichen Verhältnisse angezweifelt. Dann hätte es jedoch Ermittlungen -- notfalls die Einvernahme des Antragstellers durch den dortigen Konsul -- veranlassen müssen. Eine Abwägung, ob das Sicherungsinteresse des FA gegenüber dem geltend gemachten Freigabebegehren überwöge, hätte das FA, das von einem unrichtigen Sachverhalt ausging, gar nicht anstellen können.

Die Pfändungsschutzbestimmungen müßten zumindest entsprechend angewendet werden. Danach gelte der Gedanke Schuldnerschutz vor Kahlpfändung, damit der Pfändungsschuldner nicht von der Sozialhilfe leben müsse. Auch sei die Rechtsprechung des BVerfG zum Besteuerungsverbot des Existenzminimums zu beachten. Der Antrag wäre auch unter den Gesichtspunkten der §§258 und 227 der Abgabenordnung (AO 1977) zu prüfen gewesen, deren Grundgedanke es sei, unbillige Maßnahmen gegenüber dem Steuerschuldner zu vermeiden. Zudem bestehe die Sicherheitsleistung für das FA schon über eine ungewöhnlich lange Zeit. Das FG habe in einer anderen Entscheidung selbst ausgeführt, es müsse wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit stets eine Überprüfung in zeitlicher Hinsicht stattfinden, wobei die Zeitdauer von sechs Jahren als angemessen angesehen werden könnte. Diese Zeit sei längst vorbei. Als er -- vor Jahren -- die Sicherheitsabrede mit dem Vorsteher des FA getroffen habe, sei er davon ausgegangen, daß er in absehbarer Zeit in die Bundesrepublik zurückkehren könne.

Seine wirtschaftliche Situation habe sich erheblich verschlechtert; Vermögen besitze er keines, Arbeit sei in Spanien für ihn nicht zu bekommen, eine Tätigkeit als Anwalt habe er -- mangels Mandanten -- nicht aufnehmen können, und er habe nicht einmal Sozialhilfeansprüche, lebe somit allein von der Unterstützung Dritter. Eine Klärung all dieser Fragen böte die mündliche Verhandlung, für welche er bereits bei der Strafkammer um freies Geleit angesucht und gegen den ablehnenden Beschluß Beschwerde eingereicht habe.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG aufzuheben und ihm PKH zu gewähren, auch in der Weise, daß der Senat bei der Strafkammer des Landgerichts einen Antrag auf freies Geleit stellt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Der Antragsteller gehört als noch in der Bundesrepublik zugelassener Rechtsanwalt zu dem nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vertretungsberechtigten Personenkreis. Damit kann er sämtliche Prozeßhandlungen im Inland wirksam für sich persönlich vornehmen (BFH-Beschluß in BFH/NV 1996, 704).

Der Senat läßt offen, ob die Bedürftigkeit i. S. der §§142 FGO i. V. m. 114 ZPO ausreichend nachprüfbar ist, denn das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers kann aus anderen Gründen keinen Erfolg haben.

Der Antragsteller begehrt die Gewährung von PKH vorrangig, um bei einer vom FG auf seinen Antrag gegen den Gerichtsbescheid anzuberaumenden mündlichen Verhandlung (anwaltlich) vertreten zu sein. Soweit er persönlich anwesend sein will, kann dem durch die Gewährung von PKH nicht genügt werden, da der Antragsteller darüber hinaus die Zusicherung freien Geleites begehrt. Diesem Begehren kann im PKH- Verfahren nicht entsprochen werden. Für die Zusage sicheren Geleites zur Teilnahme an einem Gerichtstermin ist allein das Gericht zuständig, vor dem die Hauptverhandlung im Strafverfahren stattfinden soll (Kleinknecht/Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, 43. Aufl., §295 Rz. 10). Der Antrag, der, außer von dem Antragsteller selbst, auch von einem anderen Prozeßgericht gestellt werden könnte (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 12. Juni 1991 4 BJs 42/89, 3 2 BGs 177/91, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 2500), setzt voraus, daß das FG die persönliche Anwesenheit des Klägers im Gerichtstermin für unerläßlich hält. Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr hält das FG eine mündliche Verhandlung für entbehrlich und hat aus diesem Grunde einen Gerichtsbescheid erlassen (§90 a Abs. 1 FGO).

Der Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten zur Wahrung des Termins zur mündlichen Verhandlung vor dem FG steht §142 FGO i. V. m. §121 Abs. 2 ZPO entgegen. Nach dieser Vorschrift ist in einem Verfahren, in dem kein Anwaltszwang besteht, einer Partei ein Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte nur beizuordnen, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Dabei muß ein sachliches und persönliches Bedürfnis nach anwaltlicher Unterstützung bestehen (vgl. BFH in BFH/NV 1996, 704; Zöller/Philippi, ZPO, 20. Aufl., §121 Rz. 4). Auch daran fehlt es im Streitfall. Der Antragsteller ist selbst Rechtsanwalt, der seine Interessen in geeigneter und sachkundiger Form in jeder Verfahrensstufe, mithin auch vor dem FG, vertreten kann. Er hat sich gegen den Gerichtsbescheid mit dem Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gewandt. Damit hat er sich -- wie schriftsätzlich geschehen -- rechtliches Gehör gegen den Gerichtsbescheid vor dem FG verschafft. Das FG hat seinerseits seiner Entscheidung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen (§96 Abs. 1 Satz 1 FGO) und im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht gemäß §76 FGO auch bei Abwesenheit des Klägers dessen schriftsätzliches Vorbringen gegen den Gerichtsbescheid im vollen Umfang zur Kenntnis zu nehmen und zu würdigen, wobei dem Beteiligten zu erkennbar werdenden neuen Umständen wiederum rechtliches Gehör einzuräumen ist. Damit ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör für einen im Ausland lebenden Beteiligten, der selbst Rechtsanwalt ist und aus in seiner Person liegenden Gründen an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen kann, hinreichend Genüge getan. Der Anspruch auf rechtliches Gehör -- ggf. in einer mündlichen Verhandlung -- schließt in einem gerichtlichen Verfahren nicht ein, daß dem Beteiligten das Gehör durch die Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten gewährleistet werden müßte. Die Beiordnung eines Bevollmächtigten ist nämlich nicht schon aus dem Gesichtspunkt erforderlich, daß die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich erörtert werden soll (§93 Abs. 1 FGO) und die Führung eines Rechtsgespräches vor dem Gericht wünschenswert wäre (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. August 1976 V C 46.75, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1977, 202).

Mithin erweist sich die angefochtene Vorentscheidung schon aus diesen Gründen im Ergebnis als zutreffend. Der Senat kann es deshalb dahinstehen lassen, ob das Klageverfahren auch Aussicht auf Erfolg hätte. Zu den Voraussetzungen einer Sicherheitsleistung verweist der Senat jedoch -- insoweit ohne Bindungswirkung -- u. a. auf die nachfolgenden Entscheidungen: BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 1996 V B 100/95 (BFH/NV 1996, 491, m. w. N.), vom 13. August 1991 VIII B 14/87 (BFH/NV 1992, 688, 689) und vom 22. Dezember 1969 V B 115--116/69 (BFHE 97, 240, BStBl II 1970, 127).

 

Fundstellen

Haufe-Index 302966

BFH/NV 1998, 1515

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