Leitsatz (amtlich)
1. Ist die von dem Kläger eingelegte Revision mangels einer Revisionsbegründung unzulässig, kann die Klage nicht mehr zurückgenommen werden. Das gleiche gilt, wenn das Rechtsschutzbedürfnis in der Revisionsinstanz zeitlich vor der Rücknahmeerklärung weggefallen ist.
2. Im Falle einer unzulässigen Revision tritt die Rechtskraft des angefochtenen Urteils nicht erst in dem Augenblick ein, in dem der Verwerfungsbeschluß formell rechtskräftig wird; dem Beschluß, durch den die Revision als unzulässig verworfen wird, kommt nur deklaratorische Wirkung zu.
Normenkette
FGO § 72 Abs. 1 S. 1, §§ 124, 126 Abs. 1, § 151 Abs. 2 S. 1; SGG § 169; VwGO §§ 143, 144 Abs. 1; ZPO §§ 554a, 705
Tatbestand
1. Das Verfahren I R 154/70 betrifft die gegen die Klägerin gerichteten Körperschaftsteuerbescheide 1957, 1958 und 1961. Das FG hat die Klage abgewiesen, soweit sie sich auf die Körperschaftsteuerbescheide 1957 und 1958 bezog, hingegen dem Antrag entsprochen, zu den jeweiligen Bilanzstichtagen der Jahre 1960 und 1961 Beträge nachzuaktivieren. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt. Die Frist zur Begründung der Revision ist mehrfach, zuletzt bis 31. Januar 1971, verlängert worden. Durch Verfügung des Vorsitzenden des Senats ist der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin auf den Ablauf der Begründungsfrist und die Möglichkeit hingewiesen worden, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist zu beantragen. Am 18. Februar 1971 hat die Klägerin erklären lassen, sie nehme die Klage zurück. Das beklagte FA hat der Klagerücknahme am 11. März 1971 zugestimmt.
2. Das Verfahren I R 127/70 bezieht sich auf das Urteil des FG III 35/69 vom 9. April 1970. Durch dieses Urteil wurde die Klage mit dem Antrag, "hinsichtlich der Körperschaftsteuerbescheide 1957 und 1958 die Aussetzung der Vollziehung bzw. Aufhebung der Vollziehung in Höhe von 42 855 DM anzuordnen", abgewiesen. Mit der ordnungsgemäß eingelegten und begründeten Revision verfolgt die Klägerin ihr bisheriges Begehren weiter. Am 4. März 1971 hat die Klägerin erklärt, sie nehme die Klage zurück. Das FA erklärte in dem am 16. März 1971 beim BFH eingegangenen Schriftsatz die Einwilligung zur Klagerücknahme.
3. Den Beteiligten ist Gelegenheit gegeben worden, sich zu der Frage zu äußern, ob im Verfahren I R 154/70 die Klagerücknahme wirksam erklärt werden konnte, obwohl innerhalb der mehrfach verlängerten Frist für die Begründung der Revision eine Revisionsbegründung (§ 120 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 FGO) nicht eingereicht worden sei. Der Senat müsse prüfen, ob die Unzulässigkeit der Revision eine wirksame Klagerücknahme gehindert habe. Für das Verfahren I R 127/70 wurde eine Äußerung darüber anheimgestellt, ob die dieses Verfahren betreffende Revision (Aussetzung der Vollziehung Körperschaftsteuer 1957 und 1958) infolge der Unzulässigkeit der Revision I R 154/70 (Verfahren betreffend Körperschaftsteuer 1957, 1958 und 1961) wegen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig geworden sei; falls diese Frage zu bejahen sein sollte, sei auch für das Verfahren I R 127/70 zu prüfen, ob die Klage nach Unzulässigwerden der Revision noch zurückgenommen werden konnte. Die Klägerin vertrat die Ansicht, die Entscheidung darüber, ob über einen Rechtsstreit entschieden werden solle, liege allein bei den Prozeßparteien. Solange das Verfahren anhängig sei, sei die Klagerücknahme zulässig, wenn der Beklagte zustimme. Der Beklagte hat sich nicht geäußert.
4. Der Senat hat beschlossen, die Revisionsverfahren I R 127/70 und I R 154/70 zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revisionen sind unzulässig. Die Erklärungen der Klägerin, sie nehme die Klagen zurück, sind wirkungslos, weil die Urteile des FG formell rechtskräftig geworden sind, bevor diese Erklärungen wirksam werden konnten.
1. § 72 Abs. 1 Satz 1 FGO läßt es bis zur Rechtskraft des Urteils zu, daß der Kläger seine Klage zurücknimmt. Abweichend von § 253 AO a. F. kann daher die Klage auch dann noch zurückgenommen werden, wenn das FG durch Urteil entschieden hat und dieses Urteil noch nicht formell rechtskräftig geworden ist. Die FGO enthält keine ausdrückliche Vorschrift, die den Eintritt der formellen Rechtskraft regelt. Soweit in den §§ 110, 111, 125, 151 Abs. 2 Nr. 1 FGO von rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen die Rede ist, wird der Begriff der formellen Rechtskraft vorausgesetzt.
Auf die formelle Rechtskraft bezieht sich § 705 ZPO. Diese Vorschrift gilt für das Recht der Zwangsvollstrekkung; sie bezieht sich auf den in § 704 Abs. 1 ZPO enthaltenen Satz, daß die Zwangsvollstreckung u. a. aus Endurteilen stattfindet, die rechtskräftig sind. § 705 ZPO gilt im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit für die Zwangsvollstreckung gegen den Bund, ein Land und die weiter dort bezeichneten Rechtsträger des öffentlichen Rechts aufgrund § 151 Abs. 1 FGO sinngemäß. Die Vorschrift gilt nicht für den Fall der durch § 150 FGO geregelten Vollstreckung zugunsten eines dieser Rechtsträger (vgl. auch §§ 167 Abs. 1, 169 VwGO, §§ 198 Abs. 1, 200 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Dies schließt es - ebenso wie für den Bereich der ZPO - nicht aus, die in § 705 ZPO enthaltenen Aussagen für die Lösung der Frage, wann die formelle Rechtskraft eintritt, zu berücksichtigen; diese Berücksichtigung ist für den Bereich der FGO geboten, weil § 705 ZPO für einen Teilbereich kraft ausdrücklicher Vorschrift sinngemäß gilt.
2. Es ist allgemein anerkannt, daß ein Urteil, gegen das ein Rechtsmittel nicht statthaft ist, mit der Verkündung oder mit der Zustellung rechtskräftig wird (vgl. statt vieler Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., § 151 II 1 a). Streitig ist hingegen (vgl. Niese, Juristenzeitung 1957 S. 73, 76 f.), in welchem Zeitpunkt die formelle Rechtskraft in den Fällen eintritt, in denen die Revision zwar an sich gegeben, aber als unzulässig zu verwerfen ist, weil die Streitwertgrenze nicht erreicht wird und die Revision weder zugelassen (§ 115 Abs. 1 FGO) noch ohne Zulassung die Revision gegeben ist (§ 116 FGO) oder weil das Rechtsmittel nicht form- oder fristgerecht begründet worden ist.
Einerseits wird angenommen, in Fällen dieser Art trete die formelle Rechtskraft des angefochtenen Urteils im Zeitpunkt der Rechtskraft der das Rechtsmittel verwerfenden Entscheidung ein (Urteil des RG III 900/22 vom 21. Dezember 1927, Seuffert's Archiv, Bd. 82 Nr. 72; Beschluß des BGH IV ZB 97/51 vom 8. Januar 1952, BGHZ 4, 294; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 88 I 2; Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., S. 549; Schneider, Zeitschrift für Zivilprozeß 1965 S. 475; Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 705 II 2 c; Thomas-Putzo, Zivilprozeßordnung, 4. Aufl., § 705 Anm. 3 c; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 2. Aufl., § 121 Anm. I; Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze [Handausgabe], 2. Aufl., § 705 Anm. B II - anders jedoch in Anm. B IV 3 c; Zeise, NJW 1952, 532). Soweit diese Meinung begründet wird, wird sie mit § 705 Satz 2 ZPO belegt.
Andererseits wird die Ansicht vertreten, in Fällen der dargelegten Art trete die Rechtskraft grundsätzlich mit Ablauf der Rechtsmittelfrist ein (Beschluß des OLG Kiel 1 U 251/31 vom 29. Februar 1932, Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht 1932 S. 1322; Beschluß des RG I 78/42 vom 5. Februar 1943, Deutsches Recht 1943 S. 619; Beschluß des Kammergerichts [West] 7 W 2003/51 vom 26. September 1951, Juristenzeitung 1952 S. 424; Beschluß des OLG Köln 9 W 36/64 vom 11. Mai 1964, Monatsschrift für Deutsches Recht 1964 S. 928; Nikisch, Zivilprozeßrecht, § 103 II 3 d; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, bis zur 9. Aufl., § 147 II 1; Rosenberg-Schwab, a. a. O., § 151 II 1; Seuffert-Walsmann, Zivilprozeßordnung, 12. Aufl., § 705, Anm. 3; Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, bis zur 18. Aufl., § 705 Anm. 2, § 519b III A). Diese Ansicht beruht im wesentlichen auf der Erwägung, daß die Verwerfungsentscheidung nur deklaratorisch sei; sie stelle nur fest, daß durch das unzulässige Rechtsmittel eine Hemmung der Rechtskraft gemäß § 705 Satz 2 ZPO in Wahrheit nicht eingetreten sei.
Abweichend hiervon mißt Bötticher, Juristenzeitung 1952 S. 426, der Verwerfungsentscheidung gestaltenden Charakter bei. Die eingelegte, als unzulässig befundene Berufung werde erst durch die Verwerfung radikal ausgemerzt; erst in dieser Ausmerzung liege der Grund dafür, daß die Rechtskraft so eintrete, als ob überhaupt keine Berufung eingelegt worden wäre, nämlich mit Ablauf der Berufungsfrist. Solange der Verwerfungsbeschluß noch nicht ergangen, das unzulässige Rechtsmittel nicht ausgemerzt sei, könne die Klage noch zurückgenommen werden.
3. Der Senat hält die Meinung für richtig, die den das Rechtsmittel verwerfenden Beschluß nur als Rechtsfolge der Feststellung der bestehenden Rechtslage sieht, die also diesem Beschluß nur deklaratorische Bedeutung zumißt (Beschluß des OLG Kiel 1 U 251/31, a. a. O.; Beschluß des RG I 78/42, a. a. O.; Beschluß des Kammergerichts [West] 7 W 2003/51, a. a. O., und Beschluß des OLG Köln 9 W 36/64, a. a. O.). Demnach tritt im Falle nicht in gehöriger Form und Frist eingelegter Revision die Rechtskraft mit dem Ablauf der Revisionsfrist ein. Ob der Ablauf der Revisionsfrist auch im Fall verspätet oder nicht eingereichter oder nicht gehöriger Begründung oder wenn das Rechtsschutzinteresse nach ordnungsgemäß eingelegter und begründeter Revision weggefallen ist, ebenfalls maßgebend ist, ob nicht in einem solchen Falle der Zeitpunkt für den Eintritt der formellen Rechtskraft des angefochtenen Urteils maßgebend ist, in dem (nach Ablauf der Revisionsfrist) das Ereignis unterbleibt oder eintritt, dessen Vorhandensein oder Fehlen die Unzulässigkeit der Revision bewirkt, kann hier dahingestellt bleiben.
§ 126 Abs. 1 FGO schreibt vor, daß die Revision zu verwerfen ist, wenn sie unzulässig ist. Gemäß § 124 FGO ist die Revision unzulässig, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt oder begründet worden ist. Es ist allgemein anerkannt, daß die Aufzählung der Zulässigkeitserfordernisse nicht erschöpfend ist (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2.-4. Aufl., § 124 FGO, Rdnr. 2; für die ZPO: Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 30. Aufl., § 554 a, Anm. 1, § 519 b, Anm. 1 B). Die Verwerfung ist die Folge der Feststellung des für den Verwerfungsbeschluß berufenen Gerichts, daß eine der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Revision fehlt.
a) Die Befugnis des Revisionsgerichts, die angefochtene Entscheidung im Rahmen der durch §§ 118, 120 Abs. 2 Satz 2 FGO gesteckten Grenzen auf ihre Vereinbarkeit mit formellem und materiellem Recht zu prüfen, ist daran geknüpft, daß alle Zulässigkeitsbedingungen für die Revision erfüllt sind. Wird eine dieser Voraussetzungen in der nach Revisionsrecht maßgebenden Form und Frist nicht erfüllt oder fällt z. B. das Rechtsschutzbedürfnis nachträglich weg, so mangelt es an der Prüfungsbefugnis des Revisionsgerichts von dem Zeitpunkt an, in dem die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht gebotenermaßen erfüllt sind oder eine dieser Voraussetzungen nachträglich unheilbar weggefallen ist.
b) Der Ausschluß der Befugnis, das angefochtene Urteil revisionsgerichtlich nachzuprüfen, bewirkt dessen Unabänderbarkeit durch eine höhere Instanz. Diese Art der Unabänderbarkeit wird als formelle Rechtskraft bezeichnet (statt vieler Baumbach-Lauterbach, a. a. O., einführung zu §§ 322-327, Anm. 1 A; Rosenberg-Schwab, a. a. O., § 150, 1). Zur formellen Rechtskraft erklärt § 705 Satz 1 ZPO, daß die Rechtskraft vor Ablauf der für die Einlegung des zulässigen Rechtsmittels bestimmten Frist nicht eintritt. Satz 2 dieser Vorschrift bestimmt, daß der Eintritt der Rechtskraft durch rechtzeitige Einlegung des Rechtsmittels gehemmt wird.
Diese Vorschrift schließt es nicht aus, daß die Rechtskraft des angefochtenen Urteils im Falle einer unzulässigen Revision im Zeitpunkt des Ablaufs der Rechtsmittelfrist oder zu einem späteren Zeitpunkt eintritt. Sie ist ihrer Funktion nach in erster Linie auf die an die Rechtskraft anknüpfende endgültige Vollstreckbarkeit des Urteils bezogen; dies beweist ihr Standort am Anfang des Achten Buches der Zivilprozeßordnung (Bötticher, Juristenzeitung 1952 S. 426). Solange nicht geklärt ist, ob das Urteil durch die übergeordnete Instanz geprüft werden kann, soll die Vollstreckung aus dem Urteil nicht möglich sein (§§ 704 Abs. 1, 705 Satz 2 ZPO). Der Zweck der zum Zwangsvollstreckungsrecht ergangenen Vorschrift schließt es jedoch nicht aus, an eine Entscheidung, die das Rechtsmittel verwirft, weil es unzulässig ist, die Folge zu knüpfen, daß die für Zwecke der Zwangsvollstrekkung formal an die rechtzeitige Einlegung des vom Gesetz gegebenen Rechtsmittels geknüpfte Hemmung der Rechtskraft in Wahrheit nicht eingetreten ist (Beschluß des OLG Köln, 9 W 36/64, a. a. O.).
Der Zeitpunkt der Verwerfung des Rechtsmittels ist für den Eintritt der Rechtskraft nicht entscheidend. Die Verwerfung merzt nicht das als unzulässig befundene Rechtsmittel aus, wie Bötticher (a. a. O.) annimmt; sie befindet über ein Rechtsmittel, das nicht zulässig war (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO; § 169 SGG, §§ 346 Abs. 1, 349 Abs. 1 StPO; §§ 143, 144 Abs. 1 VwGO; § 554a ZPO). Die vom Revisionsgericht festgestellte Unzulässigkeit bestand schon in dem Zeitpunkt, in dem eine oder mehrere Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision fehlten; von diesem Zeitpunkt an war die Befugnis des Revisionsgerichts ausgeschlossen, das angefochtene Urteil mit dem von dem Revisionskläger verfolgten Ziel aufzuheben oder abzuändern. Dies rechtfertigt es, mit den Entscheidungen des RG I 78/42, a. a. O., und des OLG Köln 9 W 36/64, a. a. O., dem das Rechtsmittel als unzulässig verwerfenden Beschluß nur deklaratorischen Charakter beizumessen; in diesem Falle stellt sich nachträglich heraus, daß die Hemmung des Eintritts der Rechtskraft in Wahrheit nicht eingetreten ist.
Dafür spricht auch folgende Erwägung, für die es nicht darauf ankommt, ob man den Begriff der Statthaftigkeit der Revision in einem engeren oder in einem weiteren Sinne (vgl. hierzu Rönitz, BB 1968, 624 mit Nachweisen) auffaßt. Nach durchaus herrschender Meinung werden Urteile, gegen die ein Rechtsmittel nicht statthaft, d. h. an sich nicht gegeben ist, mit Verkündung oder mit der Zustellung rechtskräftig; diese Meinung wird durch einen Umkehrschluß aus § 705 Satz 1 ZPO gerechtfertigt. Demzufolge tritt die Rechtskraft eines Urteils, gegen das die Revision nicht gegeben ist, weil sie, wie z. B. im Falle der einstweiligen Anordnung, ausgeschlossen (§§ 114 Abs. 4, 117 FGO) ist, im Zeitpunkt der Zustellung ein. Im Falle des dem Gericht gegenüber erklärten Rechtsmittelverzichts durch beide Parteien nach Verkündung und Zustellung des Urteils - jedoch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist - wird das Urteil im Zeitpunkt des Eingangs der letzten Verzichterklärung bei Gericht als rechtskräftig angesehen (vgl. Beschluß des BGH IV ZB 30/54 vom 15. Juni 1954, Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Nr. 5 zu § 514 ZPO); die gleichwohl eingelegte Revision ist unzulässig. Andererseits ergibt § 705 ZPO, daß eine nach Ablauf der Revisionsfrist eingelegte, an sich gegebene Revision den Eintritt der Rechtskraft nicht hemmen soll, das angefochtene Urteil also mit Ablauf der Rechtsmittelfrist rechtskräftig geworden ist. In allen diesen Fällen kann der Beschluß, durch den eine gleichwohl eingelegte Revision als unzulässig verworfen wird, nur deklaratorische Wirkung haben. Die Rechtskraft des jeweils angefochtenen Urteils ist zeitlich vor diesem Beschluß nach Maßgabe des die Unzulässigkeit jedes dieser Rechtsmittel bedingenden Umstandes eingetreten. Dem jeweiligen Verwerfungsbeschluß liegt die Erkenntnis zugrunde, daß die Revision nicht statthaft, infolge des Rechtsmittelverzichts nicht mehr zulässig oder wegen Fristversäumung unzulässig ist. Es ist nun kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, im Falle nicht gegebener oder wegen beiderseitigen Rechtsmittelverzichts oder Fristablaufs unzulässiger Revision die gerichtliche Entscheidung über die Unzulässigkeit des Rechtsmittels als deklaratorisch anzusehen, jedoch in anderen Fällen, z. B. den hier vorliegenden, nicht. Auch in diesen Fällen bewirkt der die Unzulässigkeit der Revision unheilbar bedingende Umstand den Eintritt der Unabänderbarkeit durch die höhere Instanz, die formelle Rechtskraft.
c) Für die hier vertretene Auffassung spricht auch die zur Erledigung der Hauptsache bei beiderseitiger Erledigungserklärung vertretene Ansicht. Danach sind nach unzulässigem Rechtsmittel die übereinstimmenden Erledigungserklärungen ohne Wirkung; das Rechtsmittel muß als unzulässig verworfen werden (Beschluß des BGH AnwZ (B) 9/67 vom 27. Mai 1968, BGHZ 50, 197 [198]; Beschluß des BVerwG VIII C 219/67 vom 30. Oktober 1969, NJW 1970, 722, HFR 1970, 249, für den Fall einseitiger Erledigungserklärung; Beschluß des BFH VII B 137/69 vom 26. Januar 1971, BFH 101, 209, BStBl II 1971, 306). Die den Beschluß des BVerwG VIII C 219/67 rechtfertigende Ansicht, daß "im Falle einer unzulässigen Revision … der Streitgegenstand nicht an das Revisionsgericht gebracht" werden kann, besagt letztlich nichts anderes, als daß die Hauptsache nicht für erledigt erklärt werden kann, weil dem Revisionsgericht die Prüfungsbefugnis im Hinblick auf das angefochtene Urteil von vornherein fehlte, dieses Urteil im Instanzenzug unabänderbar, also formell rechtskräftig geworden ist.
4. Im Beschluß IV ZB 97/51, a. a. O., hat der BGH ausgesprochen, daß Urteile der OLGe in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten, auch wenn die Revision nicht zugelassen ist, erst rechtskräftig werden, wenn die Rechtsmittelfrist abgelaufen ist, ohne daß Revision eingelegt wurde, oder das Revisionsgericht eine eingelegte Revision als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen hat. Die Entscheidung des Senats ist mit der Rechtsauffassung des BGH, die Rechtskraft trete u. a. ein, wenn das Revisionsgericht eine eingelegte Revision als unzulässig verworfen hat, nicht zu vereinbaren. Gleichwohl bedarf es der Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (§ 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes) nicht. Die Entscheidung des BGH beruht nicht auf dieser Rechtsauffassung. In dem vom BGH entschiedenen Fall handelte es sich um die Erteilung eines Notfristzeugnisses (§ 706 Abs. 2 ZPO). Da das Urteil des OLG noch nicht zugestellt war, hatte die Frist zur Einlegung der Revision (§ 552 ZPO) noch nicht begonnen. Da die Revision mit Rücksicht auf § 547 ZPO (in der damals geltenden Fassung) statthaft war, konnte die Revision noch eingelegt werden.
5. Im Verfahren I R 154/70 ist die Revision unzulässig, weil die Klägerin innerhalb der bis zum 31. Januar 1971 verlängerten Revisionsbegründungsfrist die Revision nicht begründet hat (§ 124 FGO). Die Revision im Verfahren I R 127/70 ist fristgerecht in gehöriger Form eingelegt und begründet worden. Sie ist jedoch in dem Augenblick unzulässig geworden, in dem das Rechtsschutzbedürfnis für die von der Klägerin angestrengte Klage entfallen ist, das beklagte FA zu verpflichten, ihr die begehrte Aussetzung der Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1957 und 1958 zu gewähren. Das Rechtsschutzbedürfnis ist in dem Zeitpunkt weggefallen, von dem an eine sachliche Prüfung des zur Hauptsache ergangenen urteils des FG wegen der Unzulässigkeit der Revision I R 154/70 nicht mehr möglich war. Dies war der Fall, als die Klägerin die Revisionsbegründung bis zum Ablauf des 31. Januar 1971 nicht eingereicht hatte. Die Aussetzung der Vollziehung kommt nicht mehr in Betracht, wenn die Hauptsache nicht mehr zur Entscheidung des Gerichts kommen kann (Beschlüsse des BFH VI B 77/67 vom 12. Januar 1968, BFH 91, 219, BStBl II 1968, 278; II B 41/67 vom 14. Mai 1968, BFH 92, 179 [183], BStBl II 1968, 503). Mit Ablauf der mehrfach verlängerten Revisionsbegründungsfrist (31. Januar 1971) im Verfahren I R 154/70 war eine Entscheidung in der Sache selbst ausgeschlossen.
Die Klagerücknahmen sind beide wirkungslos, weil das jeweilige Urteil des FG rechtskräftig geworden war, bevor die betreffende Klagerücknahme hätte wirksam werden können. Für die vorliegende Entscheidung kann dabei dahingestellt bleiben, ob die Rechtskraft mit Ablauf der Revisionsfrist oder in dem Zeitpunkt eintritt, in dem der die Unzulässigkeit der Revision begründende Umstand relevant wird.
Im Verfahren I R 154/70 sind die Klagerücknahme nach Ablauf der Begründungsfrist am 18. Februar 1971 und die Einwilligung hierzu am 11. März 1971 erklärt worden. Im Verfahren I R 127/70 sind - nachdem das Rechtsschutzbedürfnis für die Rechtsverfolgung betreffend Aussetzung der Vollziehung mit Ablauf des 31. Januar 1971 entfallen war - die Erklärung der Klagerücknahme am 4. März 1971 und die Einwilligung hierzu am 16. März 1971 beim BFH eingegangen.
Fundstellen
Haufe-Index 412969 |
BStBl II 1971, 805 |