Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzungsfrist für den gesamten Anspruch des Steuergläubigers auf Nachzahlungszinsen bei wiederholter Änderung der Steuerfestsetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass bei einer wiederholten Änderung der Steuerfestsetzung die Festsetzungsfrist für den gesamten Anspruch des Steuergläubigers auf Nachzahlungszinsen nicht abläuft, solange noch eine, wenn auch nur punktuell wirkende Änderung der Steuerfestsetzung zulässig ist. Teile des Zinsanspruchs unterliegen daher keiner gesonderten Teilverjährung.
2. Eine Zurückverweisung an das FG ist auch im Beschwerdeverfahren betreffend die AdV zulässig.
Normenkette
AO § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 233a Abs. 4-5, § 239 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, S. 3; FGO §§ 132, 155; ZPO § 572 Abs. 3
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Entscheidung vom 20.02.2007; Aktenzeichen 14 V 3129/06 A(E)) |
Tatbestand
I. Streitig ist, ob ernstliche Zweifel an der Festsetzung von Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 1994 bestehen.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) setzte mit Zinsbescheid vom 31. Januar 2007 Nachzahlungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) in Höhe von 239 940 € fest. Hiermit änderte es den am 7. Dezember 2005 ergangenen Zinsbescheid, in dem unter Abänderung des Zinsbescheids vom 4. März 1998 Zinsen in Höhe von 202 169 € festgesetzt worden waren. Dem Erlass dieser Zinsbescheide liegt folgende Entwicklung zugrunde:
Mit Bescheid vom 26. September 1996 setzte das FA die Einkommensteuer 1994 in Höhe von 1 832 243 DM unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Zugleich setzte es Zinsen in Höhe von 22 755 DM fest. Am 31. Oktober 1996, 3. Dezember 1997, 19. Dezember 1997, 8. Januar 1998 und 4. März 1998 ergingen Steueränderungsbescheide. Auch die Zinsfestsetzungen wurden jeweils angepasst und mit der geänderten Einkommensteuerfestsetzung verbunden. Unter dem 17. Dezember 1999 erging ein weiterer Einkommensteueränderungsbescheid. Die gebotene Anpassung der Zinsfestsetzung unterblieb jedoch. Der Zinsbescheid vom 4. März 1998, mit dem Zinsen in Höhe von 28 051 DM festgesetzt wurden, blieb in der Folgezeit unverändert, obgleich das FA noch häufig die Festsetzung der Einkommensteuer korrigierte (Einkommensteueränderungsbescheide vom 24. Februar 2000, 17. August 2000, 27. November 2000, 23. Dezember 2002, 13. Januar 2003, 28. Oktober 2003, 6. November 2003).
Grund für die Vielzahl der Änderungen waren u.a. eine Steuerfahndungsprüfung, Änderungsanträge oder Einsprüche des Antragstellers und Beschwerdegegners (Antragsteller) sowie Korrekturen der Steuerfestsetzung gemäß § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG), §§ 173, 175 AO.
Erst die Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 6. November 2003 durch den gemäß § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG ergangenen Bescheid vom 24. Februar 2005 nahm das FA schließlich zum Anlass, die Zinsfestsetzung zu korrigieren. Mit Zinsbescheid vom 7. Dezember 2005 änderte es den Bescheid vom 4. März 1998 in der Weise ab, dass es einem ermittelten Zinsbetrag von 287 € (82 Monate x 0,5 % x 700 €; ausgehend von der mit Bescheid vom 6. November 2003 festgesetzten Einkommensteuer in Höhe von 2 928 558 DM und der mit Bescheid vom 24. Februar 2005 festgesetzten Einkommensteuer in Höhe von 2 929 241 DM) bisher festzusetzende, aber noch nicht festgesetzte Zinsen in Höhe von 201 882 € hinzurechnete.
Mit seinem rechtzeitig eingelegten Einspruch, über den das FA noch nicht entschieden hat, wandte sich der Antragsteller gegen die geänderte Zinsfestsetzung mit der Begründung, die einjährige Festsetzungsfrist sei bereits abgelaufen. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Zinsbescheids lehnte das FA ab.
Das daraufhin angerufene Finanzgericht (FG) gab dem Aussetzungsantrag im Wesentlichen statt. Es setzte die Vollziehung des zwischenzeitlich ergangenen Zinsänderungsbescheids vom 31. Januar 2007, mit dem Zinsen in Höhe von 239 940 € festgesetzt worden waren, in Höhe eines Teilbetrages von 224 075 € aus. Es vertrat die Auffassung, dass es ernstlich zweifelhaft sei, ob die Zinsfestsetzungsfrist für den gesamten Zinsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des Zinsänderungsbescheids vom 7. Dezember 2005 noch offen gewesen sei. Soweit im Zinsbescheid Zinsen zu den zwischen dem 17. Dezember 1999 und dem 13. Januar 2003 ergangenen Steuerbescheiden geltend gemacht worden seien, müsse die Rechtmäßigkeit der Festsetzung angezweifelt werden. Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1994 sei mit der Rücknahme eines Einspruchs zum 21. Oktober 2003 abgelaufen und der Nachprüfungsvorbehalt entfallen. Der Einkommensteueränderungsbescheid vom 28. Oktober 2003 sei damit zu einem Zeitpunkt ergangen, zu dem die Steuerfestsetzung nicht mehr insgesamt offen gewesen sei. Aus diesem Grunde sei auch keine Ablaufhemmung für die davor angefallenen Zinsen nach § 239 Abs. 1 Satz 3 AO eingetreten. Die Auffassung des FA, eine unterbliebene Zinsfestsetzung könne auch noch nach vielen Jahren nachgeholt werden, wenn es zu einer im Vorhinein nicht absehbaren Änderung der Steuerfestsetzung komme, lasse die einjährige Festsetzungsfrist leer laufen. Zudem sei der von § 239 AO bezweckte Gleichlauf von Steuerfestsetzung und Zinsfestsetzung gänzlich aufgegeben. Nach diesen Grundsätzen habe das FA den bereits mit Zinsbescheid vom 4. März 1998 festgesetzten Zinsen von 14 342,24 € weitere Zinsen in Höhe von 287 €, die sich aufgrund der Steuerfestsetzung vom 24. Februar 2005 im Vergleich zur Steuerfestsetzung vom 6. November 2003 ergaben, hinzurechnen dürfen. Daneben seien auch Zinsen in Höhe von 1 235 €, welche sich aufgrund des Unterschieds zwischen den Festsetzungen in den Steuerbescheiden vom 6. November 2003 und 28. Oktober 2003 ermittelten, zulässigerweise festsetzbar gewesen. Schließlich sei es auch zulässig gewesen, die auf den Unterschiedsbetrag zwischen den Steuerfestsetzungen vom 20. Dezember 2006 und 24. Februar 2005 entfallenden Zinsen geltend zu machen.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA weiterhin geltend, dass die Festsetzung der Zinsen innerhalb eines Jahres nach der Änderung der Steuerfestsetzung zulässig sei. Eine Beschränkung auf Teil-Zinsansprüche sei im Gesetz nicht vorgesehen. Die grundsätzlich bestehende Möglichkeit der Änderung der Steuerfestsetzung reiche aus, um den Ablauf der Zinsfestsetzungsfrist für die gesamten Zinsen zu hemmen. In der einschlägigen Regelung des § 239 Abs. 1 Satz 3 AO werde der Begriff "solange" verwandt, von "soweit" sei dort nicht die Rede. Zudem ordne die bei Änderungen der Steuerfestsetzung eingreifende Zinskorrekturvorschrift des § 233a Abs. 5 AO nach ihrem Wortlaut die Hinzurechnung der festzusetzenden --und nicht der festgesetzten-- Zinsen an. Schließlich sei die Grundannahme des FG, wonach die Frist zur Festsetzung der Einkommensteuer im Oktober 2003 abgelaufen sei, nicht zutreffend. Vielmehr sei der Eintritt der Festsetzungsverjährung durch Änderungsanträge oder Einsprüche des Antragstellers insgesamt gehemmt gewesen. In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf das Schreiben des Antragstellers vom 2. August 2001 hinzuweisen, mit dem die nachträgliche Berücksichtigung zusätzlicher Kapitaleinkünfte beantragt worden sei. Damit sei eine durchgehende Ablaufhemmung ausgelöst worden.
Das FA beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und den Antrag auf AdV als unbegründet abzulehnen.
Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und die Vollziehung des Zinsbescheids vom 31. Januar 2007 aufzuheben.
Es könne zu der vom FG angenommenen Teilverjährung von Zinsansprüchen kommen. § 239 Abs. 1 Satz 3 AO sei systematisch im Sinne einer "soweit"-Einschränkung zu reduzieren. Der Wille des Gesetzgebers gehe nicht dahin, etwaige Unterlassungen der Finanzverwaltung bei der Zinsfestsetzung nach Eintritt der Verjährung der Steuerfestsetzung als korrigierbar anzusehen. Es dürfe nicht vom Zufall abhängen --Änderungen nach § 10d EStG oder nach § 175 AO seien wohl kaum vorhersehbar--, ob das FA für bestandskräftig gewordene Zeiträume nachträglich Zinsen festsetzen könne. Die sich aus § 233a Abs. 5 AO ergebende Berechnungsmethodik stehe dem nicht entgegen. Soweit die Zinsfestsetzung nicht verjährt sei, könnten noch nicht festgesetzte Zinsen einbezogen werden. Den Ausführungen des FG zur Festsetzungsverjährung der Einkommensteuer sei beizupflichten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das FG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zinsbescheids unter dem Gesichtspunkt der Festsetzungsverjährung bejaht. Ob derartige Zweifel im Hinblick auf die Berechnung der Höhe der Zinsen bestehen, wird das FG nach Zurückverweisung der Sache noch zu prüfen haben.
Nach § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht auf Antrag des Steuerpflichtigen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Derartige Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts erkennbar werden, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechts- oder Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. Februar 2006 VIII B 107/04, BFHE 212, 285, BStBl II 2006, 523, m.w.N.).
1. Nach diesem Maßstab bestehen nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel daran, dass im Streitfall die Festsetzung des gesamten Zinsanspruchs innerhalb offener Festsetzungsfrist erfolgte.
Auf die Festsetzung der Zinsen sind die für die Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Das bedeutet, dass eine Festsetzung von Zinsen oder eine Änderung der Zinsfestsetzung nach Ablauf der einjährigen Zinsfestsetzungsfrist nicht zulässig ist (§ 239 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist beginnt in den Fällen des § 233a AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer festgesetzt, aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt worden ist (Anlaufhemmung, so § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO). Die Festsetzungsfrist läuft nicht ab, solange die Steuerfestsetzung, ihre Aufhebung, ihre Änderung oder ihre Berichtigung nach § 129 AO noch zulässig ist (Ablaufhemmung, so § 239 Abs. 1 Satz 3 AO).
Das FA versteht insbesondere die letztgenannte Regelung so, dass die Festsetzungsfrist für den gesamten Zinsanspruch nicht abläuft, solange noch eine, wenn auch nur punktuell wirkende Änderung der Steuerfestsetzung zulässig ist. Die Änderung der Steuerfestsetzung mit Bescheid vom 24. Februar 2005 löste damit die einjährige Zinsfestsetzungsfrist des § 239 Abs. 1 Satz 1 AO aus. Der Zinsbescheid vom 7. Dezember 2005 erging damit zulässigerweise in der Phase der Anlaufhemmung.
Mit diesem rechtlichen Ansatz befindet sich das FA in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Meinung im Fachschrifttum (Baum in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 239 Rz 9; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordung, § 239 AO Rz 5; Schwarz in Schwarz, AO, § 239 Rz 4a; Pahlke/Koenig/ Koenig, Abgabenordnung § 239 Rz 8; Wagner in: Kühn/ v.Wedelstädt, 18. Aufl., AO, § 239 Rz 4; wohl anderer Ansicht Hahn, Vollverzinsung, 1988, S. 36). Bei summarischer Prüfung sind hinreichend gewichtige Gründe, die diese rechtliche Beurteilung als unsicher oder unklar erscheinen lassen könnten, weder dem angegriffenen Beschluss zu entnehmen noch sonst ersichtlich.
a) Der Wortlaut des § 239 AO gilt als missraten (vgl. Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 239 AO Rz 5; Wagner in: Kühn/ v.Wedelstädt, a.a.O., § 239 Rz 4; Schwarz in Schwarz, a.a.O., § 239 Rz 4a; Heuermann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler --HHSp--, § 239 AO Rz 10 Fn 2), insbesondere das Verhältnis zwischen Anlaufhemmung und Ablaufhemmung bei wiederholter Änderung des Steuerbescheids gibt zu Zweifeln Anlass. Es fragt sich, ob bei vielfachen --sich ggf. über viele Jahre erstreckenden-- Änderungen der Steuerfestsetzung jeweils am Ende des Kalenderjahres, in dem die jeweilige Änderung stattfand, eine neue Jahresfrist für die Zinsfestsetzung zu laufen beginnt und wann diese --ggf. vielen-- Jahresfristen schlussendlich gemäß § 239 Abs. 1 Satz 3 AO ablaufen (zu dieser Deutungsmöglichkeit vgl. Wagner in: Kühn/v.Wedelstädt, a.a.O., § 239 Rz 4). Die diesbezüglich in der Tat gegebenen rechtlichen Unsicherheiten haften jedoch den Lösungsansätzen des FG wie des FA an und sind für die streitentscheidende Frage daher nicht rechtserheblich. Denn Dreh- und Angelpunkt der rechtlichen Beurteilung ist allein, ob sich die Regelungen der Anlauf- und der Ablaufhemmung stets auf den gesamten Zinsanspruch beziehen oder auf Teile dieses Zinsanspruchs mit der Folge der gesonderten Verjährung des Teilanspruchs. Das FG vertritt ersichtlich diesen Gedanken der Teilverjährung. Es geht dem Grunde nach davon aus, dass für Teile des Zinsanspruchs jeweils gesonderte Festsetzungsfristen an- und ablaufen können. Gegebenenfalls sind nach Durchführung einer punktuellen Änderung der Steuerfestsetzung nur noch die auf die Mehr-Steuern entfallenden Mehr-Zinsen zulässigerweise festsetzbar. Auf früher festgesetzte Steuerteilbeträge entfallende Zinsen, die über viele Jahre hinweg nicht in einem Zinsbescheid erfasst wurden, können dagegen wegen Ablauf der Verjährung nicht mehr festgesetzt werden.
Indes steht bereits der Wortlaut des § 239 AO der Auffassung, bei Zinsen gemäß § 233a AO könne eine Teilverjährung im vorstehend beschriebenen Sinne eintreten, entgegen. Die AO bringt den ihr durchaus geläufigen Gedanken der Teilverjährung üblicherweise deutlich im Wortlaut einzelner Bestimmungen mit Begriffen wie "soweit" oder "insoweit" zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang ist auf Regelungen wie § 169 Abs. 2 Satz 2, § 171 Abs. 3 und Abs. 10 AO zu verweisen. Das FA weist zu Recht darauf hin, dass in § 239 Abs. 1 Satz 3 AO nur von "solange", nicht aber von "soweit" die Rede ist.
b) Auch der Zweck der in § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Satz 3 AO enthaltenen Anlauf- und Ablaufhemmung und ihr systematischer Zusammenhang mit der Zinskorrekturvorschrift des § 233a Abs. 5 AO sprechen gegen die Möglichkeit einer Teilverjährung.
Der Zweck der in § 239 AO enthaltenen Verjährungsregelungen besteht darin, die Korrekturvorschrift des § 233a Abs. 5 AO, wonach bei jeder Änderung der Steuerfestsetzung eine Änderung der Zinsfestsetzung zu erfolgen hat, verjährungsrechtlich abzusichern. Die Anpassung der Zinsen an den Umfang der zu verzinsenden Hauptforderung soll nicht daran scheitern, dass die Festsetzungsfrist für die Steuer regelmäßig vier Jahre, die für die Zinsen aber nur ein Jahr beträgt (vgl. Entwurf eines Steuerreformgesetzes 1990 vom 19. April 1988, BTDrucks 11/2157, S. 197). Vor diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund kann durchaus mit dem FG davon gesprochen werden, dass das Gesetz mit § 233a Abs. 5, § 239 Abs. 1 Satz 3 AO den verjährungsrechtlichen und materiell-rechtlichen Gleichlauf von Einkommensteuerfestsetzung und Zinsfestsetzung erreichen will (vgl. auch Baum in Koch/Scholtz, a.a.O., § 239 Rz 9/1). Nur sind diesem Gleichlaufgedanken nicht notwendigerweise die vom FG gezogenen Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Teilverjährung des Zinsanspruchs zu entnehmen. Diesem Gleichlauf wird gerade auch dadurch gedient, dass die Zinsen solange festsetzbar sind, bis die Frist für die zulässigerweise bereits festgesetzte Steuer noch nicht insgesamt abgelaufen ist (vgl. hierzu die nachfolgenden Ausführungen unter II.1.c der Gründe dieses Beschlusses). Der Gleichlaufgedanke entwertet zudem das vom FG zur Unterstützung seiner Rechtsauffassung herangezogene Argument, die kurze Einjahresfrist zur Festsetzung der Zinsen dürfe nicht vollkommen leer laufen. Denn mit der vom Gesetzgeber in § 239 Abs. 1 Satz 3 AO ausschließlich für die Zinsen gemäß § 233a AO angeordneten Ablaufhemmung, die den verjährungsrechtlichen Gleichlauf bewirkt, wird die Geltung der Einjahresfrist für die Nachzahlungszinsen --nicht aber für andere Zinsen-- faktisch suspendiert. Auch das FG geht ersichtlich davon aus, dass die vollen Zinsen jedenfalls solange festsetzbar sind, als bei der Einkommensteuer nicht im Großen und Ganzen Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
c) Unter dem Gesichtspunkt der systematischen Auslegung des Gesetzes bestätigen die Parallelen zwischen den Regelungskonzepten der §§ 233a Abs. 5, 239 Abs. 1 Satz 3 AO einerseits und der §§ 171 Abs. 10, 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO andererseits das Ergebnis der Wortlautinterpretation des § 239 AO.
aa) Nach der Rechtsprechung des BFH ist der Bindungswirkung des Grundlagenbescheids für den Folgebescheid unbedingte Geltung zu verschaffen. Wird etwa ein Grundlagenbescheid im Festsetzungsverfahren des Folgebescheids übersehen oder sonst unzutreffend im Folgebescheid ausgewertet, so gebietet die absolute Anpassungsverpflichtung, die Folgen der Versäumnisse bei Erlass eines geänderten Grundlagenbescheids vollständig zu beseitigen. Weil der geänderte Grundlagenbescheid die Suspendierung des früheren Grundlagenbescheids bewirkt, ist der Inhalt des geänderten Grundlagenbescheids der alleinige Maßstab für die Anpassung des Folgebescheids. Der Umfang der Änderung des Folgebescheids bestimmt sich also nicht nach dem Verhältnis der Änderung des Grundlagenbescheids zum vorausgegangenen Grundlagenbescheid (BFH-Urteil vom 29. Juni 2005 X R 31/04, BFH/NV 2005, 1749, m.w.N.).
In verjährungsrechtlicher Hinsicht ist festzuhalten, dass einer weiteren Änderung des Folgebescheids als Folge der Änderung des unzutreffend ausgewerteten Grundlagenbescheids keine Teilverjährung im Umfang der Bindungswirkung des zunächst nicht richtig ausgewerteten --ersten-- Grundlagenbescheids entgegensteht. Denn § 171 Abs. 10 AO bewirkt in seiner Funktion als verjährungsrechtliche Ergänzung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (BFH-Urteile vom 12. August 1987 II R 202/84, BFHE 150, 319, BStBl II 1988, 318; vom 4. November 1992 XI R 32/91, BFHE 170, 291, BStBl II 1993, 425), dass der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer insoweit gehemmt ist, als die Folgesteuer auf einem Grundlagenbescheid beruht oder beruhen kann. § 171 Abs. 10 AO führt also nicht dazu, dass eine zunächst abgelaufene Festsetzungsfrist durch den Erlass von Grundlagenbescheiden im Umfang der von diesen ausgehenden Bindungswirkung stets wieder erneut in Lauf gesetzt würde. Solange und soweit in offener Feststellungsfrist ein Grundlagenbescheid, der für die Festsetzung der Steuer bindend ist, noch zulässig ergehen kann, ist der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer im Ausmaß der Bindungswirkung dieses Grundlagenbescheids gehemmt und wird diese Bindung durch § 171 Abs. 10 AO auf die Frist von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids ausgedehnt (BFH-Urteile in BFHE 150, 319, BStBl II 1988, 318, und in BFH/NV 2005, 1749). Ergeht also zulässigerweise ein geänderter Grundlagenbescheid, weil die Feststellungsfrist insgesamt oder jedenfalls punktuell noch offen war, dann ist die Folgesteuer allein nach Maßgabe des gesamten Inhalts des geänderten Grundlagenbescheids unter "Bereinigung" früherer Auswertungsfehler zu ändern.
bb) Überträgt man diese Grundsätze auf den Streitfall, dann wird bei summarischer Prüfung deutlich, dass von einer Teilverjährung der Zinsen nicht auszugehen ist. Der Gesetzgeber will mit den §§ 233a Abs. 5, 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Satz 3 AO verjährungsrechtlich einen den §§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 171 Abs. 10 AO vergleichbaren Rechtszustand hergestellt wissen.
Einkommensteuerbescheid und Zinsbescheid stehen im Verhältnis von Grundlagenbescheid und Folgebescheid zueinander. Dies ergibt sich aus der akzessorischen Natur des Zinsanspruchs und der Regelung in § 233a Abs. 5 AO, die spezialgesetzlich die Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verdrängt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 31. März 1998 I S 8/97, BFH/NV 1998, 1318; vom 23. Dezember 2002 IV B 13/02, BFH/NV 2003, 737; BFH-Urteil vom 18. Mai 2005 VIII R 100/02, BFHE 210, 1, BStBl II 2005, 735; Kögel in Beermann/Gosch, § 233a AO Rz 119; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 233a Rz 41; Heuermann in HHSp, § 233a AO Rz 66; Baum in Koch/Scholtz, a.a.O., § 239 Rz 9/1).
Wird der Einkommensteuerbescheid (Grundlagenbescheid) geändert, dann ist die Zinsfestsetzung (Folgebescheid) zu ändern (§ 233a Abs. 5 Satz 1 AO). Maßgeblich für die Zinsfestsetzung sind nicht frühere Einkommensteuerbescheide (Grundlagenbescheide), sondern ausschließlich der jetzt bestehende Einkommensteueränderungsbescheid (geänderter Grundlagenbescheid). Versäumnisse bei der Auswertung des früheren Einkommensteuerbescheids (Grundlagenbescheid) im Verfahren der Zinsfestsetzung (Folgebescheid) sind auszugleichen. Dies ergibt sich aus der Regelung in § 233a Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 1 AO, wonach bei einer Änderung der Steuerfestsetzung den Zinsen auf den Unterschiedsbetrag zwischen festgesetzter und vorher festgesetzter Steuer die bisher festzusetzenden Zinsen hinzuzurechnen sind. Bei der Zinskorrektur nach § 233a Abs. 5 AO sind also die Zinsen, deren Festsetzung trotz entsprechender Steuerfestsetzung bislang versäumt wurde, einzubeziehen, damit der gesamte Zinsbetrag für diese Steuerart dieses Veranlagungszeitraumes (z.B. für eine weitere Änderung) als Sollbetrag festgesetzt wird (Schwarz in Schwarz, a.a.O., § 233a Rz 31). Aus der Tatsache, dass in einem Einkommensteueränderungsbescheid Mehr- oder Mindersteuern festgesetzt wurden, ohne zugleich die erforderlichen zinsrechtlichen Konsequenzen in einem geänderten Zinsbescheid zu ziehen, folgt danach nicht, dass die Mehr- oder Minderzinsen, deren Festsetzung bislang versäumt wurde, nicht bei einer späteren erneuten Änderung der Einkommensteuerfestsetzung erfasst werden dürfen.
Bei summarischer Prüfung ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Satz 3 AO die von § 233a Abs. 5 AO eingeräumten Korrekturmöglichkeiten verjährungsrechtlich ebenso absichern wollte wie er es mit § 171 Abs. 10 AO im Hinblick auf die Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO getan hat. Die Regelungskonzepte sind weitgehend identisch: Ergeht zulässigerweise ein Einkommensteueränderungsbescheid, weil die Steuerfestsetzungsfrist insgesamt oder punktuell noch nicht abgelaufen ist, dann ist im Ausmaß der Bindungswirkung des Einkommensteuerbescheids auch der Ablauf der Zinsfestsetzungsfrist durchgehend gehemmt. Es ist demnach nicht so, dass eine zunächst abgelaufene Zinsfestsetzungsfrist durch den Erlass von Einkommensteueränderungsbescheiden stets wieder erneut in Lauf gesetzt würde. Die durch Änderung der Steuerfestsetzung ausgelöste einjährige Zinsfestsetzungsfrist gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO stellt sich damit als eine Art Auswertungsfrist nach dem Vorbild der Auswertungsfrist des § 171 Abs. 10 AO dar, die durch eine Änderung des Grundlagenbescheids ausgelöst wird. § 239 Abs. 1 Satz 3 AO verknüpft die Zinsfestsetzungsfrist mit der Einkommensteuerfestsetzungsfrist auf dieselbe Weise wie § 171 Abs. 10 AO die Festsetzungsfrist für die Folgesteuer mit der Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid verklammert.
Im Unterschied zu den typischen Fällen des § 171 Abs. 10 AO besteht die Besonderheit bei der Zinsfestsetzung darin, dass es zu einer lediglich punktuellen Ablaufhemmung --"soweit" (vgl. § 171 Abs. 10 AO)-- für die Zinsfestsetzung nicht kommen kann. Denn die Bindungswirkung des Einkommensteuerbescheids in seiner Funktion als Grundlagenbescheid betrifft nicht einzelne Besteuerungsgrundlagen des Zinsbescheids (Folgebescheid), sondern sämtliche. Weil der Zinsbescheid in diesem Sinne vollständig von den Feststellungen im Steuerbescheid abhängt, kann keine Teilverjährung der Zinsen eintreten, solange die Steuerfestsetzung noch zulässigerweise geändert werden kann. Die Tür für die vom Antragsteller beanstandete Wiederaufrollung der gesamten Zinsfestsetzung aus Anlass der punktuellen Änderung der Steuerfestsetzung ist damit --im Unterschied zur Regelung in § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (hierzu vgl. BFH-Urteil vom 25. Juni 1991 IX R 57/88, BFHE 164, 502, BStBl II 1991, 821)-- geöffnet. Das Fehlen einer "soweit"-Einschränkung in § 239 Abs. 1 Satz 3 AO und der Wortlaut des § 233a Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 1 AO verdeutlichen diesen Unterschied.
cc) Vorliegend sind sämtliche Änderungen der Einkommensteuerfestsetzung unstreitig in zumindest punktuell offener Festsetzungsfrist erfolgt. Maßgeblich ist ohnehin nur die Tatsache, dass ein Änderungsbescheid ergangen ist. Ob dieser wegen Verjährung rechtswidrig war, kann im Verfahren gegen den Zinsbescheid nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 1749). Aus der letzten, allein maßgeblichen Änderungsfestsetzung mussten alle zinsrechtlichen Folgen gemäß § 233a Abs. 5 AO gezogen werden. Zur Anpassung der Zinsfestsetzung stand dem FA die Jahresfrist des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO beginnend mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Änderungsfestsetzung erfolgte, zur Verfügung. Solange die Frist zur Festsetzung der Einkommensteuer noch nicht insgesamt abgelaufen war, lief auch die einjährige Zinsfestsetzungsfrist gemäß § 239 Abs. 1 Satz 3 AO für den gesamten Zinsanspruch nicht ab.
d) Bei summarischer Prüfung können dem Zinsbescheid auch rechtsgrundsätzliche Erwägungen nicht erfolgversprechend entgegen gehalten werden. Dem Einwand, der Eintritt der Verjährung des Zinsanspruchs sei nach dem vom FA eingenommenen Rechtsstandpunkt überhaupt nicht absehbar, Rechtsfriede könne nicht eintreten, weil stets mit Änderungen der Steuerfestsetzung gemäß § 10d EStG oder gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 171 Abs. 10 EStG gerechnet werden müsse, ist entgegenzuhalten, dass auch ein ausschließlich oder überwiegend Beteiligungseinkünfte erzielender Steuerpflichtiger seine endgültige Steuerbelastung erst dann festzustellen vermag, wenn auch der letzte Gewinnfeststellungsbescheid nicht mehr geändert werden kann. Auch der Antragsteller bedurfte keines Vertrauensschutzes. Er wusste, dass ein als Grundlagenbescheid wirkender Einkommensteuerbescheid mit einer hohen Steuerfestsetzung ergangen war und er jederzeit mit der zinsrechtlichen Umsetzung des Steuerbescheids rechnen musste (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 1749). Dass sich der Antragsteller des besagten Zusammenhangs zwischen Steuerfestsetzung und Zinsfestsetzung durchaus bewusst war, illustriert sein Schreiben vom 29. November 2000. Er bat darin selbst um die Festsetzung von Zinsen, nachdem das FA die Steuerfestsetzung mit Bescheid vom 27. November 2000 zu seinen Gunsten geändert und er deshalb Erstattungszinsen zu erwarten hatte.
e) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit ergeben sich schließlich auch nicht daraus, dass das FA gegen das Verbindungsgebot des § 233a Abs. 4 AO verstoßen hat. Nach dieser Regelung soll die Zinsfestsetzung mit der Steuerfestsetzung verbunden werden. Die Nichtbeachtung des Verbindungsgebots führt jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit der Zinsfestsetzung (vgl. BFH-Urteil vom 10. Oktober 2001 XI R 41/00, BFHE 196, 408, BStBl II 2002, 124, zur vergleichbaren Vorschrift des § 152 Abs. 3 AO).
2. Der auf einer anderen Rechtsauffassung beruhende Beschluss des FG wird aufgehoben. Der Senat entscheidet nicht selbst über den Aussetzungsantrag, sondern verweist die Sache an das FG zurück. Eine Zurückverweisung ist auch im Beschwerdeverfahren betreffend die AdV zulässig. Die Befugnis zur Zurückverweisung der Sache ergibt sich aus den §§ 132, 155 FGO i.V.m. § 572 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (BFH-Beschlüsse vom 23. Juli 2002 X B 209/01, BFH/NV 2002, 1487, m.w.N.; vom 8. Juni 2007 VII B 280/06, BFH/NV 2007, 1822). Die Zurückverweisung erscheint im Streitfall deshalb zweckmäßig, weil das FG die Vollziehung des Zinsbescheids allein wegen der vermeintlichen Teilverjährung des Zinsanspruchs ausgesetzt und deshalb offengelassen hat, ob die komplizierte Berechnung der Höhe der Zinsen Fehler aufweist, die eine AdV rechtfertigen könnten. Da sich auch das Beteiligtenvorbringen bislang nur zur Frage der Teilverjährung verhielt, erscheint es sachgerecht (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 8. Juli 1980 VII B 18/80, BFHE 131, 12, BStBl II 1980, 657), dass das erstinstanzliche Gericht die Prüfung der Zinshöhe nachholt.
Fundstellen
Haufe-Index 2083025 |
BFH/NV 2009, 239 |
BStBl II 2009, 117 |
BFHE 222, 36 |