Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Sohnes als Scheingeschäftsführer des Vaters
Leitsatz (NV)
- Der Haftungstatbestand des § 69 AO kann auch durch einen "Scheingeschäftsführer" erfüllt werden (st.Rspr.).
- Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Geschäftsführers indiziert den Schuldvorwurf.
- Zu der Frage, wann außergewöhnliche Lebensumstände (z.B. familiäre Beziehungen zum Geschäftsherrn; Überforderung durch neue Rechtslage nach dem Beitritt der DDR) entschuldigen können.
- Es bleibt offen, ob einem Beteiligten, der es unterläßt, einen fristgebundenen Rechtsbehelf fristgerecht zu erheben, PKH für eine später mit Hilfe eines beigeordneten Prozeßvertreters erhobene Klage gewährt werden kann.
Normenkette
AO 1977 § 34 Abs. 1, § 69 S. 1, § 191; FGO §§ 60, 142; ZPO § 114
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) begehrt Prozeßkostenhilfe (PKH) für eine Klage, die er bei Gewährung von PKH unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Klagefrist gegen den vom Beklagten (Finanzamt --FA--) erlassenen Bescheid erheben möchte, mit dem er auf Haftung für rückständige Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer der X-GmbH) sowie Säumniszuschläge in Anspruch genommen worden ist.
Der in der ehemaligen DDR aufgewachsene und zunächst als ... berufstätige Antragsteller hatte die Leitung dieser Firma im ... 1989 übernommen, nachdem sein Vater, der das Geschäft bis dahin betrieben hatte, in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) geflohen war. Im ... 1990 kehrte der Vater des Antragstellers jedoch zurück und gründete zusammen mit seiner Ehefrau und dem Antragsteller die GmbH, deren Geschäftsführer er und der Antragsteller wurden. Für November 1993 einbehaltene Lohnsteuer ist von der GmbH nur teilweise an das FA abgeführt worden; für 1992 stellte das FA aufgrund einer Fahndungsprüfung erhebliche Mehrsteuern fest. Außerdem sind für mehrere Lohnsteuer-Monatsbeträge und Solidaritätszuschläge, die vom FA geschätzt werden mußten, Säumniszuschläge entstanden. Diese Forderungen sind nur teilweise beglichen worden. Im ... 1994 ist über das Vermögen der GmbH die Sequestration angeordnet und später das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden. Das FA hat deshalb den Antragsteller --neben seinem Vater, der inzwischen verstorben ist-- auf Haftung in Anspruch genommen. Der dagegen erhobene Einspruch des Antragstellers blieb --abgesehen von einer zwischenzeitlichen Verminderung der Haftungssumme aufgrund teilweiser Tilgung der Steuerrückstände-- ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat den PKH-Antrag des Antragstellers abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Beschwerde (§ 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist nicht begründet. Das FG hat dem Antragsteller zu Recht keine PKH für die von ihm beabsichtigte Klage gegen den Haftungsbescheid des FA gewährt.
§ 142 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung verlangt für die Gewährung von PKH u.a., daß die von dem Antragsteller beabsichtigte Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Daran fehlt es hier, wie das FG in seinem im Beschwerdeverfahren ergangenen Beschluß vom 4. Januar 1999 zutreffend dargelegt hat.
Nach § 69 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) haften u.a. die in § 34 AO 1977 bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht erfüllt werden. Der Antragsteller gehört zu den in § 34 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 bezeichneten Personen; denn er war als Geschäftsführer der GmbH deren gesetzlicher Vertreter. Er hatte daher nach § 34 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den Mitteln der GmbH pünktlich an das FA abgeführt werden. Der Antragsteller bestreitet selbst nicht, daß er dies nicht getan hat. Seine Auffassung, er sei von dieser Verpflichtung deshalb frei gewesen, weil die vorgenannten Vorschriften auf die "historisch einmalige Wiedervereinigungssituation" nicht angewandt werden könnten, vermag der beschließende Senat nicht zu teilen. Die AO 1977 ist im Beitrittsgebiet am 3. Oktober 1990 in Kraft getreten; der Einigungsvertrag enthält keine hier einschlägigen Maßgaben, welche die Geltung der AO 1977 mit Rücksicht auf die besondere Situation im Beitrittsgebiet einschränkten. Die in § 69 i.V.m. § 34 AO 1977 angeordnete Geschäftsführerhaftung im Beitrittsgebiet einzuschränken besteht auch kein Anlaß, weil der von dem Antragsteller befürchteten "Überforderung" von Bürgern der ehemaligen DDR, die sich nach der Wiedervereinigung unter der Geltung der bundesdeutschen Rechtsordnung zu Geschäftsführern einer GmbH haben bestellen lassen, in dem erforderlichen Umfang im Rahmen der von § 191 AO 1977 verlangten Ermessensausübung des FA begegnet werden kann, worauf noch zurückzukommen ist. Daß der Antragsteller nicht deshalb den Haftungstatbestand der vorgenannten Vorschrift nicht erfüllt hat, weil er angeblich lediglich "Scheingeschäftsführer" der GmbH war, hat der beschließende Senat in ständiger Rechtsprechung bereits entschieden (vgl. u.a. Beschluß vom 13. Februar 1996 VII B 245/95, BFH/NV 1996, 657).
Für die Erfüllung des Haftungstatbestandes fehlt es im Falle des Antragstellers auch nicht an dessen Verschulden. Die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Antragstellers indiziert den Schuldvorwurf (Beschluß des Senats vom 5. März 1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325). Die besonderen Umstände, unter denen der Antragsteller sein Geschäftsführeramt übernommen und ausgeführt hat, entschuldigen sein Verhalten jedenfalls in dem hier maßgeblichen Zeitraum des Jahres 1992 und 1993 nicht, wie bereits das FG zutreffend ausgeführt hat. Gerade wenn der Antragsteller es sich aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Kraftfahrer und der ihm deshalb fehlenden Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiete des --zudem "neuen" bundesdeutschen-- Steuerrechts oder wegen der übermächtigen Stellung seines Vaters in der GmbH nicht zugetraut haben sollte, für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH einzustehen, wäre von ihm zu erwarten gewesen, daß er die Stellung eines Geschäftsführers nicht übernimmt oder zumindest niederlegt, sobald er sein Unvermögen erkannte; dies zu prüfen hatte er --von der Summe nach unbedeutenden Säumniszuschlägen für 1991, derentwegen er in Anspruch genommen wird, abgesehen-- bis zu Beginn des Haftungszeitraums über ein Jahr Zeit. Wenn er gleichwohl das Geschäftsführeramt behielt, ohne sich offenbar über die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH Gedanken zu machen und irgendwelche Anstrengungen zu unternehmen, um sich über die ordnungsgemäße Abwicklung der steuerlichen Angelegenheiten der GmbH durch seinen Vater ins Bild zu setzen, so hat er i.S. des § 69 Satz 1 AO 1977 grob fahrlässig gehandelt. Daß er in der ehemaligen DDR aufgewachsen ist und deshalb mit dem übergeleiteten Recht der Bundesrepublik nicht vertraut gewesen sein mag, ändert daran nichts; es hinderte ihn weder daran, von einer Übernahme oder Beibehaltung des Amtes eines GmbH-Geschäftsführers abzusehen, noch entschuldigt es, daß er anscheinend nichts unternommen hat, um sich über die steuerrechtlichen Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers zu informieren, was von ihm jedoch zu verlangen war, wenn er sich --mag es auch nur seinem Vater zuliebe geschehen sein-- als Geschäftsführer einer GmbH wirtschaftlich betätigen wollte.
Der beschließende Senat hat allerdings in seinen Beschlüssen vom 5. März 1985 VII B 52/84, VII B 78/84 und VII B 45/84 (BFH/NV 1987, 459, 461, 462) aufgrund in den dort entschiedenen Streitfällen gegebener außergewöhnlicher Umstände, insbesondere wegen einer außergewöhnlichen Zwangslage, in der sich dort ein junger Geschäftsführer bei der Übernahme seines Amtes befunden hatte, ein Verschulden an der Verletzung steuerlicher Pflichten der GmbH für ausgeschlossen bzw. für zumindest fraglich und deshalb im Rahmen der Ermessensausübung nach § 191 AO 1977 prüfungsbedürftig gehalten.
Im Streitfall sind indes vergleichbare Lebensumstände des Antragstellers nicht erkennbar und auch nicht substantiiert geltend gemacht. Der Antragsteller war bei Übernahme des Geschäftsführeramtes und erst recht in dem Haftungszeitraum nicht --wie die Geschäftsführer in den vorgenannten Streitfällen-- aufgrund noch fast jugendlichen Lebensalters, einer außergewöhnlichen familiären Lebenssituation und wirtschaftlicher Abhängigkeit von seinem Vater diesem in einer Weise ausgeliefert, die es geboten erscheinen lassen könnte, seine Pflichtvergessenheit zu entschuldigen.
Die Lebenssituation des Antragstellers, die in den Ermessenserwägungen des FA allerdings kaum Niederschlag gefunden zu haben scheint, fällt schließlich gegenüber dem öffentlichen Interesse, rückständige Steuern notfalls im Wege der Haftungsinanspruchnahme nach §§ 191, 69, 34 AO 1977 zu realisieren, auch nicht so entscheidend ins Gewicht, daß die von dem Antragsteller angekündigte Klage gegen den Haftungsbescheid des FA unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ermessensunterschreitung erfolgversprechend erschiene (vgl. dazu im Beschluß des Senats in BFH/NV 1987, 459 a.E.).
Da eine Klage gegen den Haftungsbescheid des FA nach alledem aus materiell-rechtlichen Gründen keinen Erfolg verspräche, kann der beschließende Senat unerörtert lassen, ob einem Beteiligten, der es unterläßt, einen fristgebundenen Rechtsbehelf fristgerecht zu erheben, schon deshalb keine PKH gewährt werden kann, weil bei späterer Erhebung einer solchen Klage mit Hilfe eines sachkundigen, dem Betreffenden im PKH-Verfahren beigeordneten Prozeßvertreters Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Klagefrist (§ 60 FGO) ohnehin nicht gewährt werden könnte, oder ob in einem solchen Fall die Klagefrist unverschuldet versäumt wird, wenn von der Erhebung der Klage wegen des mit ihr möglicherweise verbundenen Prozeßkostenrisikos bis zur Entscheidung über den PKH-Antrag abgesehen wird (vgl. etwa Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 3. April 1987 VI B 150/85, BFHE 149, 409, BStBl II 1987, 473).
Fundstellen
Haufe-Index 422621 |
BFH/NV 2000, 303 |