Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Überraschungsentscheidung bei Hinweis in der mündlichen Verhandlung
Leitsatz (NV)
Eine zur Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führende Überraschungsentscheidung liegt nicht vor, wenn das FG in der mündlichen Verhandlung darauf hinweist, dass es den streitigen Auflösungsverlust in einem anderen Veranlagungszeitraum als verwirklicht ansieht.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3; EStG § 17 Abs. 4; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 26.04.2017; Aktenzeichen 3 K 1646/14) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. April 2017 3 K 1646/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Rz. 2
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht gegeben. Der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) gerügte Verfahrensfehler in Gestalt einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) liegt nicht vor.
Rz. 3
1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und --gegebenenfalls-- Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Finanzgericht (FG) sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht wird (vgl. u.a. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Februar 2017 IX B 2/17, BFH/NV 2017, 746, und vom 11. Mai 2017 IX B 23/17, BFH/NV 2017, 1059, jeweils unter II.1.a, m.w.N.).
Rz. 4
2. Daran gemessen liegt ein Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nicht vor.
Rz. 5
a) Die Frage, ob der von den Klägern geltend gemachte Verlust i.S. von § 17 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Jahr 2009 oder 2010 zu berücksichtigen ist, ist vom FG in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich angesprochen worden. Die Verhandlung ist zudem unterbrochen worden, um dem Prozessbevollmächtigten und dem anwesenden Kläger Zeit zu geben, die insoweit neue Prozesssituation zu überdenken und darauf zu reagieren. Das FG hat den streitigen Gesichtspunkt damit nicht erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht, sondern bereits in der mündlichen Verhandlung erörtert und auch Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Kläger mussten aus diesem Grund damit rechnen, dass das FG diesen Gesichtspunkt bei der Urteilsfindung entscheidungserheblich berücksichtigen würde.
Rz. 6
b) Auch hatten die rechtskundig vertretenen Kläger in der mündlichen Verhandlung hinreichend Gelegenheit, sich hierzu zu äußern. Den Klägern ist es möglich gewesen, zum Nachweis der von ihnen behaupteten Tatsache des Vorliegens einer tatsächlichen Verständigung Beweisanträge zu stellen oder im Hinblick auf die neue Prozesssituation und hinsichtlich der von ihnen behaupteten "fachliche Komplexität" des Verfahrens einen Antrag auf Vertagung (§ 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung --ZPO--) zu stellen oder eine Schriftsatzfrist (§ 155 FGO i.V.m. § 283 ZPO) zu beantragen (vgl. Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 93 Rz 3). Von diesem prozessualen Recht haben die Kläger ausweislich des insoweit maßgeblichen Sitzungsprotokolls (vgl. § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4, § 164 ZPO) keinen Gebrauch gemacht, sondern weiter zur Sache verhandelt und insbesondere einen Klageantrag gestellt. Die Kläger haben damit trotz des richterlichen Hinweises zum Jahr der Verlustberücksichtigung rügelos zur Sache verhandelt und damit ihr Rügerecht verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO; vgl. BFH-Beschlüsse vom 31. Juli 2014 III B 13/14, BFH/NV 2014, 1901, unter II.1.b; vom 23. Oktober 2015 IX B 92/15, BFH/NV 2016, 217, unter 1., und vom 20. Oktober 2016 VI R 27/15, BFHE 255, 529, unter III.3.a).
Rz. 7
c) Soweit die Kläger in ihrer Beschwerdebegründung behaupten, in der mündlichen Verhandlung auf eine Vertagung gedrängt zu haben, was aber nicht protokolliert worden sei, haben sie nicht vorgetragen, dass in der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Protokollierung eines entsprechenden Antrags verlangt und --im Falle der Weigerung des Gerichts, die Protokollierung vorzunehmen-- eine Protokollberichtigung beantragt worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 25. März 2013 IX B 180/12, BFH/NV 2013, 968, unter 1., m.w.N.).
Rz. 8
3. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 11398793 |
BFH/NV 2018, 217 |