Leitsatz (amtlich)
Die fehlende selbständige Nutzungsfähigkeit eines Gebäudes beeinträchtigt nicht seine Beurteilung als selbständiges körperliches Wirtschaftsgut i. S. des § 30 Abs. 2 UStG 1967, da das Merkmal der selbständigen Nutzungsfähigkeit nur im Rahmen des § 6 Abs. 2 EStG von Bedeutung ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 9. August 1973 V R 37/73, BFHE 110, 150, BStBl II 1973, 834).
Normenkette
UStG 1967 § 30
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) stellt Kunststoffenster her. Seine Betriebsanlage steht auf einem langgestreckten Grundstück, an dessen einer Schmalseite eine Straße und an dessen anderer ein nicht ausbaufähiger Feldweg vorbeiführen. Die Betriebsgebäude sind in vier voneinander unabhängigen Bauabschnitten, der Längsrichtung des Grundstücks folgend, entstanden. Ein zweigeschossiges Gebäude, das jetzt als Ausstellungsraum (Erdgeschoß) und als Büroraum (Obergeschoß) dient (Bauteil 1), wurde in den Jahren 1955/56 errichtet. Das Gebäude ist 25 m lang und 10 m breit; eine Schmalseite liegt an der Grundstücksgrenze zur Straßenseite. An die andere Schmalseite baute der Kläger im Jahre 1961 ein eingeschossiges Werkstattgebäude von 16 m Länge und 15 m Breite (Bauteil 2); hieran wurde - weiter in das Grundstück hineinragend - im Jahre 1966 eine Werkhalle von 15 m x 15 m (Bauteil 3) angebaut. Zuletzt baute der Kläger im Jahre 1971 an den Bauteil 3 eine Werkhalle von 15 m Breite und 40 m Länge (Bauteil 4), so daß alle vier Bauteile (auf der Nordseite) über eine einheitliche, in die Tiefe des Grundstücks reichende Fluchtlinie verfügen. Der Bauteil 4 ist - wie die drei übrigen Gebäudeteile - auf eigenen Fundamenten errichtet und in sich standfest (unbeschadet des Fehlens einer eigenen Mauer an der gemeinsamen Giebelfront zum Bauteil 3). Der Bauteil 4 ist in Stahlbeton-Skelettbauweise mit HBL 25-Ausmauerung hergestellt. Die die Bauteile 3 und 4 trennende Giebelwand des Bauteils 3 erhielt drei Durchbrüche in Türgröße sowie einen weiteren größeren Durchbruch zum Transport der Fertigteile. Die Außenverkleidung der Halle 4 besteht aus PVC.
Der Produktionsablauf beginnt in Halle 4 mit Zuschnitt, Fräsen, Verstärken, Schweißen, Dichten, Polieren, Ausschlagen und Beschlagmontage, führt dann durch einen der erwähnten Durchlasse nach Bauteil 3 und durch diesen durch eine weitere Öffnung nach Bauteil 2, wo sich Glaslager und Glaserei befinden. Nach dem Verglasen werden die Profilstücke nach Bauteil 3 ins Profillager zurückgebracht und hier durch die Versandabteilung versandfertig gemacht. Hier liegt auch der einzige Gebäudeausgang der Längsseite, während sich ein weiterer Ausgang in der straßenseitigen Schmalseite des Bauteils 1 befindet.
Die Wertverhältnisse der neuen Halle (Bauteil 4) und der Altbauten (Bauteile 1 bis 3) sind nach den Angaben des Bausachverständigen des Beklagten und Beschwerdegegners (FA) etwa gleich.
Das FA hat durch den nach § 225 AO berichtigten Umsatzsteuerbescheid 1971 vom 1. August 1975 die Inbetriebnahme der Halle 4 im Jahre 1971 als einen selbstverbrauchsteuerbaren Tatbestand beurteilt und den Kläger mit den Herstellungskosten in Höhe von 89 415,17 DM als Bemessungsgrundlage zur Selbstverbrauchsteuer (3 576,61 DM) herangezogen. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
Das FG hat die daraufhin erhobene Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 13. April 1972 V R 151/71, BFHE 105, 198, BStBl II 1972, 654, und vom 9. August 1974 V R 11/74, BFHE 114, 569, BStBl II 1975, 342) im wesentlichen ausgeführt: Aufgrund eigener Fundamente, eigener Mauern, der eigenen Standfestigkeit, eines eigenen Eingangs und eigenen Daches mit geringer Firsthöhe sei der Anbau ein selbständiges Gebäude. Seine Stahlbeton-Skelettkonstruktion unterscheide sich grundlegend von der herkömmlichen Bauweise der Hallen 1 bis 3 (Altbauten). Deren Außenwände bestünden aus Schwemm- oder Hohlblocksteinen, und das Dach aus Holzbalken mit Einschub. Gegenüber diesen für die bauliche Selbständigkeit der Halle 4 sprechenden Merkmalen könnten die gemeinsamen Versorgungsanlagen, das Fehlen einer eigenen Giebelmauer, sowie die Durchbrüche in der gemeinsamen Wand zur Halle 3 für die Transportwege nicht die Annahme einer baulichen Verschachtelung der Gebäude rechtfertigen. Entgegen der Auffassung des Klägers komme es aufgrund der vorliegenden Umstände nicht darauf an, daß die Nutzung der Gebäude aufeinander abgestimmt sei (BFH-Urteil V R 11/74) bzw. daß der Neubauteil ggf. für sich allein nur schwer zu veräußern sei, da er nur über die schmale Zufahrt entlang der Altbauten von der Straße her erreicht werden könne.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, die er auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO stützt. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt seiner Auffassung nach in der Entscheidung der Frage, ob die bauliche Verschachtelung von Alt- und Neubau - und damit die Unselbständigkeit des Neubaus - schon deswegen vorliege, weil der Neubau nur über das Grundstück der Altbauten zugänglich (die Zufahrt von der Straße her führe an einer Längsseite der Gebäude entlang) und bei einer Veräußerung des Altbauteils über öffentliche Straßen oder Wege nicht mehr erreichbar sei.
Das FA beantragt, die Beschwerde zu verwerfen, da der Kläger entgegen der Vorschrift des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO den Zulassungsgrund nicht durch eine substantiierte Beschwerdebegründung dargelegt habe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Gegen die Zulässigkeit der Beschwerde bestehen entgegen der Auffassung des FA keine Bedenken, da aus den Beschwerdeschreiben des Klägers erkennbar ist, auf welchen Zulassungsgrund er sich stützt und worin er die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits sieht.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hat eine Rechtssache dann grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für ihre Entscheidung maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Gesamtheit berührt. Die Rechtsfrage wird in der Regel dann grundsätzliche Bedeutung haben, wenn sie auch für eine Reihe anderer gleichgelagerter Fälle rechtlich von Bedeutung ist und bisher, d. h. im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht geklärt ist (BFH-Beschlüsse vom 17. Dezember 1968 VII B 26/66, BFHE 94, 527, BStBl II 1969, 262, und vom 19. Dezember 1973 VI B 105/73, BFHE 111, 396, BStBl II 1974, 321).
Der für die Entscheidung über die Klage maßgeblichen Rechtsfrage, unter welchen Gesichtspunkten Gebäudeanbauten als selbständige Wirtschaftsgüter bzw. als unselbständige Gebäudeerweiterung zu beurteilen sind, kommt nach vorstehenden Abgrenzungsmerkmalen keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die maßgeblichen Beurteilungsgrundsätze stehen nach der Rechtsprechung des BFH bereits fest. Gebäudeanbauten sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. die Urteile vom 9. August 1973 V R 37/73, BFHE 110, 150, BStBl II 1973, 834, und vom 5. Dezember 1974 V R 30/74, BFHE 114, 295, BStBl II 1975, 344, mit Nachweisen) selbständige Wirtschaftsgüter i. S. von § 30 UStG 1967, wenn sie selbständig bewertungs- und bilanzierungsfähig sind (vgl. auch BFH-Urteil vom 20. Februar 1975 IV R 79/74, BFHE 115, 335, BStBl II 1975, 510). Die selbständige Nutzungsfähigkeit ist kein Merkmal des Wirtschaftsguts schlechthin, sondern ein zusätzliches Erfordernis bei geringwertigen Wirtschaftsgütern i. S. des § 6 Abs. 2 EStG. Dementsprechend hat der Senat die Möglichkeit, einen Gebäudeanbau von den übrigen Gebäudeteilen getrennt zu veräußern und ihn damit einer selbständigen Nutzung zuzuführen, nicht als entscheidungserhebliches Kriterium bei der Heranziehung zur Selbstverbrauchsteuer berücksichtigt. Dies hat andererseits zur Folge, daß einer selbständigen Nutzung entgegenetehende Umstände ebensowenig die Entscheidung beeinflussen können. Diese nach der bisherigen Rechtsprechung feststehenden Beurteilungsgrundsätze beruhen aus selbstverbrauchsteuerrechtlicher Sicht letztlich auf der Erwägung, daß es im Zeitpunkt der Zuführung eines Wirtschaftsguts zur Verwendung als Anlagevermögen für die Frage, ob in diesem Zeitpunkt der Tatbestand des Selbstverbrauchs erfüllt ist, nicht entscheidungserheblich sein kann, ob das Wirtschaftsgut im Falle einer späteren Trennung eine (jetzt nicht vorhandene und auch nicht gewünschte) selbständige Nutzungsfähigkeit aufweist. Dies hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die sich im Zeitpunkt der Zuführung nicht übersehen lassen.
Mit dieser Ausgabe schließt der Teil II des Jahrgangs 1977
Fundstellen
BStBl II 1977, 889 |
BFHE 1978, 222 |