Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB trotz Erledigung der Hauptsache; Abhängigkeit der Zulassung der Revision von bestimmten Revisionsgründen verfassungsgemäß; Klageantrag bei Nichterscheinen eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung
Leitsatz (NV)
1. Der Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage ist bei Erledigung der Hauptsache grundsätzlich auch noch im Stadium der Nichtzulassungsbeschwerde zulässig.
2. Es ist durch die bereits vorliegende Rechtsprechung geklärt, dass die Zulassung der Revision auch aus verfassungsrechtlicher Sicht vom Vorliegen bestimmter Revisionsgründe abhängig gemacht werden darf.
3. Das FG kann bei ordnungsgemäßer Ladung eines nicht zur mündlichen Verhandlung erschienenen Beteiligten die Anträge den eingereichten Schriftsätzen entnehmen.
Normenkette
FGO § 92 Abs. 3, § 100 Abs. 1 S. 4, § 115 Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1, Art. 30 Abs. 3
Verfahrensgang
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
a) Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (Beklagte) durch Bescheid vom 21. Juli 2004 Kindergeld für X und Y antragsgemäß festgesetzt hat.
b) Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist allerdings mit Schriftsatz vom 1. September 2004 zur Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) übergegangen, indem er nunmehr begehrt, festzustellen, dass der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid des Beklagten rechtswidrig war und ihn in seinen Rechten verletzte. Eine solche Klageänderung ist grundsätzlich auch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde möglich (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. August 2001 VIII B 34/01, BFH/NV 2001, 1604). Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der Fortsetzung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens dargelegt, indem er auf die Wiederholungsgefahr hingewiesen hat. Es ist in der Tat anzunehmen, dass der Beklagte weiterhin die Auffassung vertreten wird, dass der Kläger verpflichtet sei, für seine Kinder jeweils die "Erklärung zu den Einkünften und Bezügen eines über 18 Jahre alten Kindes" auf amtlichem Vordruck abzugeben, und die Gewährung von Kindergeld von der Erfüllung dieser Pflicht abhängig machen wird. Dem steht nicht entgegen, dass X inzwischen das 27. Lebensjahr vollendet hat, so dass der Streitpunkt sich für den Kindergeldanspruch des Klägers für X nicht mehr auswirken wird. Für Y besteht voraussichtlich über das Jahr 2004 hinaus ein Kindergeldanspruch; zudem hat der Kläger weitere Kinder, für die die Frage in Zukunft von Bedeutung sein kann.
c) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch jedenfalls unbegründet. Zulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO hat der Kläger nicht in der gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt. Soweit der Kläger Zulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO rügt, kann dahin gestellt bleiben, ob die Darlegungen den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügen. Die gerügten Verfahrensmängel liegen jedenfalls nicht vor.
aa) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Die vom Kläger im Wege der "Grundsatzrüge" geltend gemachte Verletzung der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) durch Beschränkung der Zulassung der Revision auf Fälle, in denen bestimmte Revisionsgründe vorliegen, führt nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn über Rechtsfragen zu entscheiden ist, deren Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt und die klärungsbedürftig und im Streitfall auch klärbar sind (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 14. Januar 2004 VIII B 101/03, BFH/NV 2004, 777; vom 11. Februar 2003 VIII B 229/02, BFH/NV 2003, 909; vom 2. September 2002 VIII B 138/01, BFH/NV 2003, 303). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Frage, ob ein Revisionsverfahren im Finanzprozess ausschließlich von dem Vorliegen bestimmter Revisionsgründe abhängig gemacht werden darf, ist bereits von der Rechtsprechung geklärt. Sowohl der BFH als auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) haben eine solche Begrenzung des Revisionsverfahrens für zulässig und mit der Verfassung vereinbar gehalten, denn Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GG gebieten keinen mehrstufigen Rechtsweg, insbesondere nicht das Rechtsmittel der Revision (BVerfG-Beschluss vom 24. Oktober 1989 1 BvR 576/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1990, 447; BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 1989 IV B 113/87, BFH/NV 1990, 382; vom 16. April 2003 IV B 143/01, juris; vgl. auch BFH-Beschluss vom 7. Januar 2004 X B 111/03, juris).
Auch die vom Kläger geltend gemachten Verstöße gegen das GG rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH führt die bloße Behauptung, eine Norm und deren Auslegung seien verfassungswidrig, nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, sofern diese nicht offenkundig ist. Vielmehr ist für die schlüssige Darlegung der Verfassungswidrigkeit eine substantiierte, an den Vorgaben des GG sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des BVerfG orientierte rechtliche Auseinandersetzung erforderlich (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 9. März 2004 VIII B 271/02, juris; vom 6. Mai 2003 VIII B 163/02, BFH/NV 2003, 1313). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift nicht.
Schließlich ist die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache aufgrund der Ausgestaltung des Geschäftsverteilungsplans des Finanzgerichts (FG) zuzulassen. Der Kläger hat nicht dargetan, inwieweit, von welcher Seite und mit welchen Argumenten es umstritten sei, ob die Einrichtung von Spezialsenaten bei Finanzgerichten zulässig ist.
bb) Soweit der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde Verfahrensfehler rügt, liegen diese jedenfalls nicht vor.
Ohne Erfolg rügt der Kläger insoweit, dass in der mündlichen Verhandlung vor dem FG keine Anträge gestellt worden seien. Dem Recht der Beteiligten auf Anhörung wird bereits dadurch genügt, dass eine mündliche Verhandlung stattfindet, die Beteiligten dazu ordnungsgemäß geladen werden, die Verhandlung zu dem anberaumten Termin eröffnet und den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung und zur Antragstellung gegeben wird (BFH-Beschlüsse vom 13. Dezember 2000 VIII B 84/00, juris; vom 29. Juli 1997 VII B 69/97, BFH/NV 1998, 63). Das FG ist danach nicht gehindert, bei ordnungsgemäßer Ladung auch ohne die Beteiligten zu verhandeln und die Anträge gegebenenfalls den eingereichten Schriftsätzen zu entnehmen. Ebenso kann das FG auch dann, wenn die Beteiligten erschienen sind und ihnen, wie im vorliegenden Fall geschehen, hinreichend Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde, die Anträge aus den Schriftsätzen herleiten. Die Ansicht des Klägers, dass zwingend zunächst die Anträge der Beteiligten zu protokollieren und dann den Beteiligten das Wort zu erteilen sei, geht fehl (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 5. Aufl., § 92 Rz. 12).
Entgegen der Auffassung des Klägers hat das FG seine Sachaufklärungspflicht nicht verletzt, indem es davon ausging, dass ihn, den Kläger, die Feststellungslast für die rechtzeitige Einlegung des Einspruchs traf. Die Frage, ob der Kläger rechtzeitig einen Einspruch bei dem Beklagten angebracht hatte, ließ sich im erstinstanzlichen Verfahren nicht aufklären. Das FG war insbesondere nicht gehalten, die vom Kläger im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren als Frau … oder … benannte Zeugin zu vernehmen, die den Einwurf des Einspruchsschreibens in den Briefkasten des Beklagten möglicherweise hätte bezeugen können. Der Kläger hat diese Zeugin im erstinstanzlichen Verfahren nicht mit Namen und ladungsfähiger Anschrift benannt. Ein Verfahrensverstoß durch das FG liegt damit nicht vor, denn die Amtsermittlungspflicht des FG kann nicht losgelöst von den Mitwirkungspflichten der Beteiligten gesehen werden. Das FG verletzt darum seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts nicht, wenn der Kläger eine von ihm vermisste und mit der Aufklärungsrüge geltend gemachte Beweiserhebung nicht beantragt hat, obwohl dazu Anlass bestanden hätte. Das FG ist danach zu Recht davon ausgegangen, dass nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) das Risiko der Unaufklärbarkeit den Kläger trifft. Lässt sich der Nachweis für die fristgerechte Einlegung eines Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels nicht führen, so hat der Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelführer die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 21. April 1988 IV R 200/85, BFH/NV 1989, 172; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 96 FGO Tz. 86, m.w.N.).
Das erstinstanzliche Urteil stellt auch keine Überraschungsentscheidung dar. Die von dem Kläger als überraschend bezeichnete Frage der Rechtzeitigkeit der Einspruchseinlegung war der maßgebliche Grund für die Verwerfung seines Einspruchs; dies hat der Beklagte in der Einspruchsentscheidung auch bereits deutlich herausgestellt. Zudem trifft es nicht zu, dass sich aus den Urteilsgründen des erstinstanzlichen Urteils ergebe, der für die Entscheidung maßgebliche Punkt der Verfristung des Einspruchs sei in der mündlichen Verhandlung überhaupt nicht angesprochen worden. In den Entscheidungsgründen wird vielmehr dargelegt, dass die Frage der Verfristung in der mündlichen Verhandlung im Zusammenhang damit angesprochen worden sei, dass der Beklagte sich nicht auf eine Klageerweiterung habe einlassen wollen (vgl. FG-Urteil S. 17 f.). Daraus ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Frage der Rechtzeitigkeit der Einspruchseinlegung auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Zu Unrecht meint der Kläger schließlich, dass ein Verfahrensmangel darin liege, dass das FG ebenso wie der Beklagte davon ausgegangen sei, dass er den Einspruch verspätet eingelegt habe. Damit rügt er die materiell-rechtliche Richtigkeit der Entscheidung des FG. Dies kann indes nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. August 2002 VIII B 145/01, juris; vom 5. Juni 2000 VIII B 18/00, juris).
Fundstellen